StartBalanceeva muellers sunday artletter: IRRGLAUBE ODER NAIVITÄT?

eva muellers sunday artletter: IRRGLAUBE ODER NAIVITÄT?

Stellen Sie sich vor: Für Ihre Arbeit müssen Sie zuerst über Jahre hinweg Objekte mit einem ganz unverwechselbaren Stil entwickeln. (So schnell wird das nämlich nichts, es muss ja herausragen). Wenn Sie genügend vorzuzeigen haben, versuchen Sie Menschen dafür zu gewinnen, die sich selbst auch etwas davon versprechen – Anerkennung Sie entdeckt zu haben, ein herausragendes Ambiente, Publicity, Prestige, Status, Wohlbefinden.

Ihr ästhetischer Beitrag ist aus Ihrer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Sie gehören zu einer Gruppe, die immer wieder neue Aspekte und Anregungen in Ihr Umfeld tragen. Sie bewegen, inspirieren, verzaubern, verbinden, beflügeln, verschönern, berühren. Es gibt andere Länder, die Arbeiten wie Ihre verbieten.

Für Ihre Präsentation überlegen Sie sich – meist anhand eines Modells – ein besonderes Konzept für den Ort. Sie verpacken alles ganz sorgfältig. Organisieren den Transport. Übernehmen die Platzierung bei Ihren „Auftraggebern“.

Und jetzt kommt es: Damit wäre Ihr Part eigentlich erfüllt, oder?

Was passiert, wenn Ihr Gegenüber sich vorstellt, dass er/sie „Ihnen nur grosszügiger Weise die Räume zur Verfügung stellt“. Erwartet, dass Sie den Transport bezahlen, Ihre Hotelkosten, wenn Sie reisen, die Versicherung für den Transport – und wenn es ganz dicke kommt auch noch für die Bewirtung bei der Eröffnung und die Servicekraft, die Getränke ausschenkt und Snacks anbietet. Ein wirklich krasser Fall, den es glücklicherweise in den letzten Jahren nur noch selten in dieser Reinform gibt!

Wahrscheinlich haben Sie erraten, um welchen Beruf es sich handelt: Sie wären in dem Fall Künstler*in. Würden Sie die Bedingungen eingehen? Abwägen, was passieren würde, wenn sie ablehnen – noch dazu in so schwierigen Zeiten? Wenn Sie Ihre Arbeiten dann vielleicht gar nicht zeigen könnten?

Vor kurzem diskutierte ich über mehrere Kontakte hinweg diese Ausstellungsbedingungen mit dem Präsidenten einer staatlichen Behörde, der Künstler*innen seit Jahren solche Voraussetzungen vertraglich zusichern. Und sich nicht beschweren. Selbst schuld, meinen Sie?

Ist das gedankenlos? Naiv? Gewöhnung daran, dass wir als Betrachter- und Nutzniesser*innen es als selbstverständlich ansehen, mit Kunst und Kultur umgeben zu sein – ohne darüber nachzudenken, wie diejenigen eigentlich leben, die uns diese wichtigen Beiträge liefern?

Wie erwähnt, es gibt Länder, in denen Kunst und Kultur verboten oder zensiert, ihre Vertreter*innen verfolgt werden. Es ist an diesen Orten nicht gut leben. In der Geschichte zeigt sich der unmittelbare Zusammenhang von Kunst und Demokratie. Künstler*innen sind meist Einzelkämpfer*innen. Es fehlt die Lobby.

Umso wichtiger, dass Sie und ich darum wissen und sich für die Kunst und Kultur in diesem Land stark machen, Künstler*innen und ihre Arbeit wertschätzen – und bezahlen!

In diesem Sinne, mit herzlichem Gruss zum 4. Advent,

Ihre Eva Mueller

 

Abb. im Header: „Gibt es Wendepunkte die sich als Tiefpunkte erweisen | es gibt Tiefpunkte die sich als Wendepunkte erweisen.“ Imi Pramin 2017 | 16x30x2 cm | Edition des Künstlers Ossi Fink

Ein sehr tröstliches Werk von Ossi Fink in meinem Büro, das mich immer dann aufmuntert, wenn mich mangelndes Verständnis für die Kunst und Künstler*innen schmerzt. Und ganz allgemein sehr passend für unsere aktuelle Zeit!

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