Drehen wir die Situation kurz einmal um. Setzen wir 30 weibliche Vorständinnen, Aufsichtsrätinnen oder CEOs möglichst dicht aneinander gereiht rund um einen Tisch. Benennen wir das Setting „Businesslunch“ und die Veranstaltung „Sicherheitskonferenz“. Weil es bei diesem wichtigen Thema nicht nur um Wissen, sondern auch um Erfahrung geht, tragen einige der Damen bereits Grau in ihrem Haar. Das Foto wird auf Social Media gepostet; die Kommentare sind vorhersehbar: Die Frauen freuen sich über „so viel geballte Frauenpower“. Viele Männer kommentieren auf Witzchenebene: „Damenkränzchen bei der Sicherheitskonferenz“ – wobei es auch einige unter ihnen gibt, die es ganz toll finden, „dass sich die Zeiten endlich ändern“.
Dieses Bild ist wie aus einer anderen Welt. Es ist aber keine andere Welt. Es ist Realität im Jahr 2022. So sieht das CEO Lunch auf der #MSC2022 aus. Hier ist Macht und hier fehlen Frauen. Wir haben noch sehr viel zu tun. Foto via @MichaelBroecker pic.twitter.com/rb7U3yABDI
— Sawsan Chebli (@SawsanChebli) February 19, 2022
Aber es war nicht so, wie ich es hier skizziere. Denn auf dem Bild, das in den vergangenen zwei Tagen viral ging, war es exakt umgekehrt: 30 amtierende oder ehemalige CEOs trafen einander im Rahmen der 58. Münchner Sicherheitskonferenz beim Lunch – und: Es saß keine einzige Frau dabei. Ein Old Boys-Treffen wie aus dem Bilderbuch. Posterinnen und politische Influencerinnen empörten sich berechtigterweise; die Poster hingegen versuchten die Wellen zu glätten: Es gäbe nun mal keine Frauen unter den DAX-Vorständen. Was nicht stimmt – die Medizinerin und Top-Mangerin Belen Garijo startete vor einem Jahr als Konzernchefin bei Merck. Die 2021 in Deutschland eingeführte Frauenquote führte dazu, dass bei Neubesetzungen in DAX-Konzernen bereits 42 Prozent aller Top-Positionen weiblich waren.
Ein weiteres Argument lautete: Es gehe doch um Sicherheitspolitik, also Rüstungsindustrie – da gäbe es nun wirklich keine Frauen. Auch das ist falsch: Die Juristin und ehemalige Luftfahrt-Industrielle Martine Dornier-Tiefenthaler, die jahrelang gegen EADS vorging, wäre eine Einladung wert gewesen. Martina Merz ist Vorstands-Vorsitzende bei Thyssen. Im Vorstand von MAN und Executive Board von Jenoptik (Defense & Civil Systems) sitzen Frauen.
Fünf Minuten auf Google – und man findet all diese CEOs und Top-Managerinnen (wenn man es zuvor nicht ohnedies schon gewusst hat). Zehn Minuten, und man findet vermutlich doppelt so viele. Der einfache Weg aber ist, zu behaupten: Es hat sich keine Frau gefunden. Und wieder einmal nehmen ihn viel zu viele unwidersprochen hin. „Dieses Bild ist wie aus einer anderen Welt. Es ist aber keine andere Welt. Es ist Realität im Jahr 2022“, twitterte die SPD-Politikerin Sawsan Chebli, „…hier ist Macht und hier fehlen Frauen. Wir haben noch sehr viel zu tun.“ Deshalb lasst uns keine Ruhe geben.