StartBusiness„Die meisten Männer sind sich ihrer Vorbildfunktion nicht bewusst“

„Die meisten Männer sind sich ihrer Vorbildfunktion nicht bewusst“

Was können Sie, was junge Frauen nicht können? Machen Sie sich Gedanken, dass Sie es nur geschafft haben, weil Sie ein Mann sind? Wie hat Ihr berufliches Umfeld auf Ihre Vaterschaft reagiert? Fränzi Kühne hat für ihr Buch „Was Männer nie gefragt werden“ erfolgreiche Männer typische Frauenfragen gestellt. Im Interview erzählt die Gründerin, Digitalberaterin und Aufsichtsrätin, was sie mit diesem Ansatz bewirken möchte.

Dieses Interview erschien am 1. September 2021 auf www.her-career.com.

Fränzi, wie ist die Idee zu Deinem Buch „Was Männer nie gefragt werden“ entstanden?
Seit ich 2017 von den Medien den Titel „Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin“ verpasst bekam, wurden mir immer wieder ähnliche Fragen gestellt. Meist drehten diese sich um das Thema Vereinbarkeit, Vorbildfunktion und Verantwortung. Immer stand meine Rolle als Frau im Fokus. Das reichte bis hin zu sehr stereotypen Fragen über mein Aussehen und meinen Kleidungsstil. Es ging also um Äußerlichkeiten anstatt mich nach meiner Kompetenz zu fragen. Schließlich wurde ich wegen meiner Digitalkompetenz in den Aufsichtsrat berufen. Da dachte ich mir, ich drehe den Spieß einfach mal um und frage genauso bei erfolgreichen Männern nach. Ich stellte mir das als lustiges und teils absurdes Experiment vor. Entwickelt hat es sich ein bisschen anders: Letztlich habe ich 22 Männer gefunden, die sich größtenteils sehr ernsthaft und klug mit den Fragen auseinandergesetzt haben.

Wie leicht war es, Männer für das Experiment zu gewinnen?
Durch die Corona-Situation war es viel einfacher, die Leute an die Strippe zu bekommen. Zum Beispiel Außenminister Heiko Maas hatte mehr Zeit, weil er nicht reisen konnte. So hat sich das Timing als ganz günstig erwiesen. Ursprünglich wollte ich das Buchprojekt erst später starten. Ich hatte meinen Job bei der von mir mitgegründeten Digitalagentur „Torben, Lucie und die gelbe Gefahr“ (TLGG) gekündigt, weil ich mir eine Auszeit gönnen und mit meiner Familie auf Weltreise gehen wollte. Das wurde dann aufgrund der Pandemiesituation nichts und so habe ich das Buchprojekt vorgezogen. Aber natürlich gab es auch einige Männer, die auf meine Anfragen hin abgesagt oder sich gar nicht gemeldet haben.

Und von denen, die mitgemacht haben, haben sich alles ganz brav Deinen Fragen gestellt?
Größtenteils ja, sogar den Fragen zu den Äußerlichkeiten. Ich habe zum Beispiel gefragt, ob das ihr Standardoutfit ist, was sie in dem Interview getragen haben. Ob man das so trägt in den Kreisen, in denen sie sich bewegen. Die meisten haben das so heruntergebetet, was sie gerade anhaben. Heiko Maas ist im Videointerview mit seinem Stuhl zurückgerollt und hat extra gezeigt, dass er Turnschuhe trägt. Da hätte ich mehr Widerstand erwartet. Überrascht haben mich teilweise auch die Antworten auf die Frage, wie sie das mit ihren Kindern gehandhabt haben. Da sind die Gespräche schnell sehr persönlich geworden. Das war teilweise etwas merkwürdig, sich so nahe zu kommen, obwohl man sich eigentlich gar nicht kennt.

