StartShedailyIm Bilde. "aufgeschnappt" von Nadia Weiss

Im Bilde. „aufgeschnappt“ von Nadia Weiss

Das zweite Wochenende in Corona-Quarantäne bringt genügend Zeit um mich eingehend der „Zeit“ zu widmen. Zu empfehlen etwa ein Artikel über „Habecks Männerwirtschaft“. Der grüne Wirtschaftsminister beruft kaum Frauen in die Top-Positionen seines Ressorts. Im Wahlkampf wurde von seiner Partei Anderes versprochen: Nämlich „Die Hälfte der Macht den Frauen“. Tja.

Mich ziehen jedoch Lippenbekenntnisse anderer Art tiefer in den Bann. Die „Zeit“ hat es geschafft, den ehemaligen „BILD“-Chefredakteur Julian Reichelt über die Hintergründe seines unfreiwilligen Abgangs vom Boulevard-Riesen zu befragen. Ein Scoop für das Blatt der liberalen Intellektuellen.

Julian Reichelt werden Machtmissbrauch und in diesem Zusammenhang sexuelle Beziehungen mit Mitarbeiterinnen vorgeworfen. Er sieht sich laut „Zeit“ als Opfer einer Lüge. Aus dem Text geht hervor, dass er sich auch als Opfer eines Zeitgeistes sieht, der Frauen zu Opfern stilisiert. Frauen seien hingegen stark und mündig genug, um sich gegen Übergriffe zu wehren.

Diese Argumentation ist nicht neu. „Es gibt immer zwei: Einen, der macht und Eine, die zulässt.“ Damit wird die feine, rote Linie zwischen Verführung und Gewalt zum Niemandsland erklärt.

Interessant bei Julian Reichelt ist die Auslegung der Bedeutung von verschwommenen Verhältnissen am Arbeitsplatz: „Es ist doch kein neues Phänomen, dass es Affären am Arbeitsplatz gibt. Die meisten Ehen entstehen im Job. Ich muss auch sagen, dass ich zwischenmenschliche Beziehungen, Reibung, Spannung  – zwischen Mann und Frau, Mann und Mann, Frau und Frau – für essentiell halte. Ich weiß von unzähligen Affären. In jeglicher Konstellation halte ich Spannung für etwas, das uns als Zivilisation ausmacht.“

Spannung, Reibung, Emotion, freie Liebe: Das Konzept hat bereits in einigen Kommunen und sonstigen Gesellschafsformen für ausreichend Konfliktstoff gesorgt. Am Arbeitsplatz möchten die allermeisten Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen und im besten der Fälle sinnstiftende Tätigkeiten ausüben. Sehr wichtig ist vielen Menschen, dass sie dafür und nicht für andere spannungsgeladene Vibrationen Wertschätzung erfahren.

Die Eingebungen und Visionen aus rauschhaften Nächten und ekstatischen Begegnungen verpuffen häufig im Lichte des Alltags. Kluge Köpfe wissen dies zu trennen.

 

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