Lia Gruber schreibt gerade ihre Dissertation zum Thema erneuerbare Energien und Energiegemeinschaften an der TU-Graz. Wie sie zur Elektrotechnik gekommen ist, welche Fragen sie täglich beschäftigen und warum sie ihren Bekanntheitsgrad als Frau in der Technik nützt, lesen Sie im Interview.
Sheconomy: Frau Gruber, wie sind Sie zur Elektrotechnik gekommen? Was hat Sie an diesem Berufsbild gereizt?
Lia Gruber: Ich habe schon von klein auf sehr vielseitige Interessen gehabt, Mathematik fand ich zum Beispiel seit der Unterstufe toll. Mein Großvater war Elektriker und Gas-Wasser-Heizungs-Installateur, die Berührung mit Technik gab es also schon sehr früh. Allein zu wissen, dass dieses Fach existiert, war sehr wichtig. Ich hätte später fast eine HTL besucht, wollte aber Mathematik- und Geschichtslehrerin werden. Schlussendlich ist es ein BORG (Anm.d.Red.: Bundesoberstufenrealgymnasium in Österreich) mit Theaterzweig geworden, da die Bühne auch zu meinen Interessen zählt. Vor meiner Studienwahl wollte ich unbedingt in eine Vorlesung hineinschnuppern. Ich bin sehr gerne informiert, vielleicht bin ich ja auch deshalb Wissenschaftlerin geworden (lacht). Deshalb habe ich an dem „Studieren Probieren“ Programm der TU-Graz teilgenommen und mir dann, eigentlich nur aus Jux und Tollerei, neben Geschichte und Mathematik auch eine Elektrotechnikvorlesung angehört. Der vortragende Professor hat die Grundlagen der Elektrotechnik unterrichtet, und ich muss sagen, dass er das hervorragend gemacht hat, und sehr begeistert vom Fach war. Ich bin aus der Vorlesung herausgegangen und war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob ich Mathematik und Geschichte auf Lehramt studieren soll. Zu dieser Zeit gab es im Lehramtsstudium einige Diskussionen bezüglich des Dienstrechtes, so habe ich mich kurzerhand umentschieden und Elektrotechnik eingeschrieben, sehr zum Missverständnis mancher Leute. Das verstehe ich bis heute nicht. Wenn ich zum Beispiel eine allgemeinbildende höhere Schule abschließe und danach Molekularbiologie studiere, ist das nicht weiter weg als die Elektrotechnik, aber viele Leute verstehen das nicht. Zu meiner Entscheidung hat auch das Thema Klimawandel beigetragen, das damals bereits diskutiert wurde.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind erneuerbare Energien und Energiegemeinschaften. Was sind die täglichen Fragen, die sie beschäftigen?
Ich habe meinen Forschungsschwerpunkt gegen Ende des Studiums entdeckt, zuvor habe ich Mikroelektronik gemacht und mich später in die erneuerbaren Energien verliebt und schreibe aktuell meine Dissertation zu diesem Thema. Beim Einlesen in das Thema Energiegemeinschaften habe ich mich auch mit der relativ neuen Gesetzgebung beschäftigt. Währenddessen fiel mir auf, dass sich bisher noch niemand mit der Frage beschäftigt hat, was passiert, wenn jemand eine Energiegemeinschaft verlässt. Rechtlich gesehen ist das jederzeit möglich. Ich forsche daran, welche technischen Auswirkungen das hat. Energiegemeinschaften sind so gestaltet, dass jede*r Teilnehmende einkalkuliert ist. Was passiert also von einem technischen Standpunkt, wenn jemand die Energiegemeinschaft verlässt? Das sehe ich mir an. Außerdem behandle ich das Thema Mehrfachteilnahme an Energiegemeinschaften. Österreich hat eine Gesetzgebung beschlossen, die besagt, dass Personen in verschiedenen Energiegemeinschaften gleichzeitig tätig sein können. Das ist aus technischer Seite nicht unproblematisch. Momentan erstelle ich ein Modell, mit dem eine Energiegemeinschaft simuliert werden kann.
Wie sieht ein typischer Tag bei Ihnen aus?
Ich forsche nicht nur, sondern bin sowohl in der Lehre als auch in verschiedenen organisatorischen Tätigkeiten involviert. Wenn ich also nicht gerade an meinem Modell arbeite, lehre ich Studierende im Master. Somit ist glücklicherweise auch mein Wunsch vom Unterrichten auf Umwegen in Erfüllung gegangen. Neue didaktische Konzepte faszinieren mich, ich gestalte meine Lehrveranstaltungen gerne als flipped classrooms. Eine meiner Lehrveranstaltungen heißt „Erneuerbare Energien in der Praxis“, hier lernen die Studierenden etwa, wie sie eine Photovoltaikanlage auslegen können. In meiner anderen Lehrveranstaltung, „Umwelt und Energie“, diskutieren wir aktuelle Fragestellungen, zum Beispiel Transition Fuels. Das sind jene Energieträger, die wir zwischen der aktuellen Situation und komplett erneuerbaren Energien benötigen. Hier ist die große Diskussion: Atom oder Gas? Letztes Semester war diese Frage natürlich nicht mehr so einfach zu beantworten. Weiters arbeite ich auch in der Öffentlichkeitsarbeit, bin beim Österreichischen Verband der Elektrotechnik (Anm.d.Red. Abkürzung: OVE) Vorstandsmitglied und als Vorstandsvorsitzende der Young Engineers, einer Initiative des OVEs für Studierende und junge Berufstätige, tätig.
