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„Das Ziel der Technologie ist für Frauen wichtiger“

Kenza Ait Si Abbou brennt für Künstliche Intelligenz und sie möchte den Menschen die Angst vor smarten Technologien nehmen. Für sie gehören der technologische Fortschritt und menschliche Fähigkeiten und Emotionen zusammen. Auf der herCAREER 2021 stellt sie ihr neues Buch „Keine Panik, ist nur Technik“ vor, in dem sie den LeserInnen den Weg in die Welt der Künstlichen Intelligenz und Digitalisierung ebnet.

Dieses Interview erschien zuerst am 7. September 2021 auf www.her-career.com

Während ihrer Kindheit in Marokko entdeckte Kenza Ait Si Abbou früh ihr Interesse für Mathematik und Physik. Sie schloss ihr Studium der Elektrotechnik und Telekommunikation an der Universität Valencia ab, arbeitete in Barcelona, absolvierte an der Hochschule für Technik in Berlin ihren Master und landete 2011 bei der Deutschen Telekom als Projektmanagerin bei T-Systems. Seit Mai 2018 ist sie Managerin für Robotik und Künstliche Intelligenz und leitet seit 2012 ebendort ein unternehmensinternes Frauennetzwerk. Im Interview mit der herCAREER erzählt sie über ihre Faszination für künstliche Intelligenz, welche Chancen sie gegen Diskriminierungen bietet und welche spannenden Wege sich für Frauen und Mädchen in die Welt der Technologien eröffnen.

Mit dem Buch „Keine Panik, ist nur Technik“ willst du den Menschen Angst vor Künstlicher Intelligenz nehmen. Warum ist sie so weit verbreitet? 

Das Phänomen, dass man das Unbekannte fürchtet, kennen wir alle. Das war bei der Flüchtlingskrise so und das ist es auch bei Künstlicher Intelligenz. K.I. ist erstmal ein technologischer Begriff, der oft auch mit vielen Fachbegriffen erklärt wird. Jemand, der sich nicht mit Technologien beschäftigt, sagt dann vielleicht: das hat mit mir nichts zu tun. Das stimmt aber nicht. Wir nutzen diese Technologien täglich und oft ohne es zu wissen. In den Medien werden Visuals von K.I. genutzt, die düster wirken. Und auch Hollywood spielt mit den Ängsten der Menschen: Filme wie „Terminator“ oder „Her“ gehen davon aus, dass Maschinen Bewusstsein erlangen und sich gegen die Menschen wenden. Solche Filme geben den Robotern menschliche Eigenschaften wie ein Bewusstsein, Rebellion oder Emotionen. Sie gehen vom Menschen aus. Diese komplexen menschlichen Prozesse gibt die Technologie in der Realität aber gar nicht her. Eigentlich wissen wir ja noch gar nicht, wie das menschliche Bewusstsein überhaupt entsteht.

In deinem Buch beschreibst du, wie sehr wir im Alltag von Algorithmen umgeben sind –, sei es die Apple Watch oder das Flugportal, das seine Preise an unsere Suchweise anpasst. Was ist das Ziel deines Buchs?

Mir ist wichtig, dass die Menschen mit diesen Geräten und Technologien bewusst umgehen. Wenn ich nicht weiß, was dahintersteckt, bin ich dem ausgeliefert. Wenn ich aber weiß, dass ich ständig viele Daten von mir preisgebe, gehe ich mit der Nutzung meiner Geräte bewusster und reflektierter um. Das Ziel meines Buchs ist, dass Menschen erkennen: sie sind kein Opfer der Techkonzerne, sondern sie können auch selbst entscheiden, was man nutzt und wie. Ich nutze beispielsweise digitale Assistenten nicht. In meinen Workshops beobachte ich auch oft ein Aha-Erlebnis bei den Menschen: diese Methoden sind eben keine Magie, sondern bestehen aus Mathematik und bestimmten Regeln. Das möchte ich auch im Buch zeigen.

Wer oder was hat dich in deinem Interesse für Technologien geprägt – klischeehaft gefragt: deine beiden Brüder?  

