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Erklär mir die Inflation!

Seit 40 Jahren nicht erlebt, kaum Wissen, keine eigenen Erfahrungen, maximal Erinnerungen an autofreie Sonntage während der Ölkrise oder Erzählungen darüber: Nun prägt das Schreckgespenst Inflation schon seit einem Jahr unseren Alltag, Gespräche, Leben. Und das wird auch so bleiben. Deshalb ist es hilfreich, die Mechanismen dahinter zu verstehen. Sheconomy Gast-Autorin Heike Adam, Inflationsexpertin und Lehrbeauftragte an der Euro-FH Hamburg, beantwortet in diesem Beitrag die wichtigsten Fragen.

1. Was verbirgt sich hinter den Begriffen „Inflation“ und „Inflationsrate“?

Das Wort Inflation ist abgeleitet vom lateinischen inflare. aufblähen. Als Inflation werden Inflationsraten über 5% bezeichnet. Inflationsraten bis 2% gelten als normale, in einer gesunden Wirtschaft akzeptable Werte, bei 3%- 4% spricht man von höheren Inflationsraten. Das Wort Inflation wird erst in diesen Sondersituation genutzt. Inflationen hat es in der Geschichte immer wieder gegeben, sie sind zeitlich begrenzte Sonderformen von Wirtschaft und die schwerste Form der Wirtschaftskrise.

Inflationsraten bilden für eine gesamte Volkswirtschaft, ein ganzes Land die Preisveränderungen für Endkonsumenten ab, für private Verbraucher, also die komplette Bevölkerung. Für Unternehmen können Preise in ihrer Beschaffung deutlich teuer sein, diese werden aber in der Inflationsrate nicht berücksichtigt.

2. Wie wird die Inflationsrate berechnet, was sagt sie genau aus?

Die Inflationsrate ist eine Steigerungsrate für den Preis eines imaginären jährlichen Einkaufskorbs eines durchschnittlichen deutschen Haushalts. Dieser Warenkorb umfasst sämtliche Ausgaben, sehr detailliert. Seinen Preis nennt man Verbraucherpreisindex. Die Inflationsrate misst die prozentuale Verteuerung dieses Warenkorbs innerhalb eines Jahres. Die Mengen für diesen Korb werden alle 5 Jahre definiert und bleiben dann unverändert. Der Preis des ersten Warenkorbs bildet die Basis. Dessen Mengen werden monatlich oder jährlich mit den jeweils aktuellen Preisen bewertet. Auf diese Weise ergibt sich ständig ein neuer Preis für diesen Warenkorb, ein neuer Verbraucherpreisindex. Preisanstiege und sinkende Preise gleichen sich meist zu großen Teilen aus, doch über die Zeit steigt der Preis und damit der Index für diesen Korb. Die Inflationsrate misst diese Veränderung innerhalb genau eines Jahres.

Von Januar 2021 auf Januar 2022 hatte sich dieser durchschnittliche Warenkorb um 4,9% verteuert. Zwischen Januar 2022 und Januar 2023 ist der Preis um 8,7% gestiegen. Wichtig ist es, diese Zeitspanne von 1 Jahr zu kennen. Wenn Preise dauerhaft hoch bleiben, liegt die Inflationsrate nach 1 Jahr theoretisch bei Null, weil die Preise sich nicht weiter gestiegen sind. Für 2023 werden jedoch Inflationsraten um ca. 5% erwartet, d.h. die Preise steigen weiter. Nur negative Inflationsraten wären ein Ausdruck, dass Preise wieder sinken. Und das ist utopisch.

3. Warum sind hohe Inflationsraten negativ?

Damit Inflationsraten stark steigen, müssen sich die Preise für sehr wesentliche und täglich konsumierte Dinge im Warenkorb erhöhen, Preise für Autos oder Kinotickets fallen da nicht ins Gewicht. Hohe Inflationsraten sind damit Ausdruck massiv erhöhter Alltagsausgaben für die gesamte Bevölkerung in relativ kurzer Zeit. Ihnen stehen keine steigenden Einnahmen gegenüber, Ausgabenstrukturen können selten so kurzfristig angepasst werden. der Rückgriff auf Ersparnisse nimmt zu.

Ein zweiter, häufig unterschätzter Effekt der Inflation ist der Kaufkraftverlust, der Realwertverlust der Ersparnisse. 1000 Euro im Februar 2022 sind heute nur noch gut 900 Euro wert. Für diese 1000 Euro konnten damals bestimmte Mengen gekauft werden. Heute sind mit diesen 1000 Euro nicht mehr die gleichen Mengen zu erwerben wie damals. Sondern nur noch ca. 9% weniger. Nur noch Mengen, für die man damals nur 900 Euro benötigt hätte. Die 1000 Euro auf dem Konto sind real weniger wert. Damit verlieren diese Ersparnisse einen Teil ihrer Schutzfunktion, die sie für Notfälle haben, oder auch der Vorsorgefunktion, wenn damit Auszeiten, Teilzeit oder auch Rentenzeiten finanziert werden sollen.

