„Mit dir sind wir in einem Jahr fertig!“ So begrüßte die aus Männern bestehende Geschäftsleitung vor rund 20 Jahren die junge Elke Benning-Rohnke. Sie war nach der Geburt ihres Sohnes in einem neuen Geschäftsbereich gelandet. Wie und warum es dann doch ganz anders kam, hat die langjährige Top-Managerin unserer Gast-Autorin Nicole Thurn in einem ausführlichen Interview verraten.
Schon als ihr erster von zwei Söhnen noch in den Windeln lag, entschied sich Elke Benning-Rohnke für den Vollzeitjob – und stellte damit die Weichen für ihre Karriere. Die zweifache Mutter stieg beim Konzern Procter & Gamble auf, wechselte zu Kraft Jacobs Suchard und wurde bei der Wella AG als Vorständin für das weltweite B2B-Geschäft berufen. Heute ist sie Aufsichtsrätin und Beirätin sowie als Unternehmensberaterin unterwegs. Damit beweist sie: Kind und Karriere mussten sich auch in einer Zeit, als Frauen an den Herd gewünscht wurden, nicht ausschließen.
Du hast zwei erwachsene Söhne, hast trotz kleiner Kinder eine steile Karriere hinter dir – bis zur Vorstandsebene von Wella. Wie war das damals möglich?
Elke Benning-Rohnke: Als mein erster Sohn im Jahr 1987 geboren wurde, war ich als Produktmanagerin in einem großen Konzern tätig. Mutter in Deutschland zu sein, bedeutete zu damaliger Zeit ziemlich sicher in der Teilzeitfalle zu landen. Zu unserem großen Glück wurde mein Mann – wir arbeiteten im selben Unternehmen – nach Kanada transferiert. Er nahm also dort seinen Job an und ich blieb zunächst beim viermonatigen Max zuhause. Allerdings: In Kanada sind alle Mütter sechs Wochen nach der Geburt wieder am Arbeitsplatz – dass sie in Vollzeit arbeiten, ist in der Kultur verankert.
So bekam ich einen Anruf von unserem Arbeitgeber mit einem Jobangebot: sie hätten mir einen Platz im besten Day-Care-Center der Stadt besorgt, ich könnte es gleich ausprobieren und am Montag darauf meinen neuen Job antreten. Nach einem kurzen Überraschungsmoment habe ich mich dafür entschieden. Fortan brachten wir Max jeden Morgen in das Day-Care-Center und gingen ganz normal arbeiten.
Später habe ich die kanadischen Mütter einmal gefragt, ob es nicht schädlich sei, wenn die Kinder so jung schon fremdbetreut würden – denn alle hatten eine Nanny zuhause. Sie verstanden nicht einmal meine Frage – es war für sie völlig normal.
Das klingt nach einer Gelegenheit, bei der frau schlecht „Nein“ sagen kann. Doch viele Mütter kämpfen mit schlechtem Gewissen, wenn sie ihre Karriere vorantreiben. Wie war das für dich?
Elke Benning-Rohnke: Das schlechte Gewissen ist dabei gar keine Frage. Die Zeit, die man mit seinen Kindern verbringt, lebt man sehr bewusst. Das schlechte Gewissen stellte sich im Falle Kanada auch als unnötig heraus. Max ging es in der Kinderkrippe sehr gut, mein Mann Achim machte seinen Job als Media Manager und ich verantwortete einen internationalen Relaunch. Im Nachhinein war es ein Gewinn für jeden von uns dreien.
Zurück in Deutschland bist du zu Jacobs Suchard gewechselt. Wie ging es mit der Vereinbarkeit weiter?
Elke Benning-Rohnke: Damals war die organisierte Kinderbetreuung für Kleinkinder kaum vorhanden – man war auf die private Organisation angewiesen. Wir organisierten eine Kinderfrau bei uns zuhause. Da dies kostspielig war, gaben wir eine Anzeige auf und nahmen zwei Kinder dazu. Wenn es das Umfeld und die räumlichen Gegebenheiten erlauben, kann ich Eltern nur empfehlen, sich zusammenschließen und die Kinderbetreuung gemeinsam zu organisieren. Wir haben die Betreuung auch später, als unsere Kinder in die Grundschule kamen, noch einmal ähnlich organisiert. Jeden Tag verbrachten die Kinder reihum in einer anderen Familie.
Für die Kinder war das großartig: sie erlebten andere Familienumfelder und lernten gemeinsam. Heute verlassen sich viele Eltern auf die KiTa, was auch in 90 Prozent der Fällen klappt, aber in 10 Prozent der Fälle eben auch nicht: und das sind dann große Stressmomente, wie ich bei vielen jungen Paaren beobachte.