In einem Interview sagten Sie einmal, dass Sie die Frage, wie es ist, die einzige weibliche Studentin im Hörsaal zu sein, nicht mehr hören können. Was braucht es denn Ihrer Meinung nach, damit mehr Frauen Fuß in technischen Berufen und Ausbildungen fassen können?
Ich sehe das wirklich als gesellschaftliches Problem. Dank meiner Tätigkeit in der Öffentlichkeitsarbeit komme ich auch mit Schüler*innen in Kontakt. Erst vor einigen Wochen hatten wir über 200 Schüler*innen am Campus zu Besuch, die eingeladen waren, sich die Elektrotechnik anzusehen. Man merkt, dass wir die Mädchen nach der Volksschule in Mathematik verlieren. Das können wir als Universität nicht glattbügeln. Wir können noch so viel Werbung machen und an die Schulen gehen, aber die Sensibilisierung dafür startet schon viel früher. Man muss junge Mädchen so früh wie möglich in Kontakt mit Technik bringen. Das ist das Wichtigste. Natürlich wird es nicht jede einzelne in diese Richtung ziehen, aber es geht um das gesellschaftliche Interesse. Ich bin der Meinung, dass hier sehr viel nurture und nicht nature passiert. Dafür sprechen auch Vergleiche mit anderen Ländern, wenn wir uns ansehen, wie es um unseren Frauenanteil in den Naturwissenschaften und vor allem in der Technik steht. Wobei es in den Naturwissenschaften deutlich besser als in der Technik aussieht. Das sind Fächer, mit denen man in der Schule etwas anfangen kann. Man kann sich vorstellen, was Biolog*innen und Mediziner*innen machen. Aber Elektrotechnik? Das kann man schwieriger angreifen, andere technische Studien haben ähnliche Probleme. Wie kommt man denn dazu, Verfahrenstechnik zu studieren? Man braucht Kontakt zu diesen Themen und wenn das erst in der Oberstufe passiert, ist es meistens viel zu spät, zu diesem Zeitpunkt haben sich bereits gewisse Ideen gebildet. Am besten beginnt dieser Kontakt bereits in der Volksschule und Unterstufe. Rolemodels sind dabei unheimlich wichtig. Wenn man Personen, die einem selbst ähneln, in solchen Positionen sieht, entwickelt sich eher die Idee, dass man das auch selbst machen könnte. So simpel ist die Sache.
Welche Rolemodels haben Sie denn durch Ihre Karriere begleitet?
So richtige Technik-Rolemodels habe ich erst während meines Studiums gehabt, dort dafür aber zu Genüge. Ich könnte mich aber nicht an irgendwelche Frauen in der Technik aus meinem Umfeld erinnern, während ich aufgewachsen bin. In meinem Fall war das weniger tragisch, da ich andere Techniker kannte und ich darüber in Kontakt mit Technik gekommen bin. Ich wollte zwischen Schule und Studium bereits arbeiten, und zwar in der Technik. Das war mit einem AHS-Abschluss (Anm. d. Red.: Allgemeinbildende Höhere Schule in Österreich) aber gar nicht so einfach. Technische Forschungspraktika der TU-Graz haben den Zugang erleichtert und so bin ich an das Institut für elektrische Maschinen und Antriebe gekommen. Dort war die damals einzige Professorin in der Elektrotechnik, Annette Mütze, tätig. Ich habe sofort Anschluss gefunden und fast während meines gesamten Studiums bei ihr gearbeitet. Als Frau in der Technik zu arbeiten, ist noch immer nicht leicht. Ich habe auch jetzt eine Chefin Prof. Sonja Wogrin. Sie ist eine brillante Forscherin und ich bin froh, dass wir so gut zusammenarbeiten. So eine Vorgesetzte zu haben stärkt mich auch selbst. Beim OVE gibt es eine eigene Frauenorganisation, diese Veranstaltungen besuche ich auch sehr gerne.
Sie sagten in einem Interview, dass sie nicht nur im Studium, sondern auch auf Konferenzen als Frau eine andere Art der Aufmerksamkeit bekommen, diese aber auch für sich nützen. Können Sie das genauer erklären?
Das ist eine ähnliche Situation wie im Studium. Wenn man in einem Hörsaal mit 180 Studierenden sitzt und sieben davon sind Frauen, dann merken sie die Professor*innen das, einfach weil man aus der Masse heraussticht. Ähnlich ist es bei technischen Konferenzen. Allein outfitmäßig sticht man oft aus der Masse der dunklen Anzüge heraus. Dementsprechend wissen die Leute relativ schnell, wer man ist. Diesen Bekanntheitsgrad für sich zu nützen, um beispielsweise in Gespräche zu kommen, ist glaube ich nichts Schlechtes.
Tipp – SHEtech Online Days 2022: Lia Gruber wird bei den diesjährigen SHEtech Online Days mit dem Fokusthema How Women Shape The Future am 22.11. als Speakerin beim Deep Dive Greentech & Kreislaufwirtschaft teilnehmen. Jetzt anmelden und nicht verpassen!