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Was Frauen wollen

Unternehmensberaterin und Markenexpertin Christina Kässhöfer analysiert exklusiv für SHEconomy die „Zielgruppe Frau“:

Ich mag Frauen.

Auch wenn wir uns vielleicht noch nie persönlich begegnet sind, können Sie vermuten, dass dies kein spätes Outing einer Mittvierzigerin ist.

Frauen haben mich von jeher fasziniert, als starke, unerschütterliche Heldinnen im Roman, als kreative Schöpferinnen, treue Freundinnen oder eben als Konsumentinnen.

Seit meinem ersten Arbeitstag 1997 begleitet mich die Aufgabe, Frauen ein gutes Gefühl zu geben.

Des Pudels Kern „Was möchte Sie?“ ist nicht leicht zu beantworten.

Wandelbar, sensibel, neugierig, zuweilen unsicher oder unentschlossen, unternehmungslustig, mutig, und öfters irrational, sind Frauen keine leicht zu erobernde Zielgruppe.

Die perfekt sitzende Jeans, das sexy Dessous, den richtigen Lippenstift zu finden, die ihre individuellen Vorzüge perfekt betonen, Selbstbewusstsein und ein Lächeln schenken, ist eine fast, aber nicht gänzlich unmögliche Aufgabe.

Die Explosion an Nischen-Produkt-Alternativen macht es uns Frauen nicht leichter, uns beim Kauf zu entscheiden. Auf Douglas.de zum Beispiel gibt es 924 Lippenstifte mit bis zu 21 Farben pro Lippenstift. Das macht 19.404 Optionen! Wie soll Frau da Ihr Produkt finden? Virtuelle Try-On-Software versucht mittels des Hochladens eigener Fotos die Entscheidungsfindung leichter zu machen.

Tatsächlich habe ich Frauen in Umkleiden weinen sehen, da ihnen nichts passte. Mein Mitgefühl geht an alle Frauen, die sich mit den eigenen, subjektiven Unzulänglichkeiten in einer Neon-beleuchteten Umkleidekabine und blassem Winter-Teint konfrontiert sehen. Vielleicht entspringt daher mein Antrieb, Shopping im Einzelhandel angenehmer zu gestalten.

Selbstkritik ist vielleicht unser größtes weibliches Hindernis. Umso wichtiger ist es als Marke oder Händler, Sie und ihre Bedürfnisse zu verstehen; einen Ozean an Inspiration, Möglichkeiten und positiven Dialogen zu eröffnen, im richtigen Moment die wohlwollende, aber ehrliche Unterstützung für Ihre Lebenssituation zu geben, und zuzuhören. Die wichtigste Aufgabe überhaupt!

In einer von mir aufgesetzten Schulungsakademie für Triumph vermitteln wir 800 Wäsche-Verkäuferinnen pro Jahr, wie man im Gegenüber liest, richtig hinzusehen, zu lesen wie sich Frau gerade fühlt, in welcher Situation sie ein Geschäft betritt, welche Produkte zu ihrem Stil, Bedürfnis und Körper harmonieren. Ich nenne es „Profiling 1:1“.

Aber gibt es „die Frauen“ eigentlich?

Wenn man Yuval Noah Harari in „Einer kurzen Geschichte der Menschheit“ glauben darf, sind Menschengruppen über hundert Personen schwer zu steuern. Leitbilder, Glaubenssätze und Regeln sind entstanden, um größeren Gruppen eine gemeinsame Identifikationsfläche zu bieten.

Marktforscher und Unternehmen haben sich dies zu Nutzen gemacht und ein virtuelles Konstrukt geschaffen: Sie bündeln Personen mit ähnlichen Charakteristika in eine Gruppe, um diese besser kommerziell ansprechen zu können – Tribes, Kundencluster, Zielgruppen – wie auch immer man sie nennen mag. Der Wunsch der Individualisierung nimmt zu, während wir in immer entlegeneren Reiseorten auf Gleichgesinnte treffen, die den gleichen Autotyp fahren oder die Sneakers der angesagten Trendmarke shoppen. Dank ausgefeilter CRM-Programme und Big Data wissen Marketer mehr über ihre Käufer. Die Herausforderung ist, die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen und für gezieltes Targeting einzusetzen. Der wunderbare Nebeneffekt wäre, dass sich die Konsumentin besser verstanden fühlt.