Kam das bei den Männern positiv oder negativ an?
Viele haben es zu schätzen gewusst, dass sie diese vermeintlichen Frauenthemen einmal reflektieren konnten. Ich hatte den Eindruck, dass viele noch nicht darüber nachgedacht hatten, was sie mit der Familie für Fehler gemacht haben und wie sie damit ein positives oder negatives Vorbild für andere Männer sind. Auf die Frage, welche Opfer sie für ihre Karriere bringen mussten, fällt mir immer gleich die Reaktion von Joe Kaeser ein, der zu dem Zeitpunkt noch CEO von Siemens war. Er erzählte, dass er den ersten Schultag seiner Tochter verpasst hat und nicht mal mehr wüsste, wo er da geschäftlich war. Ein irrelevanter Termin, der exemplarisch dafür steht, dass er zu wenig Zeit mit seinen Töchtern verbracht hat. Er hat das sehr bereut. Das ist eine wichtige Einsicht, die junge Männer sicher beeinflusst, die jetzt Karriere machen und Entscheidungen treffen müssen, wie sie sich in die Familie einbringen. Die Fragen, die man mir als Frau immer wieder gestellt hat, sind ja nicht das Problem. Es ist nur die ungerechte Verteilung dieser Fragen. Auch Männer sollten über solche Themen viel mehr sprechen.

Wie haben die Männer auf die Frage „Können Sie für andere Männer ein Vorbild sein?“ reagiert?
Die meisten Männer sind sich ihrer Vorbildfunktion überhaupt nicht bewusst und handeln auch nicht danach. Sie sind in einer Welt aufgewachsen, die für Männer gemacht ist und ihnen viele Vorteile verschafft. Deshalb denken sie, sie brauchen keine Vorbilder. Das ist problematisch, weil andere Männer sie eben zum Vorbild nehmen. Diese Vorbildfunktion kann deshalb fehlgeleitet sein, wenn sich Männer keine Gedanken machen, was sie damit für Signale senden.

Was verstehen die befragten Männer denn darunter, ein Vorbild zu sein?
Die haben schon meist ein Idealbild im Kopf, etwa Höhergestelltes oder außergewöhnliche Fähigkeiten. Aber Vorbild zu sein muss ja nicht heißen, dass man genau so sein möchte wie eine andere Person. Es geht darum, dass andere Menschen uns inspirieren. Das muss man nicht so überhöhen.

Hast du denn selbst auch Vorbilder?
Ich bin nicht so vorbildorientiert. Aber Inspirationen hole ich mir schon aus meinem Umfeld. Aktuell höre ich zum Beispiel gerne den Podcast Hotel Matze. Da sind immer wieder wahnsinnig spannende Leute, die mir Gedankenanstöße geben.

Welche Frage hat Deine Interviewpartner am meisten überrascht?
Wahrscheinlich dieses ganze Vereinbarkeitsthema. Da haben sie manche Fragen zunächst gar nicht verstanden. Ich hatte zum Beispiel gefragt, „Wie hat denn Ihr geschäftliches Umfeld darauf reagiert, dass Sie Vater werden?“ Die meisten Männer meinten, „naja total positiv, die haben sich mit mir gefreut“ oder „das habe ich überhaupt nicht erzählt, weil sie das nichts angeht“. Bei Frauen spielt das eine relativ große Rolle. Als ich meinen Geschäftsführungskollegen damals bei TLGG erzählt habe, dass ich schwanger bin, meinte einer meiner Mitgründer: „Willst Du uns ruinieren?“. Eine Aussage, für die er sich später entschuldigt hat, die aber zeigt, wie hier mit unterschiedlichem Maß gemessen wird. Auch die Frage, „Wurden Sie schon einmal aufgrund ihrer optischen Attribute befördert“, löste größtenteils Überraschung aus. Gregor Gysi hat völlig verstört reagiert und nur gefragt: „Wieso, weil ich so schön bin?“