Trendforscherinnen des Zukunftsinstituts konstatieren einen „Gender Shift“ als Megatrend in der Gesellschaft: Geschlechterrollen brechen auf, auch wenn es immer wieder zu Backlashes in traditionelle Rollen kommt. Wie siehst du das?
Elke Benning-Rohnke: Ich sehe große Fortschritte. Bis hinauf zum mittleren Management ist es heute viel üblicher als früher, als Frau und Mutter berufstätig zu sein. Früher wurde man als Mutter in Führungsposition kaum ernstgenommen.
Als ich vor etwa 20 Jahren als zweifache Mutter meinen Führungsjob im B2B-Bereich antrat, saßen außer mir lauter Männer in den Führungspositionen. Sie erwarteten mich in einem holzvertäfelten Meetingraum, rauchten Zigarre, tranken Whiskey und einer sagte zu mir: „Mit dir sind wir in einem Jahr fertig.“
Das klingt einschüchternd. Wie hast du darauf reagiert?
Elke Benning-Rohnke: Das Leben bietet ja immer wieder Gelegenheiten, seine Stärken zu positionieren. Damals gab es eine Fusion mit einem US-Konzern – und keiner dieser Herren konnte gut Englisch oder war konzernerfahren. Die Einzige, die das konnte, war: ich. Fortan waren sie ganz freundlich und umsorgend, denn ich war ja quasi so eine Art Karrieremacherin für sie (lacht).
Was genau änderte sich für dich in deinem Status gegenüber den Männern im Team?
Elke Benning-Rohnke: Ein konkretes Beispiel: Die Meetings gingen früher sehr lange, ich musste aber mittwochs um halb sechs los, weil meine Kinderfrau einen Fitnesskurs hatte, der ihr überaus wichtig war. Das kommunizierte ich den Kollegen – und zwar mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es gar nicht zur Debatte stand. Schließlich schauten sie von selbst immer um kurz vor halb sechs auf die Uhr und sagten: „Wir müssen einen Zahn zulegen, Elkes Kinderfrau hat heute Gymnastik.“
Bräuchten Frauen da oft mehr klare Ansagen und Selbstverständlichkeit in ihren Forderungen?
Elke Benning-Rohnke: Ich möchte den Frauen unbedingt raten, sich das zu trauen. Die eigene Haltung überzeugt auch die anderen. Zugegeben, das ist manchmal ganz schön schwierig und erfordert Mut und Stärke. Vielleicht gelingt es auch nicht immer, jedoch gar nicht den Versuch zu wagen, für sich einzustehen, ist keine Option. Frauen können das stereotype Verhalten der Männer ihnen gegenüber oft auch gut zum eigenen Vorteil nutzen. Jede Frau, die beruflich erfolgreich ist, besitzt die emotionale und soziale Intelligenz, das zu schaffen.
Wie geht frau am besten mit Sexismus im Job um?
Elke Benning-Rohnke: Ganz klar: Kante zeigen. Als ein Vertriebsdirektor mich im Meeting vor allen anderen „Mäuschen“ nannte, ging ich danach in sein Büro und sagte ihm: Wenn Sie mich noch einmal so nennen, nenne ich Sie ab jetzt „Dickerchen“. Das ist Jahre her, aber immer noch aktuell. Erst neulich habe ich von einer Frau gehört, die im Vorstand mit „Das ist unser Küken“ vorgestellt wurde. Daraufhin begann sie ihre Antrittsrede mit: „Liebe Dinos…“ (lacht).
Siehst du Humor als Waffe für uns Frauen, um mit solchen Situationen umzugehen – auch, um uns bewusst aus der Opferrolle lösen, die wir oft über unsere Sozialisation eingeprägt bekommen haben?
Elke Benning-Rohnke: Definitiv. Denn: Niemand mag Opfer. Frau muss hier aufpassen, denn die Opferhaltung ist ja manchmal ganz komfortabel: mir wird Schlechtes angetan und schuld sind die anderen. Ich selbst habe mich nie als Opfer gesehen – das wäre ich womöglich, wenn ich auf der Straße überfallen würde, abgesehen davon fühle ich mich nicht so. Ich bin der Meinung: Frauen können und sollten trainieren, für sich einzustehen und auch ihre Grenzen aufzuzeigen – im Job, aber auch im Privaten.