Gender Marketing, das Erkenntnisse aus Psychologie und Gehirnforschung über die verschiedenen Vorlieben von Männern und Frauen für die Wirtschaft nutzbar macht, ist nichts Neues. Es gibt eine Vielzahl von veröffentlichten Studien, die das Kaufverhalten von Frauen, Kaufgründe und neurologische Ursachen für die Andersartigkeit zwischen Mann und Frau ausführlich empirisch beleuchten und in Gender-spezifische Marketingbotschaften übersetzen.

Unternehmen wie Bosch haben Akkuschrauber und andere Heimwerkertools im farbigen Design begleitet durch „Women’s only“-Handwerkerkurse im Bauhaus auf den Markt gebracht. Coca-Cola schuf mit Coke Zero ein Produkt für kalorienbewusste Käuferinnen. Global Sportsbrands wie Nike und Adidas sind aufgewacht und entwickeln die neuesten Athleisure-, Yoga- und Running-Kollektionen gezielt für weibliche Profi- und Freizeit-Athletinnen. Die Auswahl an Running, Marathon und Bike Camps, Fitnesscenter und Sport Communities für Frauen ist explodiert.

Der vereinfachte Ansatz „Shrink it and pink it“ für die Adaption von Männer Produkten auf Frauenbedürfnisse hat sich also endgültig erledigt.

Stellt sich in Zeiten von Gender Equality und Gender-neutralen Fashion Shows von Luxusbrands wie Gucci überhaupt noch die Frage, ob Marken, Produkte, Verpackung, Services und Kommunikation genderspezifisch für Frauen anders konzipieren werden müssen als für Männer?

Bei bestimmten Warengruppen wie Beauty und Fashion, sicherlich ja!

Es existieren eindeutige Unterschiede zwischen Männern und Frauen beim Kaufverhalten und den Botschaften, die ins Herz der Zielgruppen treffen, oder eben nicht.

Beim Thema „Nachhaltigkeit, Trendthema und wichtiger gesellschaftlicher Auftrag unserer Zeit“ hat beispielsweise die Unternehmensberatung Ernst & Young in einer Befragung (Mai 2020) herausgefunden, dass männliche Konsumenten nachhaltigen Produkten gegenüber tendenziell offener sind, selbst wenn sie teurer sind: 70 Prozent würden mehr Geld für ein umweltfreundliches Produkt ausgeben, bei den Frauen sind es 65 Prozent. Das erstaunt!

Dabei achten Männer stärker auf den Preis als Frauen (63 Prozent der Männer gegenüber 51 Prozent der Frauen). Gleichzeitig lassen sich 61 Prozent der Männer von langlebigen Produkten überzeugen, bei den Frauen achten nur 50 Prozent auf Langlebigkeit. 

Fakt ist, dass Frauen für 80% aller Kaufentscheidungen in der Familie verantwortlich sind (Nielsen Studie 2011). Wer einmal ein Auto kaufen, einen Urlaub buchen wollte, ohne seine Partnerin zu befragen, wurde schnell eines Besseren belehrt, auch wenn wir Frauen behaupten, gerne „überrascht“ werden zu wollen. Sicherlich spielt dabei eine Rolle, dass Frauen Einkaufen einfach mehr Spaß bereitet als Männern (73% versus 40%).

Unser prähistorischer Ursprung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Früher waren Frauen mit der Suche nach und dem Sammeln von Nahrung beschäftigt, kümmerten sich um die Kindererziehung und mussten den Kontakt in der sozialen Gruppe halten. Ein Grund, warum wir die aktiveren Netzwerkerinnen sind, im Beruflichen wie im Privaten und in Social Networks.

Erkenntnisse wie diese werden heute für die Gestaltung der User Experience auf Webseiten verwendet. Viele Primärstudien belegen (in Fokusgruppen für die Medienmarke Glamour habe ich dies aus erster Hand von 30-jährigen Frauen gehört), dass vor allem für jüngere Frauen das Browsen auf Lifestyle-Webseiten und die Auswahl von Artikeln in den Warenkorb als Vergnügen, Zeitvertreib und Entspannung gesehen wird. Eine gezielte Kaufabsicht ist oft nicht gegeben. Vielmehr macht es Frauen Freude, sich digital treiben zu lassen.

