Melanie Vogel kommentiert regelmäßig „Aus der Vogelperspektive“ für SHEconomy. Dieses Mal fordert sie: TATA statt TINA!: Warum Alternativlosigkeit in Krisen keine Lösung ist
Seit vielen Jahren befinden wir uns kollektiv und global immer wieder in einer Krise. Gefühlt gibt es kein Vor und kein Zurück. Krisen kommen – und bleiben, während global die Marschrichtung der Alternativlosigkeit vorgegeben wird. Doch Alternativlosigkeit, vor allem in Krisen, ist eine (machtpolitische) Illusion.
Das griechische Wort Krise bezeichnete früher einmal eine „Meinung“, eine „Beurteilung“ und eine „Entscheidung“ die getroffen werden musste. Historisch viel später kam erst die „Zuspitzung“ einer Situation als Erklärungsbedeutung hinzu. Seit dem 16. Jahrhundert gelten Krisen als „Entscheidungstage“ und als Höhepunkt einer Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System. Doch auch diese Definition ist nicht allein gültig, denn nehmen wir die vielzitierte und oft gebrauchte chinesische Definition einer Krise hinzu, so verbirgt sich hinter einer solchen immer auch eine Chance.
Daher ist es meiner Auffassung nach zielführender, wenn wir bei einer Krise von einer Neuausrichtung sprechen. Die Ausgangsbasis ist eine Situation, die sich – aus welchen Gründen auch immer – verändern muss. In dem Moment, wo wir über das Warum reflektieren, um zu entscheiden, in welcher Form wir aktiv werden müssen, um eine Krisensituation zu beheben, kommen meistens mehrere Möglichkeiten in Betracht. Eine Krise hat nie nur eine Ursache, weil eine Krise holistisch in einem Gesamtsystem entsteht – egal, ob es sich dabei um das Gesamtsystem Mensch, Unternehmen oder Gesellschaft handelt. Je größer und komplexer das Gesamtsystem jedoch ist, das von einer Krise befallen ist, umso mehr Systemkomponenten müssen zur Bewältigung einer Krise in Augenschein genommen werden. Und so ist es weder selten noch verwunderlich, dass es zur Lösung einer Krise immer mehrere Wege und Möglichkeiten gibt.
Seit Margaret Thatcher geistert das Unwort der „Alternativlosigkeit“ durch die Politik, auch TINA genannt: „There Is No Alternative“. Thatcher legitimierte mit der Alternativlosigkeit in den 80er Jahren ihre britische Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Der Soziologe Helmut Dubiel sah hinter dem TINA-Prinzip den Entstehungskern für ein technokratisches Weltbild, denn wer „TINA“ sagt, richtet alle Entscheidungen auf einen zwingend zu beschreitenden Entwicklungspfad aus. In diesem Vorgehen sind Alternativen tatsächlich auch nicht vorgesehen – und auch nicht gewünscht.
2010 wurde „Alternativlosigkeit“ in Deutschland übrigens zum Unwort des Jahres gewählt, mit der Begründung der Jury, das Wort suggeriere „sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe.“
Und trotz wider besseren Wissens erleben wir seit mehr als einem Jahr bei vielen politischen Entscheidungen die Alternativlosigkeit und die Abkehr von wichtigen – holistischen – Beurteilungs- und Entscheidungsprozessen, währenddessen sich die aktuelle Krise kaum zum Besseren wendet.
Verwunderlich?
Nein!
Denn wer Krisen eindimensional und linear und nicht vielschichtig und holistisch betrachtet, kann und wird die Komplexität einer Krise niemals entwirren, sondern die Probleme nur verschärfen. Das gilt für die Politik genauso wie für die Wirtschaft – und ebenso wie für das eigene private Leben.
Wer aus dem Bedürfnis der Simplizität heraus versucht, schnell und erfolgreich zu einem für alle gültigen Ziel zu gelangen, wird – insbesondere in Krisen – scheitern. Denn das universelle Grundprinzip des Lebens, und damit einer jeden lebendigen Organisation, ist ein stetiges Yin und Yang. Zwischen beiden Prinzipen gibt es einen Ausgleich, eine Harmonie. Wie wir diese Balance aufrechterhalten, ist von Situation zu Situation und von System zu System unterschiedlich. Was in einer Situation und einem System zielführend ist, kann in anderen Situationen und Systemen zur Verschlimmerung führen und das Ungleichgewicht einer Krise verstärken. Allein nur aus dieser Erkenntnis heraus ergibt sich die logische Schlussfolgerung, dass Alternativlosigkeit nie dauerhaft das Mittel zum Zweck sein kann, um Krisen zu bewältigen.
Daher gibt es zum Gegenstück von TINA auch TATA: There Are Thousands of Alternatives. So akronymisiert auf den Punkt gebracht hat das die Globalisierungskritikerin Susan George. Und in der Tat sollten wir uns dieses Mottos bedienen, wenn wir uns im Angesicht einer Krise wiederfinden. Es führen nicht nur viele Wege nach Rom, sondern auch viele aus einer Krise heraus. Und zwar mindestens ebenso viele Wege, wie die, die uns in eine Krise hineingeführt haben.
TATA statt TINA!
Zur Person: Die dreifach ausgezeichnete Innovatorin ist seit 1998 passionierte Unternehmerin. Das von ihr entwickelte und preisgekrönte „Futability®-Konzept” ist ihre Antwort auf VUCA – eine Welt radikaler Veränderungen. Als VUCA-Expertin macht sie Menschen fit für eine Welt dauerhaften Wandels und sorgt für eine mentale Frischzellenkur. Als WirtschaftsPhilosophin und Innovation-Coach begleitet sie bei ganzheitlichen Unternehmenstransformationen. Die mehrfache Buchautorin ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Hochschulbildung für das digitale Zeitalter im europäischen Kontext”, initiiert vom „Hochschulforum Digitalisierung” der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Außerdem schreibt sie regelmäßig als Fachautorin für die Publikationen “PersonalEntwickeln” (Deutscher Wirtschaftsdienst) und „Grundlagen der Weiterbildung” (Luchterhand-Verlag).
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