Das heißt, die Interviewten haben während des Gesprächs oft vergessen oder ausgeblendet, dass es um typische Frauenfragen ging?
Manche schon. Das war ja auch ein langer Fragenkatalog und da passiert das leicht, wenn man im Antwortmodus drin ist. Beim Youtuber und Unternehmer Fynn Kliemann war das besonders bezeichnend: Er wurde im Lauf des Interviews immer kürzer angebunden und immer patziger. Bis ich sagte, „Mensch Fin, erinnere Dich, das sind keine Fragen, die ich mir ausgedacht habe, sondern die ich als Frau immer wieder gefragt wurde“. Das war dann schon ein Erkenntnismoment: Ihm wurde klar, wie respektlos das teilweise ist. Er ist das überhaupt nicht gewohnt von Interviews. Da steht seine Leistung im Vordergrund, für die er viel Anerkennung bekommt. Wie anmaßend manche Fragen eigentlich sind, ist mir auch oft erst in den Gesprächen aufgefallen. Also etwa gestandene Manager zu fragen, ob sie ernst genommen wurden in ihrer Position als Vorstandsvorsitzender.

Inwiefern hattest Du das Gefühl, dass die Männer sich auch herausgeredet haben, wenn es mit den Fragen für sie unangenehm wurde?
Die Männer waren zum großen Teil sehr medienerfahren – und da ist es dann typisch, dass man einfach das antwortet, was man sagen will, egal wie die Frage lautet. Manchmal war das schon etwas dünn. Zum Beispiel auf die Frage „Was können Sie, was junge Frauen nicht können?“, haben die meisten Männer geantwortet: „Naja, nichts“. Manche sagten, ich habe halt mehr Erfahrung, weil ich schon älter bin. Das bezog sich dann also nur auf das Alter und nicht auf das Geschlecht – ältere Frauen haben ja auch mehr Erfahrung. Am ehrlichsten fand ich hier die Aussage von Holger Friedrich, dem Herausgeber der Berliner Zeitung. Er sagte, er hätte im Vergleich zu Frauen unbegrenzt Zeit. Anders als Frauen könne er seine Zeit frei einteilen und priorisieren. Vor allem bei Frauen, die einen Kinderwunsch haben, ist das keine Selbstverständlichkeit. Also insgesamt war das schon sehr ehrlich. Und natürlich sagt keiner, wenn es zum Beispiel um die Frauenquote geht, ich finde das mit dem ganzen Frauenthema Quatsch.

Aber es haben sich schon einige Männer gegen die Frauenquote ausgesprochen, oder?
Ja. Aber das verstehe ich. Ich war auch zu Beginn meiner Karriere gegen die Frauenquote. Das meinte ich nicht, sondern gegen Fairness und Gleichberechtigung im Allgemeinen, dagegen war niemand.

Warum hast Du Deine Meinung in Bezug auf die Frauenquote geändert?
Früher als Agenturchefin habe ich das überhaupt nicht verstanden, warum es sowas wie eine Frauenquote braucht. Ich dachte, die Beste wird schon an die Spitze kommen – es geht doch um Leistung. In der echten Welt außerhalb meiner Agenturlandschaft musste ich dann aber feststellen, es gibt sie tatsächlich, die gläserne Decke. Eine homogene Männerelite sitzt an der Spitze und deshalb setzt sich der sogenannte Thomas-Kreislauf fort, benannt nach dem häufigsten Namen in deutschen Vorständen. Das heißt, Männer im Top-Management fördern Menschen, die ihnen ähnlich sind und so kann keine Diversität hineinkommen. Die Quote ist eine ziemliche Krücke, aber es braucht sie als Übergangslösung bis wir auch in Führungspositionen Gleichberechtigung hergestellt haben.

Heute kommen also aus Deiner Sicht nicht die Besten an die Spitze. Häufig erwecken aber doch Quoten-Gegner*innen den Eindruck, dass es umgekehrt sei und die Frauenquote diese Wirkung habe…
Das stimmt. Erfolgreiche Männer definieren sich über ihren Erfolg und dass sie eine bestimmte Position erreicht haben. Wenn Männer zum Beispiel in einer Vorstandsposition landen, dann schließen wir daraus, die müssen ja auch gut sein und etwas geleistet haben. Das stellen wir gar nicht in Frage. Doch bei Frauen ist es genau anders herum: Da fragt man als erstes, wie die denn überhaupt da hingekommen ist. Deutschland wird deshalb im internationalen Vergleich in Sachen Diversity immer weiter abgehängt – und das wird sich weiter fortsetzen, wenn wir Monokulturen an der Spitze haben.