Nee, ganz im Gegenteil: Meine Brüder hatten mit Technik gar nix am Hut. Es hat mich nichts Bestimmtes geprägt, es war einfach früh eine intrinsische Motivation vorhanden. Mathematik und Physik haben mir einfach Spaß gemacht und ich habe mich schon als Kind dafür interessiert. Das mündete dann im Studium für Telekommunikations-Ingenieurswesen. Damals wurden Ingenieure gesucht, meine Entscheidung war ganz pragmatisch. Laut Studien haben Kinder – egal ob Jungen oder Mädchen – im Alter von sechs Jahren gleichermaßen intrinsisches Interesse an Mathematik und Technik und wollen Neues lernen. Erst durch den Druck der Gesellschaft und die klischeehaften Rollenbilder entstehen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Natürlich gibt es individuelle Unterschiede, aber viele Kinder sind grundsätzlich dafür offen und das Interesse daran wird ihnen ausgetrieben.

Oft wird auch gesagt, man müsste für Mädchen und Frauen andere Zugänge wählen, um ihnen Technologien schmackhaft zu machen und sie dafür zu begeistern – etwa über emotionales Storytelling und Role Models. Inwiefern spielt das aus deiner Sicht eine Rolle?

Der Zugang ist ein wichtiger Aspekt. Denn: die Eltern müssen ja die Kinder zum Robotik-Kurs bringen – die meisten Eltern von Jungs tun das, die von Mädchen aber viel seltener. Da fängt’s an. Wenn du es schaffst, Mädchen zu erreichen, sind sie genauso interessiert wie Jungs. Interessanterweise sind ihre Ziele unterschiedlich.  Die Gründerin von Robo Wunderkind erzählte mir, die Use Cases, für die Kinder ihre Roboter bauen, sind manchmal zwischen den Geschlechtern unterschiedlich. In einem Workshop bauten die Mädchen einen Roboter, der in der Tierklinik operierte Tiere streichen sollten. Die Kinder bauen also genauso interessiert Roboter, aber für unterschiedliche Zwecke – was ja nicht schlecht ist. Ab dem Alter von zwölf allerdings wird es kritisch: während der Pubertät etabliert sich die Rolle der Frau (und des Mannes) langsam und die Interessen verändern sich.

Du hast auch einen KI Hackathon für Frauen veranstaltet, bei dem das Gewinnerteam Stelleninserate auf Diversity hin per Algorithmen überprüften – lösen Frauen mit Technologien Probleme, die Männer nicht lösen würden?

Ja, klar. Sie lösen vor allem andere Probleme. Die Vielfalt der Perspektiven macht den Unterschied.

Wenn wir Frauen für Technologien begeistern wollen, sollten wir solche Kurse oder Ausbildungen mit Anwendungen verbinden, die für sie attraktiver sind. Das wird in Studiengängen von Universitäten auch bereits getan. Mir berichten Professoren, dass das Studium „Informatik“ sehr männerdominiert ist, sich aber für „Umweltinformatik“ oder „Sozioinformatik“ deutlich mehr Frauen anmelden. Sie sehen: ich lerne Informatik, um etwas für die Umwelt zu tun. Das Ziel, wofür sie Technologien nutzen, ist für Frauen also viel wichtiger als die Technologie an sich. Mir ging es auch so: In meinem Ingenieurs- und Elektrotechnik-Studium habe ich in einem Kurs über neuronale Netze gesehen, wie man mit K.I.-Technologien und Programmierungen Brustkrebs diagnostizieren kann. Meine Vision und Motivation hat sich dadurch geändert.

Du hast im Studium auch das Coden gelernt. Was hat dich daran interessiert?

Coden, also eine Programmiersprache zu erlernen, ist, wie eine Fremdsprache zu erlernen. Du überlegst dir eine Logik zur Lösung des Problems, strukturierst sie z.B. in Flussdiagrammen und übersetzt sie in Codes. Du musst eine logische Aneinanderreihung von Anweisungen geben. Diese Algorithmus-Logik und die Programmierung von Industrieroboter fand ich total spannend – wenn du die Syntax gelernt hast, ist Programmieren kein Hexenwerk.

