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Metaverse: „Das Fehlen von Frauen ist eines der größten Probleme“

Was ist das Metaverse genau? Werden wir eines Tages tatsächlich alle mit VR-Brille im Home-Office sitzen? Und warum besteht im Metaverse ein Problem mit sexueller Belästigung? Die VR-Expertin Johanna Pirker gibt Einblicke in den derzeitigen Stand des Metaverse. 

Die großen Tech-Konzerne schießen sich immer mehr auf das Metaverse ein. Microsoft erwarb mit der fast 70 Milliarden US-Dollar schweren Übernahme des Gaming-Unternehmens Activision Blizzard wichtige Expertise für die Entwicklung des Metaverse. Facebook, das spätestens seit seiner Namensänderung in „Meta“ keine Zweifel mehr an seinen Intentionen zulässt, arbeitet am „leistungsstärksten Supercomputer der Welt“, um das Metaverse mit Strom zu versorgen. Was das Metaverse aber genau ist, das kann noch niemand so richtig sagen. Die Virtual Reality-Expertin Johanna Pirker erklärt im Interview die Idee hinter dem Begriff und spricht über die Chancen sowie über die Probleme des Metaverse.

Wie ist der derzeitige Stand des Metaverse?

Der Begriff Metaverse wird derzeit stark gehypt, die Idee dahinter gibt es jedoch bereits seit Jahrzehnten. Was Meta [Anm.: ehemals Facebook] derzeit plant, ist etwas Übergreifendes und darüber ist aktuell noch recht wenig bekannt. Was es jedoch bereits gibt, ist eine breite Expertise in Sachen virtuelle und online Welten.

Was wissen wir hier bereits?

Wir wissen zum Beispiel, dass sich Virtual Reality gut fürs Lernen, Arbeiten und für eine neue Art des sozialen Austauschs eignet. Die meisten Technologien in diesem Bereich kommen aus der Game-Szene. Hier sehe ich sehr viel Potenzial, auch für die Arbeitswelt kann man hier viel Lernen.

Was denn zum Beispiel?

Ein Beispiel ist das Videospiel World of Warcraft, das seit mehr als zehn Jahren existiert. Dort gibt es tausende Avatare, die in einer gemeinsamen virtuellen Welt herumlaufen und es funktioniert ohne Probleme. Auf der anderen Seite klappt es oft nicht, wenn sich zehn Leute für ein Meeting in einem Zoom-Call treffen wollen. Außerdem ist die Qualität des Zusammentreffens in einem Multi-Player-Game meiner Meinung nach etwas ganz anderes als in einem Video-Call.

In einem Video-Call sehe ich die Gesichter meiner Arbeitskolleg*innen, in einem Spiel nur ihre Avatare. Inwiefern ist das Spiel also persönlicher?

Es gibt Tools wie zum Beispiel Gather Town, die ein Büro simulieren. Während ich real im Home-Office sitze, sitzt mein Avatar in einem virtuellen Büroraum, den ich mir selbst einrichten kann. Der Vorteil ist, dass ich mit meinem Avatar nur in das Büro meiner Kolleg*innen gehen muss, wenn ich mit ihnen sprechen möchte, anstatt einen Zoom-Call zu planen. Das ist niederschwelliger und man spürt die Distanz deutlich weniger.

Gather Town ist eine Video-Chat Plattform in der jede*r Teilnehmer*in auch als Avatar existiert. Auf diesem Screenshot ist das virtuelle Büro von Johanna Pirker und ihren Kolleg*innen abgebildet.

Kommen wir nochmal konkret zum Begriff Metaverse zurück. Was ist denn überhaupt das Metaverse?

Es ist schwierig den Begriff zu definieren, da er ursprünglich aus der Science-Fiction Literatur kommt. Er tauchte erstmals 1991 in dem Roman Snow Crash von Neal Stephenson auf, wurde seitdem aber in viele unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt. Grundsätzlich ist die Idee, dass das Metaverse alle verschiedenen Arten von Welten in einer virtuellen Welt miteinander vereint, die eventuell auch über eine Virtual Reality Brille zugänglich ist.

Meta Microsoft, Samsung – alle großen Tech-Konzerne präsentieren derzeit ihre Vorstellungen vom Metaverse. Wer ist hier bereits am weitesten?

Das ist schwer zu sagen. Meta steckt sehr viel Geld und Ressourcen in die Forschung und hat mit der „Oculus Quest“ VR-Brille eine gut funktionierende sowie zugängliche Hardware-Technologie entwickelt. Microsoft hat hingegen eine hohe Game Expertise, die unter anderem durch den Kauf von Activision Blizzard mitakquiriert wurde. Die Game-Szene pusht stets neue Technologien, deshalb sehe ich hier viel Potenzial. 