Die Bundesregierung hat im Juni eine Frauenquote für Vorstände in großen Unternehmen beschlossen, die börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind. Viele halten das Gesetz für einen faulen Kompromiss – es betrifft nur 70 Unternehmen und sieht nur eine Mindestbesetzung mit einer Frau vor. Was kann diese „Frauenquote“ aus Deiner Sicht bewirken?
Das Gesetz ist wieder ein kleiner Schritt, nicht mehr und nicht weniger. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein und trotzdem ist es wieder ein Zeichen, dass es selbstverständlicher wird, dass Frauen in solche Positionen kommen. Es ist wichtig, dass Frauen hier ihren Exotinnen-Status verlieren. Dennoch geht es mir persönlich zu langsam – auch was eine faire Bezahlung betrifft. Die Allbright Stiftung hat kürzlich errechnet, dass es beim aktuellen Veränderungstempo noch mindestens 112 Jahre dauert bis sich der Gender Pay Gap in den OECD-Ländern geschlossen hat. 112 Jahre, um Gottes Willen – das ist furchtbar! Ich setze mich dafür ein, dass meine Töchter – heute 5 Jahre und 7 Monate – in einer Welt aufwachsen, in der ihr Geschlecht für ihre Berufswahl und ihre Bezahlung keine Rolle spielt.

 Was kannst Du diesbezüglich in Deiner Funktion als Aufsichtsrätin bewirken?
Wir haben inzwischen durch die gesetzliche Quote 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten. Das ist ein Punkt, an dem sich die Dynamik tatsächlich ändert, dadurch dass eine kritische Masse an Frauen in diesen Gremien vertreten ist: Das verändert die Team-Dynamik und die Diskussionen. In meiner Position als Aufsichtsrätin bringe ich mich zu Digital- und Diversitätsthemen ein. Aber insgesamt ist die Anzahl der Unternehmen mit Aufsichtsratspositionen zu klein, um gesellschaftlich etwas zu verändern. Der größte Hebel besteht darin, wenn alle Menschen ein Bewusstsein für diese Themen entwickeln.

Wie sieht Deine Arbeit als Aufsichtsrätin aus?
Bei der Freenet sind es vier Sitzungen im Jahr und bei der Württembergischen zwei Sitzungen. Im Alltag der Unternehmen sind wir nicht großartig mit eingebunden und unsere Einflussmöglichkeiten hängen stark davon ab, wie beratungsoffen und veränderungswillig der Vorstand ist, deren Vertreter*innen ja Prozesse anstoßen, Veränderung vorantreiben und immer wieder moderieren müssen. Da kommt es darauf an, Fragen zu stellen oder auch mal jenseits der Sitzungen auf wichtige Diskussionen hinzuweisen. So können wir zumindest anregen, dass die Vorstände darüber nachdenken.

Die Vergütung beträgt laut offiziellen Angaben bei der Freenet AG jährlich 50.000 Euro und 1.000 Euro Sitzungsgeld und bei der Württembergische Versicherung AG 27.500 Euro jährlich und 750 Euro Sitzungsgeld. Inwiefern kannst Du davon leben?
Bei den Aufsichtsratsmandaten versuche ich immer auf plus-minus Null herauszukommen. Für die Vorbereitungen der Sitzungen lasse ich mich beraten, um Unstimmigkeiten zu erkennen. Denn so einen Geschäftsbericht von einer Aktiengesellschaft zu lesen, ist schon ganz schön tough – da möchte ich mich rechtlich absichern. Ein Großteil meiner Aufsichtsratsvergütung fließt also in diese Beratungshonorare. So gesehen ist das kein Job, den man aus finanziellen Gesichtspunkten macht.