Dieser schleichende Realwertverlust stellt auch für Unternehmen eine Gefahr dar. Ihre Nutzbarkeit für die Finanzierung des laufenden Geschäfts und für Investitionen nimmt ab.

4. Wie kann man sich vor der Inflation schützen?

Im Prinzip gar nicht. Sie ist wie ein Sturm, der einige Dinge mitreißt oder zerstört. Was kann man trotzdem tun? Die eigene Liquidität bewusst planen, sich die Einnahmen und nun höheren Ausgaben während der kommenden 12 Monate bewusst anschauen. Ein wichtiger Hebel ist es, die Fixkosten zu flexibilisieren, um Handlungsspielräume zu erhöhen. D.h. dauerhafte Verträge mit monatlich oder jährlich festen Beträge überprüfen., Abonnements, Mitgliedschaften. Hier kann der Übergang zu Einzelkäufen, die teurer sind auf lange Sicht sinnvoll sein, weil man diese bei weiter steigenden Preisen in finanziellen Engpässen sofort einstellen kann. Bei größeren Anschaffungen im Konsumbereich, für die keine Finanzierung über Kredit geplant ist, kann ein Aufschieben richtig sein. Es ist davon auszugehen, dass die weiter steigenden Zinsen und die kommende Rezession Händler zwingen werden, ihre Preise zu senken.

Auf der Einnahmenseite stellt die Erhöhung der Arbeitsentgelte den größten Hebel dar. Mit steigenden Zinsen gewinnt Sparen wieder an Attraktivität, kann aber nur einen geringen Beitrag leisten. Unternehmen können und müssen ihre Preise erhöhen, laufen aber Gefahr, dadurch Mengen und damit Gewinn zu verlieren. Sehr branchenabhängig können sie in das Bermudadreieck der Inflation geraten.

Die Annahme, dass Menschen und Unternehmen mit Krediten die Gewinner der Inflation seien ist nur dann richtig, wenn die Inflation sie nicht gleichzeitig der Mittel beraubt, ihre Kreditraten zu bezahlen.

In anderen Regionen der Welt treten Inflationen deutlich häufiger auf, ich habe sie in Lateinamerika erlebt. In der Türkei liegen die Inflationsraten seit Monaten bei über 60%. Dort versuchen Menschen, durch Sparen und mehrere Arbeitsverhältnisse den steigenden Kosten zu begegnen, Preise und Löhne treiben sich hoch. Große Anschaffungen sind selten, Verträge sind häufig deutlich kurzfristiger. Die Menschen können damit leben, doch die Substanz erodiert.

5. Wie ist der Ausblick für dieses Jahr? Wie lange wird die aktuelle Inflation noch dauern?

Nach breiten Schätzungen der Experten wird die Inflation bis in 2024 hinein reichen, d.h. Preise werden bis dahin weiter steigen. Der imaginäre Warenkorb wird im Januar 2024 noch mal teurer sein als der diesjährige. Für 2023 werden aktuell Inflationsrate von ca. 5% vorausgesagt, nach 7,9% für 2022 im Jahresdurchschnitt für 2022. Dabei werden die Preise für Energie und Nahrung nicht mehr so stark steigen oder sogar wieder etwas sinken. Doch für viele andere Produkte steigen die Preise, weil die hohen Energiekosten bei der Herstellung in mehreren Stufen an ihre Kunden weitergegeben werden. Konsumenten werden ihre Budgets breit verschieben, nun auch bei Dingen sparen, deren Preise nicht gestiegen sind. Aber dort Kosten sparen, um das Geld für wichtigere Ausgaben nutzen zu können. Das wird die Dienstleistungsbranchen treffen. Gleichzeitig wird die EZB die Zinsen weiter erhöhen, um damit Nachfrage zu bremsen und Preiserhöhungen zu verhindern.

6. Was wird nach der Inflation anders sein?

Alle werden etwas ärmer sein bzw. ihren Alltag angepasst haben. Ersparnisse werden gesunken sein, Einkauf wird preisbewusster und begrenzter erfolgen, im Alltag mehr Energie gespart werden, schon aus Gewöhnung.

In einigen Branchen werden die Löhne und Gehälter stark gestiegen sein, öffentliche Dienste, Bahn, Post, dort wo ein die ein hohes Druckpotential durch Streiks besteht, weil diese die breite Bevölkerung und den Alltag treffen.

Der Inflation wird eine Rezession folgen, wenn auch milde, die vor allem Handel, Gastronomie und die vorliegenden Unternehmen treffen wird. Dort wird es zu Arbeitsplatzabbau kommen, doch andere Bereiche der Wirtschaft sind aufnahmefähig.
Die Preise für Energie bleiben dauerhaft deutlich höher als vor der Inflation. Durch den Verzicht auf Russland als Lieferant, die Umstellung auf andere, teurere Lieferanten und Technologien und die umfangreichen erforderlichen Investitionen.

