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„Vereinbarkeit ist für Alleinerzieherinnen viel schwieriger zu erreichen“

Den August widmet sheconomy dem Thema Vereinbarkeit. Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, ist mit viel Aufwand, Planungsstress und Hindernissen verbunden. Umso wichtiger ist es, Aufmerksamkeit auf das Problem zu lenken und Rolemodels zu Wort kommen zu lassen, die das Thema aus ihrer Perspektive und Erfahrung beleuchten.

Ein Gastkommentar von Andrea Czak

Alleinerzieherinnen als auch ihre Kinder gehören zu einer der Bevölkerungsgruppen in Österreich, die am stärksten von Armut und Ausgrenzung bedroht sind. Ihr Alltag ist durch die Vielfachbelastungen des täglichen Lebens sehr herausfordernd. Kommt noch ein gerichtliches Unterhalts- oder Pflegschaftsverfahren hinzu, ist die dadurch entstehende Zusatzbelastung kaum zu stemmen – weder zeitlich noch finanziell oder emotional. Hier schließt der Verein der Feministischen Alleinerzieherinnen – FEM.A – eine wichtige Lücke.

Empowerment für alleinerziehende Mütter

Immer mehr alleinerziehende Mütter sehen sich mit gerichtlichen Pflegschafts- und Unterhaltsverfahren konfrontiert. Organisationen wie Frauenberatungsstellen, Gewaltschutzzentren und Frauenhäuser berichten aktuell sowohl von einem starken Anstieg an Beratungsbedarf zu diesem spezifischen Thema als auch von ihrer eigenen fachlichen Überforderung, da das Thema außerhalb ihrer Expertise liegt. Um diese Lücke zu schließen, habe ich FEM.A gegründet. Der Verein Feministische Alleinerzieherinnen ist in Österreich mit seinem Beratungs- und Serviceangebot rund um die Themen Unterhalt, Obsorge und Kontaktrecht einzigartig. Dieses Angebot reicht von kostenlosen Webinaren mit Rechtsanwält*innen und Psycholog*innen über Entlastungsgespräche am FEM.A Telefon (welches drei Stunden täglich kostenlos in Anspruch genommen werden kann) bis hin zu Informationen auf der Website, einem regelmäßigen Newsletter sowie Informationen auf diversen Social-Media-Kanälen, gegenseitiger Vernetzung, gemeinsamer Erfahrungsaustausch und Lobbying.

Wir bieten Alleinerzieherinnen rasche und niederschwellige Unterstützung durch eine Bündelung der Angebote und die Vereinfachung des Informationszugangs und der Unterstützungsangebote an. Außerdem legen wir ein Augenmerk auf die psychosoziale Entlastung der Mütter mit besonderem Fokus auf die Zusatzbelastung durch Pflegschafts- und Unterhaltsverfahren. Das Ziel ist es, alleinerziehende Mütter zu stärken und zu empowern.

Unbezahlte Care-Arbeit und Mental Load

Vereinbarkeit ist für Alleinerzieherinnen viel schwieriger zu erreichen als für Mütter in Paarfamilien, die ja selbst schon oft große Schwierigkeiten haben, Beruf und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen. Die unbezahlte Care-Arbeit und der Mental Load bleiben oftmals an ihnen hängen. Was ist die Care-Arbeit? Darunter fallen Tätigkeiten wie Hausarbeit und Kinderbetreuung, die Voraussetzung für den Erhalt des Menschen und der Erwerbsarbeit sind, jedoch sind sie meist unbezahlt. Der Großteil dieser unbezahlten Care-Arbeit wird von Müttern geleistet. Statistiken zeigen, dass sich hier die meisten Väter wenig einbringen. Das führt bei alleinerziehenden Müttern zu einer Doppel- und Mehrfachbelastung, die sich nachteilig auf ihr Gehalt, ihre Erwerbssituation und Karriere auswirkt. Auch ihre verfügbare Freizeit und die Gesundheit leiden darunter. Die Problematik der Verteilung von unbezahlter Arbeit und die Mehrfachbelastung von Alleinerzieherinnen wurde durch die Corona-Pandemie 2020 verdeutlicht, wobei die Ungleichheit unter anderem durch Homeoffice und Homeschooling oftmals verstärkt wurde.

Der Mental Load hingegen ist die Last der unsichtbaren Aufgaben im „Unternehmen Ein-Eltern-Familie“, welche oftmals auf den Schultern der Alleinerzieherin lastet. Nicht nur das Abarbeiten von notwendigen Tätigkeiten, die sich in einer Alleinerzieherinnenfamilie ergeben, zählt dazu, sondern vor allem auch das Daran-Denken, Planen, Organisieren und Umsetzen. Der Mental Load umfasst die sogenannte „Wichtelarbeit“ wie die Organisation von Kindergeburtstagen und anderen Feiern, das Überlegen und Besorgen von Geschenken zu Ostern, Weihnachten und Geburtstagen und die Gefühlsarbeit mit und für Kinder. Diese Arbeit ist unsichtbar und unbezahlt. Das Abgeben der Durchführung an die Großeltern oder den Kindesvater mildert den Mental Load nicht.

