StartMoneyInvestÖko-Entscheid für Gas und Atom: Was die EU-Taxonomie für Investments bedeutet

Öko-Entscheid für Gas und Atom: Was die EU-Taxonomie für Investments bedeutet

Jennifer Brockerhoff, Eco-Anlageberaterin und Expertin für nachhaltige Finanzen  ordnet für Sheconomy die aktuelle Taxonomie-Entscheidung der EU ein.

 

Frau Brockerhoff, seit Monaten gibt es in der EU Diskussionen darüber, ob Investitionen in Gas- und Atomenergie als nachhaltige Geschäftstätigkeiten eingestuft werden können. Nun gab es eine Abstimmung dazu, die hier grünes Licht gibt. Was bedeutet diese Entscheidung konkret für Unternehmen und Verbraucher? 

Um dieses Abstimmungsergebnis des EU-Parlaments zu verstehen, ist es hilfreich einen kurzen Rückblick auf den Weg bis zu dieser Entscheidung zu werfen. Der französische EU-Parlamentarier und führender Taxonomie-Verhandler des Europaparlaments Pascal Canfin, hat in eine von ihm hauptsächlich ausgearbeiteten Vorschlag, die Aufnahme von Atomstrom und Erdgas unter bestimmten Voraussetzungen empfohlen. Die große Abhängigkeit von Frankreich von Energie aus der Vielzahl von zum Teil maroden Atommeilern und die Abhängigkeit Deutschlands von der Energiegewinnung aus fossilem Gas spielte bei diesem Entwurf sicherlich eine große Rolle. Die Vorschläge der „Platform on Sustainable Finance“  mit zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden hierbei nicht gehört. Durch diese Entscheidung könnte staatliches und privates Geld ganz taxonomiekonform in Atomkraft und Gas fließen.

Immer mehr Unternehmen sind von der EU-Taxonomie betroffen. Bisher mussten Finanzunternehmen und große Firmen berichten, inwiefern ihre Geschäftstätigkeiten taxonomiefähig sind. Nun müssen Mittelständler evaluieren, ob sie direkt oder indirekt betroffen sind. Die aktuelle Abstimmung spielt natürlich eine Rolle bei der Einordnung ihrer nachhaltigen oder nicht-nachhaltigen Geschäftstätigkeit und dabei, wohin zukünftig mehr Investorengelder fließen.

Im Zuge der baldigen Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen in Kundengesprächen ab dem 2. August 2022 könnte die Angabe einer gewünschten Taxonomie-Quote von 50% automatisch Atomkraft und Gas beinhalten. Hier ist Aufklärung des Verbrauchers extrem wichtig!

 

Wie sicher ist es, dass diese Entscheidung Bestand hat? Greenpeace hat ja z.B. angekündigt, dagegen zu klagen? 

Klagen seitens mehrerer NGOs wie Greenpeace, WWF oder der Deutschen Umwelthilfe werden überlegt und auch von den Ländern Österreich und Luxemburg geplant. Ich habe persönlich wenig Hoffnung, dass diese erfolgreich sein werden.

 

Warum sind aus Ihrer Sicht Kernenergie und Gas nicht als nachhaltig anzusehen? 

Gerne werden Atomkraft und fossiles Gas als Übergangs- oder Brückentechnologie genannt. Mir kommt es mehr vor, als würden diese Wörter als Ausrede für die vertane Zeit und die verfehlte Energiepolitik der letzten 10-20 Jahre verwendet.

Die Planung und der Bau von neuen Atommeilern dauert in der Regel 10-15 Jahre; wir haben heute immer noch ein Endlager-Problem für bestehenden Atommüll, außerdem gibt es keinen Schutz vor Reaktorkatastrophen. Der jetzige Krieg in der Ukraine führt uns außerdem vor Augen, wie bedrohlich atomare Aufrüstung ist.

Der C02 Ausstoß von Gas im Vergleich zu Kohle und Öl ist zwar deutlich niedriger. Jedoch entweicht bei der Förderung und durch Leckagen große Mengen an Methan, der in den ersten 20 Jahren ca. 87-mal schädlicher ist. Die Förderung und Nutzung von Gas als „nachhaltige“ Energiequelle verlangsamt außerdem den dringend benötigten Ausbau von erneuerbaren Energiequellen aus Wind und Solar.

 

Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Entscheidung auf die Finanzbranche auswirken? 

Das Thema nachhaltige Geldanlagen wurde und wird nach wie vor von den meisten konventionellen Finanzhäusern kritisch beäugt. Die Weiterbildung von Mitarbeitern geht im Schneckentempo voran und das bürokratische Monster Taxonomie ruft keine Begeisterung hervor. In Teilen kann ich die Stimmung nachvollziehen, da es in den letzten Jahren mehrere Regulierungswellen gegeben hat. Wir sollten uns jedoch auf das Warum der Taxonomie konzentrieren und die wichtige Rolle des Finanzmarktes bei der Eindämmung des Klimawandels. Über das Wie müssen wir uns richtigerweise ständig neu auseinandersetzen.

 

Was wird sich für Ihre Arbeit verändern? 

Die sowieso schon sehr ausführlichen Beratungsgespräche werden nochmals zeitlich verlängert werden. Neben meiner Beratertätigkeit habe ich bereits 2 Bücher zum Thema nachhaltige Geldanlagen geschrieben, um ein noch größeres Publikum zu erreichen. Zum Jahresende möchte ich meinen ersten Onlinekurs zu diesem Thema anbieten, um interessierte Anleger*innen über das komplexe Thema nachhaltige Geldanlagen aufzuklären.

 

Jennifer Brockerhoff, Finanzberaterin und Nachhaltigkeitsexpertin aus Düsseldorf, hat gerade ihr Buch „Grüne Finanzen: der Ratgeber für Einsteiger*innen“ veröffentlicht. Es bietet fundiertes und verständlich aufbereitetes Grundlagenwissen, um umwelt- und sozialverträglich vorzusorgen und zu investieren. Ihr neues Buch erscheint im August.

 

Die EU-Taxonomie ist ein Regelwerk zur Definition von Nachhaltigkeit. Hohe Relevanz bekommt sie insbesondere am Kapitalmarkt, sie ist für Unternehmen und Investoren gleichermaßen als Maßstab zu sehen. Investoren erkennen anhand der klaren Kriterien und genauen Messgrößen des Regelwerks, ob ein Unternehmen nachhaltig wirtschaftet – oder eher nicht. So sollen mehr Gelder in nachhaltige Unternehmen und Technologien gelenkt und zugleich der Green Deal der Europäischen Union unterstützt werden. Ziel dieses Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums: Bis zum Jahr 2050 soll Europa klimaneutral werden. Bereits bis 2030 soll mit dem EU-Maßnahmenpaket „Fit for 55″ der Ausstoß an Treibhausgasen um 55 Prozent gesenkt werden. Die Taxonomie im Sinne eines „einheitlichen Verfahrens“ schafft die Grundlage dafür, indem sie ein EU-weites Verständnis von Nachhaltigkeit festlegt. (Quelle: LBBW)

 

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