„Das Arbeiten in virtuellen Welten bietet die Möglichkeit, remote zu arbeiten und gleichzeitig vollständig in das Team integriert zu sein. In hybriden Teams kommt es bisher leider häufig vor, dass Personen, die im Homeoffice arbeiten, untergehen.“

Werfen wir einen Blick in die Arbeitswelt. Wie wird das Arbeiten im Metaverse aussehen?

Ich sehe hier eine Chance für mehr Home-Office, bessere internationale Zusammenarbeit und die Entwicklung neuer Arbeitsformen. Insbesondere Frauen könnten meiner Meinung nach davon profitieren. Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert, sie ist immer noch darauf ausgelegt, dass Frauen mit den Kindern zu Hause bleiben. Das Arbeiten in virtuellen Welten bietet die Möglichkeit, remote zu arbeiten und gleichzeitig vollständig in das Team integriert zu sein. In hybriden Teams kommt es bisher leider häufig vor, dass Personen, die im Homeoffice arbeiten, untergehen.

Werden wir in Zukunft also tatsächlich mit VR-Brille im Home-Office sitzen?

In manchen Fällen kann das durchaus Sinn machen, etwa bei der Präsentation eines neuen Autos oder Fernwartung komplexer Maschinen. Es ist jedoch notwendig zu hinterfragen, wann Virtual Reality einen Mehrwert birgt und wann nicht. Nur, weil es eine coole, neue Technologie gibt, heißt das nicht, dass sie für jede Firma auch einen zusätzlichen Nutzen hat. Potenzial sehe ich zum Beispiel bei Designprozessen, Fernwartungen und Schulungen mithilfe von Digital Twins.

In den letzten Wochen haben sich Berichte über sexuelle Belästigung im Metaverse gehäuft. Schon im Internet gibt es keinen ausreichenden Schutz vor Gewalt, nun scheinen sich diese Probleme im Metaverse zu wiederholen. Was läuft hier falsch?

Es ist tragisch, dass wir jene Dinge, die an unserer Welt schrecklich sind, mit ins Metaverse nehmen. Wir hätten mit Virtual Reality die Gelegenheit, durchwegs positive Erfahrung zu ermöglichen. Zum Beispiel das Besteigen des Mount Everest trotz Rollstuhl. Stattdessen geschieht so etwas. Studien belegen, dass sich die Erfahrungen, die Menschen im Metaverse machen, für sie wirklich real anfühlen. Daher kann sich auch sexuelle Belästigung in Virtual Reality echt anfühlen und zu realen Traumata führen. Es müssen hier schnell neue Regeln aufgestellt und „safe spaces“ gebaut werden. Außerdem halte ich es für wichtig, mit Expert*innen aus der Psychologie, Soziologie, Ethik und vielen anderen Bereichen zusammen zu arbeiten. Das Metaverse muss inclusive sein.

Nur rund 25 Prozent der Informatik-Arbeitskräfte bei Meta sind Frauen. Wäre das Metaverse ein sichererer Ort für weiblich gelesene Personen, wenn mehr Frauen an der Entwicklung beteiligt wären?

Ein diverses Team ist für sämtliche neue Entwicklungen essenziell. Schon lange haben wir etwa das Problem rassistischer Algorithmen. Und zwar nicht, weil die Developer*innen rassistisch waren, sondern weil sie die Algorithmen aus ihrer Perspektive entwickelt haben und viele Dinge nicht miteinbezogen haben, weil sie sie nicht aus eigener Erfahrung kennen. Wir leben alle in unserer eigenen Bubble, daher ist es wichtig in jeder Entwicklung möglichst viele Perspektiven miteinzubeziehen. Jede Person, die neu dazu kommt, wird das Produkt etwa anders wahrnehmen und auf Fehler hinweisen. In der Entwicklung des Metaverse ist das Fehlen von Frauen in Teams bestimmt eines der größten Probleme.

Zur Person:
Dr. Johanna Pirker ist Assistenzprofessorin, Software Ingenieurin und Forscherin am Institut für Interactive Systems and Data Science der TU Graz. Ihre Forschungsinteressen umfassen KI, Datenanalyse, immersive Umgebungen (VR), Spieleforschung, Gamification-Strategien, HCI, E-Learning, CSE und IR. Sie hat zahlreiche Publikationen auf ihrem Gebiet verfasst und lehrte an Universitäten wie Harvard, der Humboldt-Universität Berlin oder der Universität Göttingen. Johanna Pirker wurde zudem auf der Forbes „30 Under 30 in Science and Healthcare“-Liste (2018) gelistet und mit dem „Women in Tech Award“ von Futurezone (2019), dem Käthe Leicher Award (2020) und dem Hedy-Lamarr Award (2021) ausgezeichnet.

Mehr Informationen zu Johanna Pirker finden Sie auf ihrer Website.

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