Was können also Alleinerzieherinnen tun, um die unbezahlte Care-Arbeit und den Mental Load nicht alleine tragen zu müssen? Das Wichtigste ist, die Aufgaben an Großeltern, Kindesväter und Freund*innen zu verteilen. Idealerweise werden ganze Aufgabenpakete vergeben und regelmäßige Nachbesprechungen mit den Bezugspersonen eingeplant. Wenn möglich kann die Verantwortung zeitweise auch an die (größeren) Kinder abgeben werden. Die dadurch gewonnene Freizeit sollte nicht mit neuen To-Do‘s gefüllt werden. Wichtig ist vor allem eines: Mit den Großeltern, den Kindervätern und den Kindern selbst – reden, reden, reden …

Ein verlässliches Netzwerk ist Gold wert

Wenn eine gute Beziehung zum Kindesvater besteht, ist es wichtig, die Aufteilung des Mental Loads einzufordern, den Erfahrungs- und Kompetenzvorsprung an die Ex-Partner weiterzugeben und den Perfektionismus zu reduzieren. Wenn Alleinerzieherinnen es schaffen, dem Ex-Partner etwas zuzutrauen und ihn seine eigenen Erfahrungen sammeln zu lassen, kann auch das zu ihrer Entlastung beitragen. Wichtig ist, die Aufgaben möglichst detailliert mitzuteilen und die Bereitschaft aufzubauen, Verantwortung in der Care-Arbeit abzugeben.

Die Mütter, die bei uns Hilfe suchen, sind aufgrund ihrer Gerichtserfahrungen mehrfachbelastet. Oft bekommen sie leider keine Unterstützung durch die Kindesväter, die nicht selten längere Kontaktrechtszeiten nur deshalb einfordern, um Unterhalt zu sparen. Die Mütter sind also oft allein, was die Kinderbetreuung angeht und haben eine zusätzliche Belastung durch kostenintensive und langjährige Gerichtsverfahren in Pflegschafts- oder Unterhaltsverfahren. Das stellt eine massive psychische Belastung für sie dar. Hier eine Vereinbarkeit zwischen Arbeit, Kinderbetreuung, Gerichtsverfahrung und Fürsorge für sich selbst zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen. Es ist sehr wichtig, sich gute und verlässliche Netzwerke aufzubauen, die unterstützend da sind, wenn das Kind krank wird oder wieder einmal ein Schreiben vom Familiengericht ins Haus flattert.

Ich persönlich hatte das Glück, dass sich meine Eltern um meine Tochter gekümmert haben, als sie noch kleiner war, da ich immer Vollzeit arbeiten gegangen bin. Des Weiteren wohne ich in einer Stadt wie Wien, die eine hohe Dichte an ganzjährigen Kinderbetreuungsstätten aufweist. Nicht jede Mutter hat diese Möglichkeiten und Unterstützung, da selbst in der zweitgrößten Stadt Österreichs, nämlich Graz, nicht flächendeckend eine ganztätige Kinderbetreuung angeboten wird, vom Land ganz zu schweigen, wo nur vier von zehn Kinderbetreuungseinrichtungen ganztägig geöffnet sind. Aufgrund dessen werden viele Mütter in die Teilzeitarbeit gezwungen und erleiden dadurch finanzielle Nachteile.

Ich sehe hier die Politik zum Handeln gefordert, denn es ist ihre Aufgabe, ganztägige und ganzjährige Kinderbetreuungsplätze ab dem ersten Lebensjahr des Kindes anzubieten, damit Alleinerzieherinnen den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder erwirtschaften können. Halten wir uns dabei vor Augen, dass die Hälfte der Kinder von Alleinerzieherinnen keinen Kindesunterhalt durch den Vater bekommt und der durchschnittliche Kindesunterhalt nur 304 Euro monatlich beträgt. Alleinerzieherinnen sind also gezwungen, arbeiten zu gehen, um ihre Familie zu erhalten. FEM.A fordert daher einen Rechtsanspruch auf eine kostenlose ganztägige und ganzjährige Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag des Kindes österreichweit bis zum 12. Lebensjahr. Das ist eine Bringschuld der Politik. Außerdem fordern wir als feministische Lobbyorganisation von der Politik, dass sie genügend finanzielle Ressourcen für die Kinder von Alleinerzieherinnen in Form von Unterhalt zur Verfügung stellt. Dadurch können Alleinerzieherinnen ihrem Beruf nachgehen und auch Kinderbetreuung beziehungsweise Babysitting bezahlen. Das ist für alle gut: Sowohl für die Alleinerzieherinnen, die somit genügend Geld für die Familie verdienen können und nicht in die Altersarmut abrutschen, als für die Kinder, die dadurch ein Leben mit sozialer Teilhabe wie Kinder aus Paarfamilien führen können.

