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„In der Krise werden patriarchale Strukturen sichtbar“

Prof. Dr. Barbara Stelzl-Marx ist Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung und Professorin für europäische Zeitgeschichte an der Universität Graz. Im Gespräch mit SHEconomy erläutert sie die Rolle der Frau im und nach dem Zweiten Weltkrieg und warum patriarchale Strukturen in Krisen so sichtbar und bis heute tief in unserer Gesellschaft verwurzelt sind.

Kriege und Krisen haben schon immer zu einer Neubewertung der Gesellschaft geführt. Existierende Ungleichheiten werden verstärkt und traditionelle Rollenmuster stärker zum Vorschein gebracht. Besonders der Zweite Weltkrieg zeigte das als eine der größten Krisen der Menschheit auf.

Die Frau als „Keimzelle des Volkes“

Während der 1930er Jahre hat die Ideologie der Nationalsozialisten die gesamte Gesellschaft durchdrungen. Dabei ist den Frauen eine äußerst wichtige Rolle zugesprochen worden. Die Familie galt als „Keimzelle des Volkes“, aus der die „Volksgemeinschaft“ gebildet wurde. Die Funktion der Frau wurde auf die einer Hausfrau reduziert, die möglichst viele „erbgesunde“ Kinder gebären sollte. Um das durchzusetzen, wurden unterschiedlichen Anreize geschaffen und damit die gewünschte Rolle der Frau im NS-Regime gefestigt. Das Mutterkreuz und das Verbot von Abtreibungen sowie die Vertreibung der Frau aus dem Erwerbsleben stellten dabei die effektivsten Maßnahmen dar.

Mit Voranschreiten des Krieges änderte sich jedoch die Situation der Frau. „Immer mehr Männer waren an der Front, kamen in Gefangenschaft oder waren bereits gefallen, dadurch wurde es notwendig, dass Frauen zunehmend Aufgaben aus Wirtschaft und Erwerbsleben übernehmen, um das Vakuum, welches die Männer hinterlassen hatten, zu füllen,“ so Stelzl-Marx. Dieses Vakuum hat in weiterer Folge viele Freiräume geboten und zu einer gewissen Emanzipation der Frau im NS-Regime geführt.

Emanzipativer Zustand auf Zeit

Gleichzeitig mit dem Krieg endete auch dieser emanzipative Zustand. Mit der Rückkehr der Männer aus dem Krieg und den Lagern  veränderte sich die Situation wieder hin zu einem traditionellen Familienbild mit stark ausgeprägten patriarchalen Strukturen. „Vor Allem aus sozial-psychologischen Gründen fanden diese Lebensweisen erneut schnell Eingang in die Gesellschaft und bestimmten wieder das Familienbild“, so Stelzl-Marx. Die Männer kamen als Verlierer aus dem Krieg zurück. Gedemütigt von der militärischen Niederlage, war zugleich ihr Selbstbewusstsein „angekratzt“ – die Sehnsucht nach dem „harmonischen“ traditionellen Familienleben stand im Vordergrund.

In den Jahren danach blieb die Rolle der Frau in der Gesellschaft als Mutter und Hausfrau größtenteils unverändert. Gesellschaftliche Debatten über das Thema stellten ein Randphänomen dar. Das Aufflammen der Zweiten Frauenbewegung in den 1960er Jahren gilt als Wendepunkt, ab dem tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen stattfanden. Die Familienrechtsreform Anfang der 70er Jahre brachte entscheidende Veränderungen im Ehe-, Kindschaft- und Scheidungsrecht. Damit stellte die Reform Frauen und Männer rechtlich gleich. Frauen durften nun ohne Zustimmung ihres Mannes erwerbstätig sein, über den Wohnsitz entscheiden und ihren Namen wählen. Selbstverständlichkeiten, die in den Jahrzehnten davor nicht oder nur mit Zuspruch des Mannes möglich gewesen waren.

Patriarchale Strukturen werden in der Krise sichtbar

Auch wenn ein Vergleich zwischen der Rolle der Frau in den Krisen der Vor- und Nachkriegszeit und der andauernden CoViD-19 Pandemie aufgrund gänzlich unterschiedlicher Rahmenbedingungen nicht gezogen werden kann, macht die Krise zumindest latent vorhandene patriarchale Strukturen sichtbar. Die Gender Pay Gap und die Diskriminierung von Frauen bei der Arbeitsanstellung aufgrund von beispielsweise Karenzansprüchen stehen stellvertretend für nach wie vor fest in der Gesellschaft bestehende patriarchale Strukturen.

Besonders in der Arbeitswelt kann beobachtet werden, dass Frauen häufiger in Teilzeit oder prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten und stärker von ökonomischen Krisen betroffen sind. „Die Entlassungswellen in der Pandemie beispielsweise betreffen vor allem Sektoren wie den Einzelhandel, die Gastronomie oder Tourismusbranche. Sektoren, in denen Frauen stark überrepräsentiert sind“, so Stelzl-Marx. Aufgrund dieser Faktoren wird es länger dauern, bis Frauen wieder in die normale Erwerbstätigkeit zurückkehren. Zudem lastet in vielen Fällen während der Krise die größte Last wie Haushalt, Home-Schooling mit Kindern und die damit verbundene Unvereinbarkeit mit dem Beruf auf Frauen. Der Kreislauf von prekären Arbeitsverhältnissen und längeren Pausen bei der Erwerbstätigkeit nach der Krise endet in der Gender Poverty Gap. Der Punkt, an denen Frauen aufgrund von den angeführten Faktoren im Alter häufiger von Armut betroffen sind als Männer.

Auch wenn in Krisen patriarchale Strukturen schnell sichtbarer werden und  traditionelle Rollenbilder gefördert werden, bieten sie die Möglichkeit, ein Bewusstsein für die anhaltenden Probleme und Ungerechtigkeiten zu schaffen, um in weiterer Folge Initiativen zu ergreifen und den Weg in eine gerechtere Zukunft zu ebnen.

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