Was würdest Du anderen Frauen raten, die auch Aufsichtsrätin werden möchten?
Das erste ist: Den Haupt-Berufswunsch Aufsichtsrätin ganz schnell zu streichen. Am besten ist man als Aufsichtsrät*in, wenn man das operative Geschäft kennt. Es ist ein aufwändiger Job. Man kann maximal 5 Mandate im Aufsichtsrat haben und ich würde das nicht schaffen. Und Neubesetzungen gibt es in der Regel nur alle fünf Jahre. Insgesamt gibt es etwas mehr als 100 börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen – man bekommt also nicht so oft die Chance, neu einzusteigen. Wenn jemand aber gerne auf Top-Management-Level beratend tätig werden möchte, würde ich raten, sich mit der eigenen Kompetenz zu positionieren, sei es in Fachmedien oder in Social Media. Man braucht keine angepasste Meinung, sondern sollte die eigene Position gut begründen können.

Noch einmal zurück zu Deinem Buch: Du wolltest damit eine Debatte auslösen. Wie war die Resonanz darauf?
Zum Glück hat das Buch als Spiegel-Bestseller einiges an Resonanz ausgelöst. Zunächst überlegen sich meine Interviewpartner*innnen inzwischen ziemlich genau, was und wie sie fragen. Journalist*innen reflektieren eher, welche Stereotype sie bei der Wahl ihrer Fragen im Kopf haben. Im Extremfall entschuldigen sie sich sogar bei mir für ihre Fragen. Da entsteht ein neues Bewusstsein.

Welche Frage sollte man Dir mal stellen, die Du gerne beantworten würdest?
Zusammen mit Edition F habe ich einen ganzen Leitfaden geschrieben an Fragen, die man Männern oder Frauen stellen kann, wenn es mal menscheln soll im Interview. Wenn man etwas über eine Person erfahren möchten, kann man zum Beispiel fragen, wie sie als Kind auf dem Schulhof als Sechzehnjährige so waren. Da kann man eine Menge über Menschen herausfinden, wie sie so ticken.

Wie warst Du als Sechzehnjährige auf dem Schulhof?
Da sehe ich mich mit lila gefärbten Haaren und in schwarzem Bademantel, den ich immer anhatte. Meine Eltern haben mich einfach machen lassen. Es war ihnen sicher nicht egal, aber sie haben gemerkt, das hat bei mir keinen Zweck, sich darüber aufzuregen. Ihnen war vor allem wichtig, dass ich Abitur mache und sonst haben sie mir viele Freiheiten gelassen. Das hat mich als Jugendliche in diesem rebellischen Alter sehr geprägt und den Grundstein für später gelegt. Noch heute versuche ich nicht, mich zu verbiegen oder mich zu verkleiden, auch wenn das manche Menschen von Frauen in einer bestimmten Position erwarten.

Fühlst Du Dich aufgrund Deiner Herkunft privilegiert?
Ja, ich fühle mich sehr privilegiert, weil ich so erzogen worden bin, dass das Geschlecht keine Rolle spielt. Ich habe als Mädchen keine spezifischen Grenzen aufgezeigt bekommen, sondern meine Eltern haben mir immer vermittelt, Du kannst alles werden und alles sein. Das ist eine gute Startposition, wenn man das nicht erst langsam erlernen muss. Natürlich haben mich im Lauf meiner Karriere Menschen immer mal wieder skeptisch beäugt. Aber das macht mir nichts aus – ich blicke nicht so in die Welt und kriege das vielleicht auch manchmal gar nicht mit. Eine gewisse Ignoranz gegenüber der Meinung anderer kann auch ein Schutzschild sein.

Du hast kein klassisches Interviewbuch geschrieben, sondern die Statements der 22 interviewten Männer thematisch montiert und kommentiert. Kommt das bei den Leser*innen gut an?
Manche Leser*innen kritisieren schon, dass es ja gar kein „richtiges“ Interview-Buch ist. Sie wollten wissen, was einzelne Männer konkret auf bestimmte Fragen geantwortet haben. Aber das wäre mir zu langweilig vorgekommen. Ich wollte unbedingt eine Interpretation reinbringen und an bestimmten Punkten auch den Raum für eigene Interpretationen der Leser*innen lassen. Das größte Kompliment ist für mich, wenn jemand mir sagt, dass das Buch ein Anstoß war, um vom Denken ins Machen zu kommen.

