Als Schauspieldirektorin am Badischen Staatstheater in Karlsruhe durchbricht Anna Bergmann nicht nur vierte Wände, sondern auch dominante Macht- und Geschlechterverhältnisse. Mit durchaus weitreichenden Folgen. Eine Spielzeit lang hat sie ausschließlich mit Regisseurinnen gearbeitet.
Wie geht es Dir momentan? Wie nützt Du die Zeit?
Die ersten beiden Wochen habe ich gemeinsam mit meinem vierjährigen Sohn bei meiner Familie auf dem Land verbracht. Die waren zunächst einmal von einer Schockstarre geprägt. Ich hatte davor gerade damit begonnen, meine neue Produktion zu probieren, ein spartenübergreifendes, internationales Projekt. Nach zwei Tagen waren die Proben beendet und auf unbestimmte Zeit verschoben. Das war erstmal eine wirklich unangenehme Situation. Dann ging es sofort darum, Planungsszenarien zu entwerfen. Wir haben uns gefragt, wie es weitergehen kann und was das Theater in dieser Situation machen kann. Wir haben viele Stücke gelesen, viele Videokonferenzen abgehalten und probiert den Kontakt zum Ensemble zu halten. Niemand von uns wollte untätig sein in dieser Zeit.
Wie kann es weitergehen?
Es gibt viele offene Fragen. Da wäre zum Beispiel die Sache mit der Maskenpflicht, die anscheinend über Monate bestehen bleiben wird. Eine andere Frage ist, wie man die Schauspieler*innen auf die Bühne bringt. Monologe sind zwar eine Möglichkeit, aber nicht auf Dauer. Man muss sich also Formate überlegen, die mit den gegebenen Sicherheitsstandards vereinbar sind, aber trotzdem einen Anspruch auf Qualität und Unterhaltung haben. Darüber muss man sich Gedanken machen. Es ist schließlich so, dass Schauspieler*innen spucken, wenn sie Sprache produzieren. Viel stärker als wenn wir uns normal unterhalten.
Hast du das Gefühl, dass die Kultur bei den aktuellen Diskussionen einen eher geringen Stellenwert hat?
Das ist definitiv so. Glücklicherweise gibt es immer wieder Stimmen, die sagen, dass wir die Kultur brauchen, weil sie die Quintessenz unseres gemeinschaftlichen Lebens ist. Das sehe ich auch so. Ich hoffe sehr, dass es schnell Nachrichten dazu gibt, was möglich sein wird und unter welchen Voraussetzungen – mit konkreten Zahlen was die Anzahl der Menschen angeht. Sobald es dazu nähere Infos gibt, wissen wir wie wir weitermachen und planen können. Ich glaube, dass die Sehnsucht nach einem gemeinschaftlichen Erlebnis und nach neuen, interessanten Stoffen sehr stark sein wird. Man sieht es ja auch bei den Autokinos, die momentan unterschiedlich bespielt werden. Vielleicht wäre das ja auch für das Theater denkbar. Ich habe ein solches Format sogar schon einmal gesehen, im Stuttgarter Staatstheater gab einmal eine Inszenierung von René Pollesch in einem Autokino.
Wie kam es zu der Entscheidung eine Spielzeit lang nur mit Regisseurinnen zusammenzuarbeiten? Und –diese Frage drängt sich leider immer noch auf – wie schwer oder einfach war es, diesen Plan beim Theater »durchzubringen«?