Wo können wir ansetzen, um digitale Skills und das technologische Grundverständnis in der Gesellschaft zu verbessern? 

Aufklärung und Bildung ist das Wichtigste. Die Erwachsenenbildung wird den Firmen oder den Menschen überlassen. Das muss sich aus meiner Sicht für die Zukunft ändern – wir müssen Massen an Menschen nach und nach umschulen, reskillen, upskillen. In kleinen Firmen ist das nicht so möglich wie in Konzernen. Digitale Qualifizierung sollte daher struktureller für möglichst viele Menschen passieren. Und da müssen wir früh ansetzen, bereits in den Schulen.

Diskriminierende Technologien und Algorithmen sind von Menschen gemacht. Wie können wir dieses Problem lösen?

Wir müssen den gesamten Prozess überprüfen. Haben wir die richtigen Daten ausgewählt? Sind sie repräsentativ genug? Ist die Logik, die wir uns zur Lösung des Problems überlegt haben, neutral? Oder befinden sich dort Verzerrungen? Haben wir die Software ausreichend getestet? Ist das Entwicklungsteam ausreichend über kognitive Verzerrungen informiert? Wissen sie, wie sie Biases erkennen und beseitigen? Ist das Team divers genug?

Es gibt also unterschiedliche Schritte, wo man ansetzen soll. Hinzu kommt, dass die Selbstlernenden K.I.-Systeme immer weiter lernen. Auch wenn ein System diskriminierungsfrei gemacht wurde: sobald neue Kandidaten rekrutiert wurden – die ja immer von Menschen ausgewählt werden – lernt die Maschine, welche Menschen laut dieser Auswahl qualifiziert für den Job sind. Und hier kommt der Bias wieder hinein – du musst also ständig daran arbeiten und kontrollieren, dass die K.I. robust gegen Biases ist. Das ist nicht einfach. Aber es ist auf jeden Fall einfacher, als die Vorurteile aus den Köpfen der Menschen zu bringen.

Hast du eine abschließende Botschaft an Mädchen und junge Frauen?

Traut euch einfach. Mathe, Technik, Informatik sind weiblich. Früher waren die Männer geisteswissenschaftliche Gelehrte und die Frauen waren tendenziell Physikerinnen und Chemikerinnen. In den Anfängen des Computerzeitalters haben die Sekretärinnen Maschinen programmiert– wie der Film „Hidden Figures“ zeigt. Als man festgestellt hat, dass das interessante und gut bezahlte Jobs sein könnten, hat man die Frauen rausgekickt. Also: dass es weniger Frauen in der Technologie gibt, liegt aus meiner Sicht an den patriarchalen Machtstrukturen und nicht an ihren fehlenden Fähigkeiten.


Am Freitag, 17. September 2021, von 12.45 bis 13.25 Uhr, können Besucher:innen der herCAREER in München Kenza Ait Si Abbou im Authors-MeetUp der Messe live erleben.

Über Kenza Ait Si Abbou

Kenza Ait Si Abbou ist in Marokko geboren und löste schon als kleines Mädchen Rechenaufgaben schneller, als ihre Mutter neue stellen konnte. Heute ist sie Senior Managerin für Robotik und künstliche Intelligenz bei der Telekom. Außerdem ist sie weltweit gefragt als Rednerin, Jurorin und Moderatorin. Sie spricht sieben Sprachen fließend und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Die Zeitschrift „Capital“ wählte sie 2020 zur „jungen Elite Deutschlands“ (Top 40 unter 40). Ebenfalls 2020 erschien ihr erstes Buch „Keine Panik, ist nur Technik“ (Gräfe und Unzer Verlag). Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Über die herCAREER

Die herCAREER ist Deutschlands Leitmesse für die weibliche Karriereplanung. Sie findet am 16. und 17. September 2021 bereits zum sechsten Mal in Münchenstatt und wird mit dem Netzwerkevent herCAREER@Night abgerundet. Mit der Messe und der Netzwerkveranstaltung wurde eine Plattform geschaffen, die Jobeinsteigerinnen, aber auch Aufsteigerinnen und Gründerinnen Netzwerke erschließt, die sie dabei unterstützen, beruflich weiter und schneller voranzukommen.

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