Selbstverständlich gibt es auch Ex-Partner, die sich auch nach der Trennung ganz wunderbar um ihren Nachwuchs kümmern. Hier ist die Vereinbarkeit für Alleinerzieherinnen um einiges leichter. Diese Alleinerzieherinnen landen dann meist nicht mit Pflegschaftsverfahren vor Gericht, denn hier ist eine außergerichtliche Einigung zwischen beiden Elternteilen möglich. Die Mütter, die sich an FEM.A wenden, sind jedoch oft in Pflegschafts- und Unterhaltsverfahren verwickelt und können zumeist leider nicht auf die Ressource eines kooperierenden Kindesvaters zurückgreifen.

3 Tipps für die Unterstützung von Alleinerzieher*innen

  1. Es ist sehr wichtig, sich ein großes Netzwerk für die Aufteilung der Kinderbetreuung aufzubauen. Am besten, frau involviert Großeltern, Kindesväter und/oder Freund*innen – und, wenn finanziell möglich, Babysitter*innen. Das Sprichwort „Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen“ bewahrheitet sich bei der Alleinerzieherin noch mehr als bei der Frau in der Paarfamilie. Bei FEM.A gibt es außerdem im Mitgliederforum die Möglichkeit zur Vernetzung zwischen den Müttern zur gegenseitigen Unterstützung. Das kann beispielsweise sowohl ein Gerichtstermin sein, den sie nicht allein wahrnehmen und eine Vertrauensperson mitnehmen will, als auch gegenseitige Hilfe bei der Kinderbetreuung. Wichtig ist das Teilen und/oder Abgeben der Care-Arbeit und des Mental Loads.
  2. Die Vernetzung mit anderen Müttern/Eltern aus derselben Klasse oder Kindergarten zur gemeinsamen Kinderbetreuung ist ebenfalls wichtig, um sich Freiräume für sich selbst zu schaffen, beziehungsweise um sich einem längeren Arbeitstag widmen zu können. Einmal übernimmt eine Mutter die Betreuung der Kinder, das nächste Mal ist die andere Mutter an der Reihe.
  3. Ein gutes Zeitmanagement ist für eine Alleinerzieherin die Basis, um alles unter einen Hut zu bringen. Dadurch kann sie Termine gut vorausplanen, Prioritäten setzen und auch Zeitpolster schaffen, in denen sie selbst die Batterien aufladen kann. Selfcare ist für Alleinerzieherinnen ganz wichtig, denn sie neigen dazu, sich selbst zu überfordern.

Zur Person

Andrea Czak (53) ist Gründerin und geschäftsführende Obfrau des Vereins der Feministischen Alleinerzieherinnen (FEM.A), der aktuell ca. 150 Mitglieder zählt. Sie studierte Design an der Accademia di Costume e Moda in Rom und lebte fünfzehn Jahre lang in Italien. Als alleinerziehende Mutter einer Tochter ist sie mit den Bedürfnissen alleinerziehender Frauen bestens vertraut, als überzeugte Feministin ist sie in der feministischen Szene Wiens sowie auf internationaler Ebene gut vernetzt und setzt sich als politische Aktivistin seit vielen Jahren für die Rechte von Alleinerzieherinnen und ihren Kindern ein. 2019 gründete sie FEM.A mit dem Ziel, alleinerziehende Mütter in der Einforderung ihrer Rechte zu unterstützen.

Tipp: Andrea Czak ist beim balanceUP Summit am 11. Oktober 2022 als Speakerin vertreten.

FEM.A bietet verschiedene Veranstaltungsformate zu den Themen des Vereins an. Am 23. August beispielsweise findet ein kostenloses Webinar zum Thema „Sich selbst in emotionale Sicherheit bringen“ statt. Mehr Infos dazu gibt es hier.

Am 15. September wird es ein Webinar zum Thema Finanzentscheidungen für Alleinerzieherinnen geben, Informationen dazu gibt es zeitnahe auf der FEM.A Website.

Übrigens: FEM.A ist für einen Sozialpreis der Bank Austria nominiert. Einen Votinglink findet man direkt auf der Startseite des Vereins.

Sehen Sie Andrea Czaks beste Tipps zum Thema Vereinbarkeit in folgendem Video:

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