Ich mache mir manchmal den Spaß und frage Frauen, wer von ihnen Gleichstellung in der eigenen Ehe organisiert hat. Nach dieser Frage ist man bestimmt nicht mehr die beliebteste Person im Raum (lacht). Es ist aber unsere Verantwortung als Frauen, für Gleichstellung zu sorgen. Wenn wir es privat nicht hinbekommen, sollte uns das zu denken geben.
Du stellst in deinen Vorträgen fünf Prinzipien für die Gleichstellung auf. Magst du sie uns verraten?
Elke Benning-Rohnke: Ich möchte Frauen zeigen, wie sie Entscheidungen besser treffen können und wie sie die Fallen, denen sie unweigerlich begegnen werden, zu ihrem Vorteil nutzen. Zum Beispiel das Selbstähnlichkeitsprinzip, das Personalentscheidungen beeinflusst: Die meisten Unternehmenskulturen sind immer noch sehr männlich geprägt. Männer befördern nun mal eher Männer, die ihnen ähnlich sind.
Die Unternehmensberatung Bain hat in der Studie „Moments of Truth“ junge Frauen und Männer befragt, ob sie sich zutrauen, an die Spitze des Unternehmens zu kommen. Die Frauen waren sogar etwas optimistischer als die Männer. Fünf Jahre später wurde die Studie wiederholt – der Anteil der Männer war gleichgeblieben, aber jener der Frauen um 60 Prozent zurückgegangen. Das lag nicht daran, dass die Frauen Kinder bekommen hatten, sondern: sie fühlten sich in der männerdominierten Kultur nicht zugehörig.
Wenn es um diese Selbstähnlichkeit geht, dann gilt das ja auch für die Frauen. Worin unterscheiden sich die Geschlechter aus deiner Sicht?
Elke Benning-Rohnke: Das sind jetzt meine ganz persönlichen Erfahrungen: ich beobachte, dass Männer eher zu Prozessen und Strukturen und hierarchischem Denken und Handeln tendieren, Frauen dagegen eher über agile Arbeitsweisen und im Team ans Ziel kommen. Auch die Kommunikation ist unterschiedlich: Männer benutzen eher Fakten, Zahlen und Daten, Frauen erzählen tendenziell lieber Geschichten, um Beziehungen aufzubauen.
Bei alldem müssen wir uns bewusst machen, dass wir in diversen Teams die besten Lösungen erreichen. Die Forschung zeigt: Schon eine Frau im bisherigen Männerteam erhöht dessen Problemlösungskompetenz. Laut Studien gibt es bei einem Frauenanteil von 30 Prozent keinen Unterschied mehr – dann kann die kollektive Intelligenz sich entfalten.
In deinen Vorträgen gehst du auch auf Rollenklischees und Stereotypen ein …
Elke Benning-Rohnke: Ja, Stereotype zu verstehen ist sehr wichtig. Unser Gehirn läuft gern auf Energiesparmodus und neigt dazu, Situationen, Ereignisse und Personen klischeehaft nach Mustern zu kategorisieren. Das führt allerdings auch dazu, dass gleiches Verhalten nicht gleich beurteilt wird. Führungseigenschaften wie Durchsetzungsstärke werden bei Männern positiv bewertet, weil es dem Stereotyp des idealen Mannes entspricht, taff zu sein. Von Frauen wird das nicht automatisch erwartet.
Frauen müssen auch damit rechnen, dass ihre Leistungen weniger gesehen oder schlechter beurteilt werden als die von Männern. Diese oft vorbewussten Muster, die Unconscious Biases, müssen wir uns bewusstmachen. Im Umgang mit Männern und deren Unconscious Biases hilft es dann zu fragen: „Wie würdest du reagieren, wenn ich ein Mann wäre?“ Dann wird ihnen die eigene Wahrnehmungsverzerrung in der Regel bewusst.
Die meisten agieren ja nicht absichtlich so, sondern unbewusst – eben aus dem stereotypen System heraus.
Mir fällt in diesem Zusammenhang eine Aussage von Rihanna ein, der vorgeworfen wurde, sie sei zu bossy. Darauf entgegnete sie: „I am not bossy. I am the boss.“ Das ist eine sehr souveräne und männliche Antwort. Ich würde Frauen auch dazu raten, sich ein Unternehmen mit einer Leistungskultur zu suchen – und nicht eines, das formal hierarchisch geprägt ist.
Wenn die Leistung zählt, kannst du dich daran messen. In formal hierarchisch organisierten Unternehmen zählen oft Status und Beziehungen, um beruflich weiterzukommen – das begünstigt Stereotypen und Selbstähnlichkeitsmuster.
Wie sieht es mit den Geschlechterrollen hinsichtlich der Vereinbarkeit aus?
