StartShedailyDonnerstag"Im Brennpunkt": Falten

„Im Brennpunkt“: Falten

Mir ist es wichtig, dass ich für diese Generation echt und ehrlich bin, denn sie braucht starke Vorbilder“, ließ Kate Winslet vor kurzem die Welt wissen. Aktueller Anlass ist wohl ihre Rolle als Großmutter und Kommissarin, die die 45-Jährige in der neuen Netflix-Serie „Mare of Easttown“ spielt. Ungeschminkt, müde und dauergenervt trägt sie darin als Mare Sheehan die Spuren eines ramponierten Lebens zur Schau. Auch sonst sichert sich der britische Star gegen jegliche Form der Retouche ab: „Ich setze Verträge auf und lasse mir schriftlich versichern, dass bei mir keine Fotobearbeitung stattfindet“, sagt sie. Konkret bedeutet das: Ihr Gesicht darf nicht verschmälert, ihr Körper nicht verändert; Falten, Altersflecken oder Dellen dürfen nicht entfernt werden. Winslet möchte damit junge Frauen wissen lassen: „So perfekt sieht niemand aus – auch kein Hollywoodstar“.

Zwischen Lippenbekenntnis und Umsetzung liegt jedoch oft ein weiter Weg. Das bezeugen andere Promi-Statements wie die von Julia Roberts – „Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich Frauen die Chance nehmen zu sehen, wie sie im Alter wirken. Das möchte ich nicht“. Oder von Angelina Jolie, die das Älterwerden toll findet, obwohl ihre Begründung ein bisserl prosaisch ist: „Es bedeutet, dass ich gesund bin“. In ihrer medialen Darstellung wirken die beiden Schönen allerdings nach wie vor geradezu perfekt.

Eine der Lehren, die wir aus diesem Krisenjahr mitnehmen konnten, lautet aber: Hüte Dich vor Perfektionismus. Denn es kann immer etwas dazwischenkommen, was die mühsam gestaltete Fassade zum Einsturz bringt. Zwei besonders schillernde Beispiele aus den vergangenen zwölf Monaten dazu waren die Insolvenz von Wirecard oder die nicht rechtskräftige Verurteilung des ehemaligen, österreichischen Finanzministers Karl-Heinz Grasser. Mittlerweile gibt es eine ganze Industrie rund um den Anti-Perfektionismus. Ratgeber, Coachings, Seminare über das richtige Maß, das niemals ein perfektes sein kann. Auch sie bewegen sich auf theoretischem Boden. Denn natürlich sind alle, die im Berufsleben weiterkommen wollen, bestrebt, ihr Bestes zu geben. Träumen von Spitzennoten, wenn sie sich bilden oder weiterbilden oder von Produktinnovationen, mit dem Ziel alles Dagewesene in den Schatten zu stellen. Nicht wenige sind von schier unerreichbarem Perfektionismus getrieben – und scheitern vielleicht genau aus diesem Grund.

Dabei wirkt nichts gewinnender und überzeugender als Menschen, die den ungeschminkten Weg vorgehen. Von Kate Winslet lernen, heißt fürs Geschäftsleben zu lernen. Sie lebt das Modell vor, wie es gehen kann, gleichzeitig authentisch zu bleiben und trotzdem erfolgreich zu sein. Wie ihr das gelingt? Indem sie sich auf das konzentriert, was sie wirklich gut kann – und was sie für sich selbst erreichen und andere bewirken möchte. Klingt lächerlich einfach, ist aber ganz große Kunst. Und wer diesen Pfad einschlägt, liegt schon einmal ziemlich richtig.

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