Als Kind liebte ich den Fronleichnamstag. Die Natur bot in dieser Zeit scheinbar alles an Farben und Formen auf, das sie zur Verfügung hatte. Dann kam noch dieses Fest. Unglaublich geschmückte Altäre an den Häusern. Feierliche Umzüge. Prachtvoll gekleidete Menschen. Die Frauen mit ihren schwarzen Trachten, an deren Ausschnitt bunte Blumen befestigt waren.
Aber das Beste war mein voller Korb an Pfingstrosen- und Rosenblüten, die ich mit Bedacht so streute, dass ich auch am Ende des Umzugs noch etwas zur Verfügung hatte. Und die Lieder. Für mich: Ein Gesamtkunstwerk. Alle achteten auf Schönheit.
Wahrscheinlich ist mir der Kontrast zum Alltag deshalb so aufgefallen. Wenn es wieder ganz anders aussah. Die Stadt eher grau. Menschen in dezenter Kleidung. Kaum eine/r roch mal an den Rosen, die sich entgegenreckten. Geschweige denn, dass jemand auf seinem Weg gesungen hätte.
Wir müssen schon genauer hinsehen, um die Schönheit in allem zu entdecken. In der Natur ist das einfach. Alles ist grandios. Vom kleinsten Insekt bis zum Elefanten und dem grössten Baum der Welt, dem Küstenmammutbaum.
Was wir selbst gestalten, ist zuweilen ausgesprochen hässlich. Billigstes Plastikmaterial. Grauenhafte Farben. Lieblose Formen. Die neuen Spielereien unter dem Deckmantel „New Work“ mit bunten Polyesterhockern, knalligen Sideboards, scheinbar witzigen Dekosprüchen und -figürchen verschlimmbessern nur.
Wahre Schönheit geht tiefer. In der Kunst können wir sie entdecken.
Viel Freude auf Ihrer Entdeckungstour,
wünscht Ihnen Ihre Eva Mueller
Abb.: „Elefant“ von Katharina Fritsch in der Ausstellung „The Milk of Dreams“ von Cecilia Alemani, Biennale Venedig 2022, 1987, Polyester, Holz, Farbe, 420 x 160 x 380 cm
Auf der Biennale gibt es so viel Schönheit in den Pavillons und der Hauptausstellung von Cecilia Alemani zu entdecken. Weil die Schattenseiten unserer Zeit nicht übertüncht oder verhübscht werden. Hier der Elefant von Katharina Fritsch. Prominent im Eingang der Giardini, mit dem wunderbaren Himmels-Deckengemälde darüber. Auch als Mahnung, dass wir ihn – wie bereits so viele andere Tiere – in Zukunft nicht nur als Ausstellungsstück im Museum sehen können.
Die Künstlerin erhielt dieses Jahr den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.