Das bedeutendste Akademikerinnen-Netzwerk in Österreich feiert heuer sein 100-Jähriges Bestehen. Es wurde zu einer Zeit gegründet, als Frauen noch hart um ihr Studium kämpfen mussten.
Zum Jubiläum fand an der Universität Wien eine hochkarätig besetzte akademische Festveranstaltung statt, bei der gemeinsam mit internationalen Gästen aus korrespondierenden europäischen Vereinigungen rege über aktuelle Themen, Probleme und Entwicklungen diskutiert wurde.
Ein Blick zurück zu den Anfängen
Am 14. Mai 1922 erschien im Wiener Tagblatt der Aufruf „an alle Frauen, die an der Universität oder an einer staatlichen, als gleichwertig anerkannten Hochschule abschließende Prüfungen gemacht haben“, einen unpolitischen Verband zur Vernetzung und Förderung von Akademikerinnen zu bilden.
Die Initiatorin hinter diesem Aufruf: Elise Richter. Sie wurde 1865 als Tochter eines jüdischen Arztes in Wien geboren und wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Im Verlauf ihrer Ausbildung und Karriere fiel sie gleich mehrmals als Pionierin auf. Nachdem es 1896 Frauen gestattet wurde, zur Reifeprüfung anzutreten, legte Richter 32-Jährig als Externistin am Akademischen Gymnasium in Wien die Matura ab – als erste Frau.
Ein Jahr später wurden Frauen auch an der philosophischen Fakultät der Universität Wien zugelassen. Richter inskribierte klassische Philologie, Indogermanistik und Romanistik als ordentliche Hörerin. Sie schloss ihr Studium 1901 mit der Promotion zum Doktor der Philosophie ab und habilitierte 1905 als erste Frau an der Universität Wien. Anschließend lehrte sie dort als Privatdozentin. Ihre Antrittsvorlesung im Herbst 1907 – die erste einer Frau im deutschsprachigen Raum – löste erhebliche Proteste durch klerikale und nationale Studenten aus, die ihre Lehrtätigkeit zu sabotieren versuchten. Als Anlass nahmen diese nicht nur Richters Geschlecht, sondern auch ihre jüdische Herkunft. Der männliche Gegenwind begleitete Richter ihre gesamte akademische Laufbahn.
Vor diesem Hintergrund gründete Richter 1922 schließlich den Verband der Akademikerinnen Österreichs. Ähnliche Zusammenschlüsse gab es damals bereits in den USA und in Großbritannien, mit denen Richter in regem Kontakt stand. In den darauffolgenden Jahren wuchsen die Mitgliederzahlen stark an. Anfang der 1930er zählte der Verband 739 Mitglieder.
Zweiter Weltkrieg
Mit den politischen Unruhen in Österreich und der anschließenden Machtübernahme Hitlers mussten die Akademikerinnen ihre Arbeit einstellen. Der Verband wurde 1938 zwangsaufgelöst. Die transnationalen Akademikerinnen-Netzwerke, die sich zwischen den Weltkriegen gebildet hatten, kamen aber nicht zum Erliegen. Ganz im Sinne der Gründungsidee, bemühten sich nationale Verbände und der Weltverband der Akademikerinnen (GWI) darum, ihre Kolleginnen aus den betroffenen Ländern herauszuholen oder sie anderweitig zu unterstützen.
Elise Richter wurde im KZ Theresienstadt ermordet
Mit Beginn des zweiten Weltkrieges wurde es so gut wie unmöglich, Personen aus dem Land zu holen. Elise Richter, die laut der nationalsozialistischen Nürnberger Gesetze als Jüdin galt, wurde mit dem „Anschluss” Österreichs die Lehrbefugnis entzogen und sie verlor ihre Lebensgrundlage. Von da an wurden ihre ältere Schwester Helene und sie von der GWI finanziell unterstützt. Im Oktober 1942 wurden beide in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo Helene Richter bereits am 8. November 1942 und Elise Richter am 21. Juni 1943 verstarben.