Ich habe es mir sehr gewünscht, eines Tages eine Leitungsfunktion zu haben, weil es mir wichtig ist, eigene Vorstellungen zu verwirklichen und Dinge zu ändern. Als unser Generalintendant Peter Spuhler damals auf mich zukam und mich gefragt hat, ob ich Lust darauf hätte Schauspieldirektorin zu werden, war die Unterrepräsentation von Regisseurinnen in den deutschsprachigen Spielstätten ein Punkt, der mich sehr beschäftigt hat. Ich habe also gesagt, dass wenn ich diese Position einnehme, ich eine Quote von mindestens 80 Prozent Regie führender Frauen einführen möchte. Wir haben dann gemeinsam entschieden, dass wir eine Quote von 100 Prozent machen. Es war dann auch nicht nur für eine Spielzeit so, weil wir in der zweiten Spielzeit auf der Hauptbühne auch nur zwei Männer hatten. Und auch für die dritte Spielzeit planen wir nur mit einem Mann zusammenzuarbeiten. In der vierten Spielzeit möchten wir dann auf ein paritätisches Verhältnis kommen. Weil eigentlich muss es darum gehen, dass Frauen und Männer gleichwertig vertreten sind. Aber es war uns zunächst einmal wichtig, eine progressive und starke Entscheidung zu treffen, damit sich auch in anderen Betrieben etwas bewegt. Und das ist tatsächlich passiert. Zum Beispiel auch am Burgtheater in Wien. Jetzt gilt es zu beobachten, wie es weitergeht, zum Beispiel auch bei Intendanzen, die immer noch stärker von Männer besetzt sind als von Frauen. Auch was die Bezahlung betrifft, sollte es in Zukunft keine Unterschiede mehr geben.
Mein Gefühl ist, dass im Theaterbereich gerade der Regieberuf immer noch sehr männerdominiert ist. Haben Frauen ein anderes, vielleicht weniger hierarchisches Verständnis des Berufes oder ist das eher eine Generationenfrage?
Ich glaube, dass beides zutrifft. Meine Erfahrung ist, dass gerade junge Kolleginnen sehr antihierarchisch arbeiten und mehr im Team entschieden wird. Da frage ich mich schon ab und zu, ob ich nicht vielleicht sogar schon zur alten Schule gehöre, weil ich schon mit klarer Aufgabenzuweisung sehr strukturiert arbeite und da nicht ganz so diskussionsfreudig bin. Ich halte nichts davon, wenn alle künstlerischen Prozesse in einem demokratischen Prozess entschieden werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass es mir nicht wichtig ist, einen guten Umgang miteinander zu pflegen. Manchmal würde ich mir von den jungen Regisseurinnen ein bisschen mehr Durchsetzungsvermögen wünschen. Da merke ich schon, dass es zwischen Frauen und Männern noch immer deutliche Unterschiede gibt.
Ich habe kürzlich mit einer österreichischen Filmregisseurin gesprochen, die gemeint hat, dass die Welt aus der dominanten Männerperspektive bald »auserzählt ist«. Es aber immer noch viel zu wenige Erzählungen aus Perspektive der Frauen gibt. Siehst Du das auch so?
Auf jeden Fall war das auch für uns ein Anstoß, verstärkt mit Regisseurinnen zusammenzuarbeiten. Aber auch die Förderung von Autorinnen ist uns ein großes Anliegen. Wir möchten Autorinnen präsentieren, die vergessen wurden oder geben jungen Autorinnen den Auftrag Stücke zu schreiben. Das ist uns sehr wichtig. Man kann dauernd die altbekannten Klassiker herauskramen oder sich bemühen, neue Autorinnen zu entdecken.
Wie sieht es eigentlich mit der Familienfreundlichkeit in Theaterbetrieben aus?
Theaterbetriebe sind nicht familienfreundlich, alleine schon aufgrund der Arbeitszeiten. Wir bemühen uns gemeinsam mit den Regisseurinnen Lösungen zu finden, damit die Kinder gut betreut sind. Es ist jedoch alles andere als einfach, vor allem für alleinerziehende Frauen. Es ist zum Beispiel auch unglaublich schwer einen Kitaträger zu finden, der Spezialbetreuung abends anbietet. Auch über Betreuungsmöglichkeiten innerhalb des Theaters haben wir schon viel diskutiert, aber auch hier gibt es leider sehr viel Potenzial für Komplikationen.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn das Virus so weit im Griff ist, dass das Leben wie wir es gewohnt waren wieder möglich ist?
Ich freue mich, wenn ich meine Freunde und meine Lover wiedersehen darf. Die sind nämlich auf der ganzen Welt verstreut (lacht). Ansonsten freue ich mich natürlich auf meine Arbeit. Es wäre außerdem sehr schön, wenn ein normales Miteinander bald wieder möglich ist und alle gesund bleiben. Und wir vielleicht auch positive Dinge aus dieser Krise ziehen und sich manche Aspekte erhalten, wie zum Beispiel, dass weniger Flugreisen stattfinden und wir weniger konsumieren.