StartBusinessSkills"Erschöpfte Führungskräfte sollten zunächst für sich selbst sorgen"

„Erschöpfte Führungskräfte sollten zunächst für sich selbst sorgen“

Verena von Plettenberg engagiert sich seit 30 Jahren in der Hospizbewegung. Sie hat gelernt: In Krisen steht die Selbstfürsorge an erster Stelle. Das gilt auch für Führungskräfte.

 

Warum erleben viele Menschen die aktuelle Situation als besonders herausfordernd?

Eine Krise bedeutet immer einen Bruch in der Kontinuität unseres Lebens.
Das, was wir alle durch Corona in den letzten Jahren und nun durch die
Kriegshandlungen in der Ukraine erleben, ließ und lässt auch jetzt unser Leben aus den Fugen geraten. Die gesellschaftlichen Krisen überlappen die persönlichen Probleme. Viele haben sich noch nie zuvor so mit ihren Grenzen auseinandersetzen müssen und fühlen sich hilflos ausgeliefert.

 

Sie sind Expertin darin, Menschen in Lebenskrisen zu begleiten und zu unterstützen. Wie können wir auf Corona, Krieg und Klimawandel reagieren, ohne diese Themen komplett zu verdrängen?

Ob das, was gerade um uns herum geschieht zu einem individuellen Zusammenbruch führt, das entscheidet letztendlich jeder für sich. In jeder Krise lauert die Gefahr darin zu verharren, unterzugehen, keine Perspektiven mehr zu sehen, sich selbst aufzugeben. Doch so schwer und traurig eine Situation auch sein mag, wir haben die Möglichkeit, sich mit ihr auseinanderzusetzen, sich ihr zu stellen und sie als solche anzunehmen. In diesen Zeiten sind unsere innere Kraft und Stärke gefordert.

 

Wie können Führungskräfte Energie weitergeben, wenn sie selbst schon an ihren Grenzen sind?

Gerade Führungskräfte oder Unternehmer:innen haben die Verantwortung, für andere da zu sein. Stellen Sie sich drei Schalen übereinander vor: Oben ist die Ich-Schale, darunter die Du-Schale und dann folgt die Welt-Schale. Die Ich-Schale muss voll sein und sogar überlaufen, damit die weiteren Gefäße ebenfalls gefüllt werden können. Ist die Ich-Ebene jedoch im wahrsten Sinne des Wortes er-schöpft, kommt auch in den anderen Schalen nichts mehr an. Deshalb haben wir alle die Verantwortung, zunächst die Ich-Schale zu füllen. Damit bin ich nicht egoistisch, sondern sorge für mich und dann auch für andere.

 

Woher bekomme ich die dafür nötige Energie?

Wenn wir uns immer wieder die Frage stellen: Warum ist dies oder jenes geschehen, dann enden wir häufig in einer Sackgasse, da wir diese Frage nicht in Ihrer Komplexität beantworten können. Fragen wir uns allerdings: Was kann ich jetzt für mich und meine Mitmenschen tun, dann ist schon der erste Schritt aus der Krise gemacht. In dem Moment kommen wir ins Tun und aus dem Grübeln heraus.

 

Warum kommen einige Menschen besser mit Krisen klar als andere?

Fragen Sie sich selbst, ob Sie eher ein Flach- oder Tiefwurzler sind. Leben Sie mehr an der Oberfläche, dann kann schon ein leichter Sturm Sie „umwehen“. Bin ich hingegen tief im Erdreich verwurzelt, dann habe ich einen Anker und halte auch heftigsten Stürmen stand. Diese Wurzeln können zum Beispiel

  • unser Glaube
  • unser persönliches Wertesystem
  • unsere Talente und Fähigkeiten
  • unsere Lebenserfahrungen
  • unsere Persönlichkeit

sein. Eine der Hauptursachen für unser seelisches Vakuum und die oftmals geringe innere Verwurzelung, liegt an der Vielzahl von Pflichten, Anforderungen, Möglichkeiten und Reizüberflutungen, denen wir täglich ausgesetzt sind. Je mehr unsere Aufmerksamkeit sich auf Äußerliches konzentriert, desto schwächer wird der Kontakt zum eigenen Selbst. Es geht nicht nur darum, die oberste Schale zu füllen. Schauen Sie auch, wo sie ein Leck hat. Im Berufsleben sind das beispielsweise die permanenten Reize an den verschiedenen Displays.

Je geschäftiger unser Leben ist, desto wichtiger wird es, uns immer wieder Raum und Zeit zu gönnen, damit unsere Seele lebendig sein und bleiben kann. Konkret: Lassen Sie Lücken im Kalender für sich selbst und Ihre Lieben oder verbinden Sie das Meeting mit einem Spaziergang.

 

Was haben Sie durch ihre Arbeit im Hospiz für den Umgang mit Krisen gelernt?

  • Leben Sie im Jetzt – verhaften Sie nicht in der Vergangenheit und schieben Sie die Sorgen um die Zukunft beiseite. Dann gehen Sie mit Ihren Sorgen, Nöten und Ängsten anders um.
  • Schultern Sie nicht das Leid der anderen. Fühlen Sie mit, lassen Sie das Schicksal der anderen wie durch ein Sieb durch sich durchfließen und dabei ihr Herz berühren – aber lassen Sie auch wieder los. Vergessen Sie nicht: Es ist das Schicksal der anderen.
  • Die Person, die mir jetzt gegenüber ist, ist jetzt am wichtigsten. Meinen persönlichen „Rucksack“ lasse ich währenddessen vor der Tür. Das kann übrigens auch dazu führen, dass ich ihn danach gar nicht mehr mitnehme.

 

Wie können wir auftanken?

Machen Sie sich Ihrer Kraft- und Seelenquellen bewusst: Ruhe, einen Spaziergang in der Natur, Sport, ein Gebet, ein gutes Gespräch… Werden Sie sich bewusst, was Ihnen guttut, was Ihnen Kraft spendet. Aber: Fragen Sie sich eben auch, was Ihrer Seele schadet. Seien Sie Ihr eigener “Seelsorger“.

 

Verena Gräfin von Plettenberg engagiert sich seit 30 Jahren in der Hospizbewegung sowohl als Hospizhelferin als auch als Seminarleiterin und ist Vorstandsmitglied des Fördervereins der Palliativstation München-Harlaching. Darüber hinaus gibt sie regelmäßige Einführungs- und Aufbaukurse zur Ausbildung von Krisenbegleitern/-innen und außerdem Workshops und Coachings für Unternehmen zu den Themen Work-Life Balance, Resilienz, Kommunikation, Krisenbewältigung und Burnout-Prophylaxe. Zudem arbeitet sie seit Jahren als selbstständige Lebens- und Konfliktberaterin in eigener Praxis.

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