Neubeginn 1945
Nach dem Ende des Krieges begannen 1945 einige der alten Mitglieder des VAÖ wieder Kontakt zueinander aufzunehmen und den Verband erneut aufzubauen. In den ersten Jahren nach dem Krieg konzentrierte sich ihre Arbeit vor allem darauf, die Verbandsmitglieder zu unterstützen. Die Ressourcen ließen es erst in den 1950er Jahren zu, die Tätigkeiten wieder vermehrt nach außen zu richten. Im November 1952 zählte der Verband österreichweit 859 Mitglieder. Um die verschiedenen Interessen und Aufgaben im Verband besser verteilen zu können, entstanden im Laufe der Jahre immer mehr Ausschüsse und Arbeitsgruppen.
1971 wurde ein Studentinnenheim in Wien, 1982 eines in Graz, eröffnet – beide vom VAÖ finanziert. Zwei prominente Mitglieder aus dieser Zeit waren unter anderem die damalige Bundesministerin für Wissenschaft und Lehre Dr.in Herta Firnberg und die Wiener Stadträtin Dr.in Alma Motzko. Letztere vermachte Ende der 60er Jahre dem Verband 100.000 Schilling zur Förderung von Akademikerinnen. Der VAÖ richtete daraufhin den Dr.-Alma-Motzko-Fond ein, der bis heute dafür genutzt wird, wissenschaftliche Forschungen von Jungakademikerinnen zu fördern.
Der VAÖ heute – Erreichtes halten, Missstände aufzeigen
Braucht es heute angesichts von vielen Frauen mit akademischem Abschluss überhaupt noch einen Verband der Akademikerinnen? VAÖ-Präsidentin Maria Tiefenthaller beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja!
„Es gilt, Erreichtes zu erhalten und weiterhin die Gleichwertigkeit der Frauen zu fordern, Missstände aufzuzeigen und dazu Stellung zu nehmen und auch mutig Tabuthemen in Angriff zu nehmen.”
Zudem engagieren sich die Mitglieder des VAÖ seit Jahrzehnten als Repräsentantinnen der Graduate Women International (GWI) an der UNO in Wien und der University Women Europe (UWE). Auf nationaler Ebene ist der Verband mit UN-Women, PRO SCIENTIA, dem BÖFV (Bund österreichischer Frauenvereine), dem Frauenring und dem Frauenrat vernetzt.
Ein ganz wesentliches Ziel des Verbands, der sich als generationenübergreifend, überparteilich, gemeinnützig und interkulturell versteht, ist es, den Austausch zwischen qualifizierten und engagierten Frauen auf der ganzen Welt zu ermöglichen. Durch das Netzwerk entstehen internationale Kontakte, die häufig in lebenslangen Freundschaften münden.
Geschlechtergerechtigkeit muss stets neu verhandelt werden
Gabriella Hauch Universitätsprofessorin für Geschichte der Neuzeit/Frauen- und Geschlechtergeschichte, appelliert angesichts der aktuellen weltweiten Krisen, die Wissenschaften weiter zu fördern und neue Instrumentarien zu entwickeln, welche in der Zukunft allen Menschen auf der Welt ein gutes Leben sichern. „Das kann nur in einer geschlechtergerechten Gesellschaft – und damit einer frauenfreundlichen – geschehen.”
Trotz verfassungsrechtlicher Gleichstellung der Geschlechter gelte es Gleichstellung als Prozess zu sehen, in dem die Geschlechtergerechtigkeit stets neu verhandelt und verortet werden muss, meint Silvia Ulrich vom Institut für Legal Gender Studies.
Eine aktuelle Bestandsaufnahme zeige, dass vieles erreicht wurde – nicht zuletzt durch das Engagement der vielen Pionierinnen aus den Reihen des VÖA. Es gebe aber nach wie vor auch viele ungelöste „Baustellen“. Durch antiemanzipatorische Bewegungen geraten Frauen heute zusätzlich unter Druck. Aber, so Ulrich, „Gleichheit, (Gewalt-)Freiheit und Selbstbestimmung sind das unverrückbare Fundament für geschlechtergerechte Lebensverhältnisse”.