Es tut sich was in den Führungsetagen – gerade in den größeren Unternehmen gibt es immer mehr Frauen an der Spitze. Doch von Ausgewogenheit kann noch keine Rede sein, es brauche es weitere konkrete Maßnahmen und „Male Allyship“, so die Botschaft des FidAR Forums 2023.
Das Gruppenbild dieses Vorstandsteams überrascht: Mit einem Frauenanteil im Vorstand von 100 Prozent ist die ÜSTRA Hannoversche Verkehrsbetriebe Aktiengesellschaft eine absolute Ausnahme in der deutschen Unternehmenslandschaft. Für die konsequente Erhöhung des Frauenanteils erhielt die ÜSTRA jetzt den „Women on Board“-Award der Initiative FidAR – Frauen in die Aufsichtsräte e.V.
Im aktuellen Ranking des Women on Board-Index 185 von FidAR liegt die ÜSTRA mit sieben Frauen im 20-köpfigen Aufsichtsrat (Frauenanteil: 35%) und drei Frauen an der Spitze (Elke Maria van Zadel, Vorstandsvorsitzende der ÜSTRA; Denise Hain, Vorständin für Betrieb und Personal und Regina Oelfke, Vorständin Finanzen und Recht) unangefochten vorn.
„Die ÜSTRA ist ein Paradebeispiel für ein börsennotiertes, öffentliches Unternehmen, das systematisch Frauen in die Führungsspitze geholt hat“, betont FidAR-Präsidentin Prof. Dr. Anja Seng. Seit Jahren arbeitet das Verkehrsunternehmen auf verschiedenen Ebenen daran, einen ausgewogenen Anteil von Frauen und Männern zu etablieren. „Dafür haben wir mehrere konkrete Maßnahmen getroffen“, erklärt Elke Maria van Zadel. Beispielsweise wurde ein bereichsübergreifendes Arbeitsteam „Frau in der ÜSTRA“ geschaffen, darüber hinaus wurden ein Frauenforum gegründet sowie Weiterbildungsangebote speziell für Frauen entwickelt. Seit der Einführung der Geschlechterquote im Aufsichtsrat im Jahr 2015 hat das niedersächsische Unternehmen den Frauenanteil im Aufsichtsrat von 25 Prozent auf 35 Prozent und im Vorstand von 0 auf 100 Prozent.
„Die Geschlechterquoten wirken deutlich schneller als erwartet“, erklärt Anja Seng mit Blick auf den gestiegenen Frauenanteil in Führungsgremien. So hat der Frauenanteil in den Vorständen der DAX-Konzerne zum Jahresbeginn einen neuen Höchststand erreicht, 59 der 259 Vorstandsposten im deutschen Leitindex DAX 40 sind laut WoB- und FidAR-Auswertung demnach mit Frauen besetzt. Nur noch in den Vorstandsetagen von Linde, Porsche SE und Sartorius regieren ausschließlich Männer.
Für die Trendwende sieht FidAR im Mindestbeteiligungsgebot den wichtigsten Hebel, das aktuell für 64 börsennotierte, paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern gilt. Zusätzlichen Rückenwind bringt die zum Jahreswechsel in Kraft getretene EU-Führungspositionen-Richtlinie – demnach sollen in Aufsichtsräten großer Börsenunternehmen in der EU künftig mindestens 40 Prozent Frauen oder Männer vertreten sein. Alternativ gilt für Aufsichtsrat und Vorstand eine Geschlechterquote von 33 Prozent.
Mehr Vielfalt für mehr Innovationen
„Gesetzliche Quoten wirken in den großen Unternehmen“, unterstreicht Bundesfrauenministerin Lisa Paus. Aber: „Jenseits davon gibt es noch viel Aufholbedarf.“ „Europa muss das volle Potenzial an Talenten mobilisieren, und das geht nur mit den Frauen und mit Diversity. Mehr Vielfalt führt auch zu mehr Innovationen“, appellierte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Video-Grußbotschaft. Sie hatte sich in ihrer damaligen Rolle als Bundesministerin schon früh mit FidAR für mehr Frauen in Führung eingesetzt. „Auf gesetzgeberischer Seite hat sich viel getan, aber der Druck ist weiter nötig“, so die Politikerin. „Alle können in ihren Organisationen jeden Tag zu mehr Gleichstellung beitragen.“
Wie das konkret aussehen kann, zeigten die Teilnehmenden der Panel-Diskussion im Rahmen des hybriden FidAR-Forums. Marcus Lueger, CFO Sanofi Deutschland, Österreich und Schweiz plädierte dafür, die Quote als Initialzündung zu sehen. Darüber hinaus müssten Unternehmen aber auch konkrete Möglichkeiten bieten. „Wann werde ich mich entwickeln? Wenn ich glaube, dass ich auch tatsächlich eine Chance habe“, so Lueger.
Dr. Britta Giesen, CEO der Pfeiffer Vacuum Technology AG bedauerte, dass es noch immer zu wenige Frauen in Führung und hier speziell im technischen Bereich gäbe. „Wir brauchen mehr Frauen, die auch in die Verantwortung wollen. Liebe Frauen, es braucht Euch“, ermutigte Giesen. Aus ihrer Sicht „habe sich erschreckend wenig bei den herrschenden Rollenbildern verändert“. Hier müsse schon im Kindergarten angesetzt werden, um Mädchen zu zeigen, dass sie auch gut mit Zahlen umgehen können.
Christine Wolff, Aufsichtsratsmitglied der Hochtief AG verweist auf ihre Erfahrungen aus Skandinavien, wo ganz selbstverständlich auch Männer längst ein Jahr Elternzeit nehmen. Wolff beobachtet, dass aufgrund der Reputation inzwischen auch Unternehmen Frauen den Weg nach oben erleichtern, die nicht die Quote erfüllen müssten. Aber, und dafür erntete Christine Wolff viel Applaus: „Die Zielgröße muss endlich 50 Prozent werden, warum sollte uns 30 Prozent reichen?“
Marc Tüngler, Aufsichtsratsvorsitzender der freenet AG sieht den Ball im Feld der Politik. Es müsse normaler werden, dass Frauen und Männer sich die Elternzeit teilen. Für Tüngler ist zudem der Aufsichtsrat ein wichtiger Startpunkt, denn der beschließe die Besetzung des Vorstands. Hier sei es wichtig, die Nachfolgeplanung im Auge zu haben, um auch Frauen aus der dritten oder vierten Ebene den Weg zu ebnen.
Monika Schulz-Strelow ist Gründungspräsidentin und Ehrenvorsitzende des 2006 gegründeten Vereins FidAR. Sie forderte in der Fragerunde deutlich mehr „Male Allyship“ – ihr Appell: „Wir brauchen auch die Männer, die jetzt laut werden.“