Für die einen längst überfällig, für andere ein herber Verlust: nach 16 Jahren bereitet sich Angela Merkel in diesen Tagen auf den Abschied aus dem Bundeskanzleramt in Berlin vor. Nach Jahren mit einer Frau an der Spitze des Staates wird künftig wieder ein Mann als Bundeskanzler den politischen Kurs der Bundesrepublik verantworten. Keine Frage – die abgelaufene Legislatur wird nicht als Zeitalter der Innovation in die Geschichte des Landes eingehen, die Mehrheit der Bundesbürger scheint sich nach einem Wechsel geradezu zu sehnen.
Der bedauernswerte Zustand ihrer Partei ist durchaus auf die unbestrittene Dominanz der Frau zurückzuführen, die es sehr bewusst in Kauf genommen hat, dass niemand an ihrer Seite groß wird. Die Frau, die über Jahre zu den mächtigsten Frauen auf dem Planeten gezählt wurde, hinterlässt die CDU als aufgeschreckten Hühnerhaufen, der nach der Wahlniederlage anmutet wie einst der Scheinriese Herr Tur Tur. Die Medien des Landes arbeiten sich in diesen Tagen und Wochen an der Bilanz der Angela Merkel ab. 766 Tage im Ausland verbracht, 69 Stunden im Bundestag gesprochen und so weiter… Von internationaler Bewunderung und prestigereichen Auszeichnungen für „unsere“ Kanzlerin bis zur tiefsten Verachtung mit Morddrohungen im eigenen Wahlkreis: die Meinungen über die Kanzlerin könnten nicht kontroverser ausfallen.
Über die Politik der Angela Merkel lässt sich durchaus vortrefflich streiten. Nicht aber über die Werte, die ich mit Angela Merkel verbinde. Morgens im Bundestag in Berlin, nachmittags in Brüssel mit nächtelangen Verhandlungen – immer auf Empfang, durchgehend unter Beobachtung. Wer bitte schön, hätte mit einer Frau tauschen wollen, die 16 Jahre gänzlich auf ein Privatleben verzichtet? An die Macht mit „unlauteren“ Mitteln? Machterhalt über undurchsichtige Geschäfte? Seilschaften außerhalb der Legalität? Bei Angela Merkel unvorstellbar. Niemand wird der Kanzlerin unterstellen, in die eigene Tasche gewirtschaftet oder sich über ihr Amt auch nur ansatzweise bereichert zu haben. Die Frau nach Ende ihrer Kanzlerschaft auf der Payroll eines internationalen Konzerns? Außerhalb meiner Fantasie.
Ich ziehe meinen Hut vor einer Persönlichkeit, bei der die Geschlechterfrage kein Thema ist. Die Geschicke der mächtigsten Wirtschaftsnation auf dem europäischen Kontinent in der Verantwortung einer Frau: noch vor nicht allzu langer Zeit unvorstellbar, heute selbstverständlich. Allein schon dafür gebührt der scheidenden Kanzlerin unsere Anerkennung. Frau Merkel – Sie haben sich auch um die Rolle der Frau in der Politik mehr als verdient gemacht.
Yvonne Molek
Herausgeberin SHEconomy