Letztlich ist es ein Buch über mittelalte bis alte, weiße Männer. Ist das ein Vorteil oder ein Nachteil für die Debatte darüber?
Ich kriege häufig das Feedback, dass Frauen dieses Buch kaufen, lesen und es dann ihrem Mann auf den Nachttisch legen. Denn das Buch regt auch dazu an, in der Beziehung zu diskutieren, wie man es mit Vereinbarung von Beruf und Familie halten möchte oder wie man generell über diese Themen denkt. Das finde ich super, wenn es auch Diskussionen in Paarbeziehungen anstößt.

Reichen ein anderes Denken und die Diskussion darüber tatsächlich aus, damit Menschen ins Handeln kommen? Wie beim Thema Digitalisierung auch fehlt es ja bei Gleichberechtigung oft nicht an Einsicht, sondern an der konkreten Umsetzung…
Natürlich braucht es auch konkrete Lösungen. Aber die fangen immer damit an, dass man sich selbst bewusst ist, wie man auf die Welt blickt und was für ein Rollenverständnis man hat. Das beeinflusst die Art und Weise, wie wir darüber sprechen. So werden uns manche Stereotype erst bewusst und nur wenn dieses Bewusstsein da ist, können wir die Welt tatsächlich ein Stückweit gerechter machen. Aber das dürfen keine Lippenbekenntnisse bleiben – das ist in der Tat eine große Gefahr. Unternehmen müssen auch kreative Lösungen entwickeln, zum Beispiel wie sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch erhöhen können. Manchmal ist einfach der Veränderungsdruck noch nicht hoch genug. Wir haben ja gesehen mit Corona, wie schnell Digitalisierung doch auch möglich war, wenn es nicht anders geht. Diesen Druckpunkt müssen wir auch beim Thema Gleichberechtigung finden.

Was heißt das für Menschen, die nicht in einer Entscheider*innen-Position sitzen?
Jeder und jede kann etwas verändern – da geht es nicht nur um das Recruiting und Talentmanagement in Unternehmen. Wir sind auch als Konsumen*tinnen gefragt, wenn wir merken, da ist es bei einem Unternehmen mit der Frauenquote oder mit dem Thema Gleichberechtigung nicht weit her. Dann kaufe ich eben dieses Produkt nicht mehr. Das erhöht den Veränderungsdruck. Oder auch als Aktionär*innen haben wir Macht, Druck auszuüben. Alle Menschen haben Möglichkeiten, Zeichen zu setzen und Konsequenzen einzufordern. Als Beschäftigte können wir uns die Frage stellen, ob wir für ein Unternehmen arbeiten möchten, das sich nicht um Diversity bemüht. Das heißt in letzter Konsequenz auch, den Arbeitgeber zu wechseln. Wenn Unternehmen noch stärker merken, dass sie High Potentials verlieren und ein Recruiting-Problem bekommen, werden sie auch handeln.


Über Fränzi Kühne

Seit mehr als zwölf Jahren berät Fränzi Kühne Führungskräfte, Geschäftsführungen und Gründer*innen aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik zu Digitalisierungsfragen. Ihre Vision einer am Menschen orientierten, technologiebasierten Zukunft verfolgt sie auch in ihrer Funktion als Aufsichtsrätin. Seit 2017 hat Fränzi Kühne mehrere Mandate inne, unter anderem bei der Freenet AG und der Württembergischen Versicherung AG. Fränzi Kühne engagiert sich seit Jahren für mehr Frauen in Führungspositionen und treibt die dafür notwendige Veränderung von Organisations- und Arbeitskultur voran. Als Stiftungsrätin der AllBright Stiftung erarbeitet sie Analysen und Reformvorschläge für mehr Diversität in Unternehmen. Sie publiziert regelmäßig Fachbeiträge rund um die Themen Digitalisierung, Unternehmertum und Gender. Im Jahr 2018 wurde Fränzi Kühne vom Capital Magazin zu den „40 under 40“ nominiert, 2015 kürte sie Edition F zu einer der wichtigsten 25 Frauen der digitalen Zukunft. Im Mai 2021 brachte sie ihr erstes Buch heraus: „Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal.“

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