Elke Benning-Rohnke: Wir müssen Rollenmuster in Bezug auf Karriere und Familie neu denken: 66 Prozent der Mütter arbeiten in Teilzeit, bei den Vätern sind es nur fünf Prozent. Hier geht es aber auch um die Altersvorsorge: Ab 40 wird es Zeit, an Rente und Altersvorsorge zu denken. Hat frau zehn Jahre lang in Teilzeit gearbeitet, sieht es mit ihrer Rente deutlich schlechter aus.
Wir müssen uns in Erinnerung rufen: Eine Vollzeit-Karriere ist auch mit Kindern machbar – hier kommt es allerdings auch auf den Partner an. Mein Mann und ich haben unsere Karrieren aufeinander abgestimmt. Es stimmt, unsere Kinder wurden fremdbetreut – es war jedoch auch immer einer von uns morgens vor der Schule und abends zuhause.
Was hältst du von flexiblen Arbeitszeitmodellen wie Jobsharing für Führungsetagen – könnte das ein Anreiz für Frauen sein?
Elke Benning-Rohnke: Die Arbeitskultur hat sich verändert. Heute wird sehr viel Lebenszeit der Berufstätigkeit gewidmet. Dabei ist es doch sehr fraglich, ob frau oder mann in der 16. Arbeitsstunde noch produktiv ist. Ich persönlich strebe mehr Smart Working an. Die Menschen müssen den Mut haben, ihre Arbeit anders und effektiver zu organisieren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
In Schweden gibt es nach drei oder vier Uhr in den Unternehmen keine Meetings – damit Zeit für die Kinder bleibt. Dort schmiedet man die weiblichen Talente nicht an den Herd. Das BIP von Schweden entspricht dennoch jenem von Deutschland. Und warum sollte man einen Vorstandsjob nicht in Teilzeit machen können? Ich empfehle, es einfach auszuprobieren. In vielen Führungspositionen funktioniert Jobsharing bereits sehr gut.
Gibt es weitere Prinzipien, die du in deinen Vorträgen beleuchtest?
Elke Benning-Rohnke: Ja, ein wichtiges Prinzip ist die Stärkenwahrnehmung. Hier gibt es große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Männer bewerben sich tendenziell auf gut Glück mit der Haltung „Wird schon funktionieren“ auf Jobinserate, Frauen lassen sich dagegen bereits abschrecken, wenn sie „nur“ 80 Prozent aller geforderten Kompetenzen aufweisen.
Das können die Frauen selbst ändern. Zum Beispiel mit einem Perspektivwechsel, in dem sie sich fragen: Was würde ein selbstbewusster Mann hier tun?
Das fünfte Prinzip ist die Mut-Angst-Waage. Wir schätzen Dinge, die wir kennen, deutlich höher ein als die Möglichkeiten, die das Neue uns bietet. Das macht evolutionstechnisch Sinn. Gewohntes birgt keine Risiken. Wenn ich dagegen etwas Unbekanntes esse, sterbe ich vielleicht. Wenn wir aber tatsächlich Veränderung bewirken wollen, müssen wir neu denken. Der Mut muss größer als die Angst sein. Dann können wir Frauen unser Leben und unsere Zukunft neu und selbstbestimmt gestalten.
Über die Person
Elke Benning-Rohnke engagiert sich seit 2006 für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen. Sie war bis 2020 Vizepräsidentin von FidAR (Frauen in die Aufsichtsräte e.V.). Elke Benning Rohnke bringt eine über 30-jährige Erfahrung aus Tätigkeiten in und für internationale Konzerne mit. Ihre Kompetenzen baute sie in namhaften Firmen wie Procter & Gamble, Kraft Jacobs Suchard in Deutschland und Kanada auf.
Bereits nach zwölf Jahren steiler Karriere wurde sie aufgrund ihrer B2C- und B2B-Erfolge in den Vorstand der Wella AG berufen. Seitdem beschäftigt sich Elke Benning-Rohnke mit organischem Wachstum von Unternehmen, d.h. dem Zusammenspiel von Marktherausforderungen, Kundenpotenzialen und Leistungskulturen von Organisationen, Teams und Individuen. Zu diesen Themen berät sie weltweit tätige Unternehmen und europäische Großbanken. Elke Benning-Rohnke hält Aufsichtsrats-, Beirats- und Mentorenmandate. Sie ist verheiratet, lebt in München und hat zwei erwachsene Söhne.
Das Interview entstand im Vorfeld der herCareer Expo 2022, bei der Benning-Rohnke eine Keynote zum Thema „Karriere, Frau, Mann, Familie – es ist Zeit, neu zu denken“ hielt.