Seit mehr als zwanzig Jahren entwirft die Wiener Designerin Kleider, die durch den Tag tragen: Die vergangenen Monate haben ihre Botschaft verstärkt.
Die Boutique von Michel Mayer in der Wiener Innenstadt, ums Eck vom Stephansdom, ist gleichzeitig ihr Atelier. Durch den Verkaufsraum gelangt man in eine Bilderbuch-Kulisse mit Stoffballen, Schneidetisch und halbfertigen Modellen. Hier wird entworfen und direkt an der Kundin angepasst. Jeden Tag außer Sonntag kann man die Designerin bei der Arbeit antreffen. „Home Office funktioniert bei mir nicht“, sagt sie. Seit sie Mutter eines Sohnes ist, möchte sie den Wohnraum für Familienzeit reserviert lassen. Bis vor einem Jahr kamen zu den Arbeitstagen außer Haus Reisen zur Materialbeschaffung oder zu den „Golden Globes“ in Hollywood dazu. Mayer kleidete mehrere Stars für die wichtigste Gala neben der Oscar-Verleihung ein. Eine Wintersaison wie heuer hat sie noch nie erlebt: Keine Award-Shows, aber auch keine Ballsaison. In normalen Jahren war der Wiener Opernball ein Laufsteg für ihre Kreationen. Nun herrschen Ausgangsbeschränkungen. Wie geht sie damit um?
„Finanziell sind das natürlich große Einbußen“, erzählt sie. Der erste Lockdown vor nunmehr einem Jahr war für sie, wie wohl für alle anderen, ein Schock. Doch: „Daraufhin kam die Stille und aus dieser Stille heraus wieder die Kreativität und die Kraft, Dinge ganz anders zu denken.“
Sie nähte Masken, entwarf „No-Mask-Shirts“ mit integriertem Mund-Nasenschutz, die (geschäftlich) „unsere Rettung waren“, wie sie resümiert. Die bereits fertige Winterkollektion wurde neu bewertet. „Wer braucht das jetzt?“ war die Frage, die sie sich stellte und mit der sie sich den komplett neuen Rahmenbedingungen stellte. Statt vieler Abendkleider kam komfortable Kleidung aus hochwertigen Materialien und zeitlosen Schnitten ins Programm. „Meine Modelle waren immer klar und klassisch, aber das Bedürfnis danach wurde noch stärker“, sagt sie.
Auftrieb brachten neue Projekte. Der Auftrag Kostüme für einen Film zu entwerfen. Das Austesten von Möglichkeiten, für die früher keine Zeit war: „Aufgrund der unterbrochenen Lieferketten haben wir begonnen unsere Stoffe selber einzufärben.“ Mit dieser Methode entdeckte Michel Mayer, die eher den erdigen Tönen verbunden war, die Kraft der Farben. Ein Pfirsich-Rosa mit Nude-Tönen, Sorbet-Zitrone oder gedecktes Lavendelgrün – Michel Mayer schaut nach vorne: „Der Sommer wird so bunt wie nie.“