Die Phase der niedrigen Zinsen wird ebenfalls für lange Zeit vorüber sein. Die EZB wird die Zinsen in diesem Jahr weiter erhöhen und dann auf diesem Niveau belassen. Für Immobilienfinanzierung aber auch Unternehmen eine erhebliche Erschwernis.

Die Inflationsraten werden höher als in den letzten Jahren sein. Das Ziel der EZB mit 2% ist bereits sehr ambitioniert. Die 3D der Inflation werden immer stärker zum Tragen kommen.

  • Demographie: Die in Rente gehenden geburtenstarken Jahrgänge belasten den Arbeitsmarkt, Löhne und Gehälter werden weiter steigen.
  • Deglobalisierung: Relokalisierung von Produktion nach Deutschland wird durch die deutlich höheren Kosten hier die Preise für viele Produkte verteuern. Auch besteht dann zusätzlicher Arbeitskräftebedarf, der nicht gedeckt werden kann.
  • Dekarbonisierug: Der Ausstieg aus Kohle, Öl, Gas, wird die Kosten für Energie zusätzlich treiben.

7. Die EZB strebt eine Inflationsrate nicht höher als 2% an. Warum genau dieser Wert und warum nicht höher?

Dieser Wert hat sich als Erfahrungswert etabliert. Eine gewisse Inflation stimuliert eine Wirtschaft, schafft für Unternehmen Anreize, Angebote und damit Arbeitsplätze zu schaffen, auch kreativ zu werden.

Doch oberstes Ziel der EZB ist es, diese Inflationsraten niedrig zu halten. Die Inflation ist die schwerste Form der Wirtschaftskrise. Sie trifft nicht nur einzelne Branchen, sondern alle und im Gegensatz zu allen anderen Krisen die gesamte Bevölkerung. Mit den hohen Raten geht das Risiko einer Verarmung der breiten Bevölkerung einher, was in westlichen Demokratien aus sozialen Gründen nicht akzeptabel ist. Auch weil daraus politische Unruhen entstehen können, die das Zusammenleben und die Gesellschaft gefährden.

8. Wie sollen die Zinserhöhungen der EZB die Inflation beenden?

Mit den Zinserhöhungen möchte die EZB die Nachfrage der Konsumenten reduzieren, worauf die Unternehmen ihre Preise senken müssen, um weiterhin verkaufen zu können. Dadurch werden die Kunden ausgabenseitig entlastet. Etliche Unternehmen werden durch die Preissenkungen gezwungen sein, zu sparen und Personal zu reduzieren, was den Arbeitsmarkt entlastet und hohen Lohnsteigerungen entgegenwirkt. Damit wird ebenfalls Nachfrage gebremst, was preissenkend wirkt. Steigende Zinsen verteuern alle kreditfinanzierten Käufe, vorrangig die von Immobilien, aber auch für Autos, Fernseher, Waschmaschinen.

Mit steigenden Zinsen sinkt die Bereitschaft, diese Käufe zu tätigen. Bei Immobilien war das bereits sehr eindrucksvoll zu sehen, in dieser Kette sinken dann auch die Nachfrage nach Handwerkerleistungen, Inneneinrichtung. Gleichzeitig gewinnt mit höheren Zinsen Sparen wieder an Attraktivität, wodurch ebenfalls Konsum reduziert wird. Diese Mechanismen wirken allerdings sehr langsam, bis es wirklich zu spürbaren Preissenkungen kommt. Doch für die EZB ist es der einzige Hebel, die Inflation zu senken.


Über die Autorin

Heike Adam ist als selbständige Unternehmensberaterin Expertin für Finanzen, Krise & Inflation und Lehrbeauftragte der Euro-FH Hamburg.

Sie berät Unternehmen, wie sie mit den Folgen der Inflation umgehen, aber auch Chancen nutzen.

Sie ist über 20 Jahre für die Dax-Konzerne Henkel und Beiersdorf international tätig gewesen, bei Beiersdorf als Mitglied der Geschäftsführung Südeuropa.

Bei Henkel war sie u.a. für die Hochinflationsländer, v.a. in Lateinamerika zuständig. Dort hat sie Inflation direkt erlebt. Sie weiß, wie stark Inflation Wirtschaft und Bevölkerung beeinflusst und wie Unternehmen und Menschen gegensteuern können. Sie kann Inflation nachvollziehbar erklären. Sie hat das erste Praxismodell zur Inflation entwickelt, das ins Lehrangebot der Euro-FH Hamburg aufgenommen wurde, hält Vorträge, gibt Interviews, schreibt Fachartikel, seit vielen Jahren auch zu anderen Finanzthemen.

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