StartRolemodelsMut ist die beste Medizin

Mut ist die beste Medizin

Arzneimittel und Medizinprodukte herzustellen und zur Zulassung zu bringen, braucht viel Zeit und noch mehr Know-how. Die Medizinerin und klinische Forschungsexpertin Ghazaleh Gouya begleitet Start-ups aus dem Medtech- und Biotech-Bereich vom Anfang bis zur Marktreife, um nicht an den regulatorischen Hürden zu scheitern.

13 Jahre: So lange dauert es im Schnitt, bis ein Medikament durch verschiedene Studienphasen zur Marktreife gelangt. Noch länger, wenn am Weg dorthin das Geld ausgeht oder Fehler passieren. „Wissenschaftler:innen entdecken durch die Beforschung von Krankheiten und neuer Wirkstoffe oft innovative Möglichkeiten zur medizinischen Behandlung. Sollen diese Wirkstoffe in Zukunft Patient:innen zur Verfügung stehen, muss aber eine lange Liste an Anforderungen erfüllt werden,“ sagt Ghazaleh Gouya, Ärztin und Expertin für klinische Forschung und Zulassungsregulatorik. Die Pharmaindustrie hat ungleich mehr Ressourcen und regulatorische Expertise als Wissenschaftler:innen. Deshalb hat Guoya es sich 2016 zur Aufgabe gemacht, mit ihrem Unternehmen Gouya Insights Start-ups aus dem Biotech- und Medtech-Bereich bei der Entwicklung von Arzneimitteln und Medizinprodukten zu begleiten.

Stark reguliert und teuer

Die ersten Hürden treten bereits vor der Gründung der Start-ups auf, denn Forscher:innen fehlt oft das Know-how, um ein sogenanntes Target Product Profile (TPP) zu entwickeln, das vor den ersten Studien erstellt werden sollte. In ihm ist festgehalten, was der Anwendungsbereich des neuen Produktes ist, welche anderen Arzneimittel zur Behandlung bereits am Markt sind, in welcher Form das geplante Produkt auf den Markt kommt und vieles mehr. Gouya bringt jahrzehntelange Erfahrung im Forschungs- und Entwicklungsbereich mit und sieht sich und ihr Team daher als wertvolle Stütze für junge Unternehmen. Sie plädiert dafür, sich schon früh Unterstützung zu holen.

„Neue Medikamente und Medizinprodukte auf den Markt zu bringen, ist nicht nur zeitintensiv, es kostet auch wirklich viel Geld. Noch teurer wird es, wenn Start-ups Studienphasen nochmals durchführen müssen, weil sie gewisse Parameter aus Mangel an Erfahrung falsch ausgelegt haben. So etwas passiert. Aber mit der richtigen Unterstützung muss es nicht so passieren“, sagt Gouya.

Frauen immer noch unterrepräsentiert

Mittlerweile hat Gouya 18 Mitarbeiter:innen angestellt. Seit der Gründung von Gouya Insights 2016 hat sie Beratungsleistungen für die Entwicklung zahlreicher Produkte geliefert. Dabei sind ihr auch Innovationen untergekommen, die sie als bahnbrechend sieht. Dabei waren unter anderem Hepatitisimpfungen für Menschen, die bereits an Hepatitis leiden oder gynäkologische Produkte, die gegen Infektionen helfen. Über letztere zeigt sie sich auch deswegen erfreut, weil gynäkologische Themen immer noch tabubehaftet sind: „Diese Gebiete sind in der Forschung immer noch unterrepräsentiert. Gerade aus der Gynäkologie kommen die Ideen oft von Frauen.“

In der Wissenschaft sind Frauen bis heute generell unterrepräsentiert – vor allem in Führungspositionen – was auch gefährliche Auswüchse haben kann. Gender Gaps machen auf einem Auge blind, das zeigt sich in der Forschung nicht nur an weniger Frauen in Forschungstätigkeiten, sondern auch anhand weniger Frauen als Probanden klinischer Studien. Das führt in der Medizin zum Gender Data Gap, also zu einem Fehlen von Daten weiblicher Probanden in klinischen Studien. Aufgrund dieses Mangels kann es bei der Anwendung von Arzneimitteln bei Frauen zu Nebenwirkungen oder Überdosierungen kommen, weil diese hauptsächlich an Männern erprobt wurden.

Mehr Mut, mehr Fundings

Dass männlich geführte Start-ups auch im medizinischen Bereich höhere Fundings bekommen, macht Gouya stutzig: „Ich sehe, wie gut und erfolgreich weiblich geführte Start-ups arbeiten. Ich habe den Eindruck, dass Männer bei den Finanzierungsrunden einfach von vornherein nach größeren Beträgen fragen und sich diese Start-ups so länger absichern können. Frauen treten bescheidener auf und brauchen manchmal mehrere Finanzierungsrunden, weil sie nicht gleich auf den Tisch hauen und hohe Forderungen stellen.“

Dass Gouya selbst eine Frau aus der Forschung mit Führungsposition ist, hat mit guter Vernetzung, viel Erfahrung, daraus erwachsenem Selbstvertrauen und nicht zuletzt mit Mut an den entscheidenden Stellen zu tun. 2014 kam es zu einer Neuorientierung, sie verließ die Medizinuniversität Wien und begann für ein amerikanisches Auftragsforschungsinstitut zu arbeiten.

„Ich musste mich de facto selbstständig machen“

Ein Schlüsselmoment dort war, als sie ihrem US-amerikanischen Kollegen gegenübersaß, der zwar in Princeton, Harvard und Yale studiert hatte, ihr in Sachen klinischer Forschung aber nicht das Wasser reichen konnte. Das führte zu einem regelrechten Boost in ihrem Selbstvertrauen und schließlich zum Verlassen des Unternehmens: „Ich konnte dort eigentlich nicht mehr wachsen und mein ganzes Wissen aus der Forschung nicht ausschöpfen. Ich habe gekündigt und zuerst gedacht, ich würde eine Arztpraxis im niedergelassenen Bereich gründen. Aber ich habe gemerkt, dass ich mit meiner Erfahrung in der klinischen Forschung anderen Wissenschaftler:innen enorm helfen konnte, die weniger Expertise in Zulassungsverfahren hatten. Irgendwann hat man mich nach einer Honorarnote für meine Dienstleistungen gefragt. Also musste ich mich de facto selbstständig machen“, erzählt Gouya. Heute hilft sie jungen Unternehmen über die Landesgrenzen hinweg, Arzneimittel auf den Markt zu bringen. Bis Ende des Jahres will sie mit Gouya Insights auf 20 Mitarbeiter:innen wachsen.

Ghazaleh Gouya stammt aus Teheran und zog mit ihren Eltern aufgrund der islamischen Revolution Ende der 70er-Jahre nach Wien. Sie hat in Wien studiert und in den USA, Großbritannien, der Schweiz und an mehreren klinischen Standorten in Österreich gearbeitet, die Facharztprüfung als Internistin, Kardiologin und klinische Pharmakologin abgelegt und sich mit ihrer Forschung in der Inneren Medizin habilitiert. Gouya hat zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann in Niederösterreich.

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