Tarek Müller, CEO von About You, nannte vor Kurzem in einem Interview das Business Modell der 1-Milliarde-€-Umsatz-starken Fashion Plattform der Otto Gruppe das neue digitale „Window Shopping“. In Zeiten Covid-bedingter verwaister Innenstädte eine gute Positionierung.

Der wachsende Boom von Social Shopping über Insta Shopping und vergleichbare Kanäle zahlt darauf ein, dass Inspiration für Frauen oft ausschlaggebender ist als der klare Produktnutzen.

Erkenntnisse aus der Gehirnforschung scheinen zu belegen, dass das limbische System, das Emotionszentrum des Gehirns, welches für die Belohnung zuständig ist, bei Frauen beim Shoppen größere Aktivität zeigt. Das Hormon Östrogen bewirkt, dass Frauen eher auf Ästhetik ansprechen, während die höhere Konzentration an Testosteron bei Männern dazu führt, dass sie eher funktional denken. Dies hat sich die Werbung für Bildsprache, Verbraucherversprechen und Medienmix zunutze gemacht.

Das Kaufverhalten von Männern verläuft laut Studien linearer als das von Frauen. Weibliche Konsumentinnen revidieren mitunter ihre ursprünglichen Kriterien oder beziehen weitere mit ein, so dass der Bewertungs- und Entscheidungsprozess von Neuem gestartet wird. Männer gehen zielgerichteter „auf die Jagd“, shoppen bekanntermaßen oft bedarfsorientiert. Amazon, als zweitgrößte „Suchmaschine“ der Welt und Conrad Electronics, tragen dem Wunsch nach funktionaler, zielgerichteter Produktsuche, einfacher Darstellung der Produktfeatures und Nutzer-basierten Empfehlungen vieler Männer Rechnung. Das gewünschte Produkt sollte mit wenigen Clicks im Warenkorb sein. Sie nehmen Details wahr und agieren tendenziell eher objektbezogen. 

Wir Frauen schätzen die Darstellung von Produkten im Kontext mit Menschen, an Models, freuen uns Ergänzungsprodukte und Outfitvorschläge, Zoom Funktionen und 360 Grad Ansichten.

Da Frauen oftmals keine konkrete Kaufabsicht haben, können die Inszenierung von Erlebnis- und Produktwelten im Stationärhandel oder auf Webseiten oder Added Services entscheidende Kaufimpulse auslösen. Frauen sind zum Beispiel deutlich stärker empfänglich für Geruch im Store, Haptik und Optik eines Produktes. Viele verschiedene Einflüsse fließen beim Kauf mit ein, das Abwägen von Vor- und Nachteilen passiert eher unbewusst. Wer schon einmal mit meiner Mutter Essen gegangen ist, weiß, dass die Länge der Speisekarte mit der Dauer der Auswahl korreliert.

Natürlich sind nicht alle Frauen gleich und unterscheiden sich je nach eigener Lebenssituation, Prägung, persönlichen Werten, Kaufkraft und individuellen Interessen, aber eben auch ihrer Lebensphase. Mein persönliches Empfinden ist, dass sich die Zielgruppen im Mediennutzungsverhalten langsam aufeinander zu bewegen. Während TV-Kampagnen als Massenmedium mit hohen Streuverlusten für Werbetreibende oftmals eher ältere Zielgruppen erreicht, verzeichnen Streamingdienste, Social Channels und Online Shopping altersübergreifende Zuwächse. Tik Tok mit 698 Millionen Nutzern weltweit (Statista.de) mag hingegen als unterhaltsames Grundrauschen eher jüngere Nutzer anziehen.

Mich beeindruckt die Anzahl an neuen Finanzdienstleistungen und Coaching Workshops, abzielend auf Frauen über 45 Jahre, die vor dem Hintergrund drohender Altersarmut bei Frauen (siehe Bundesministerium für Frauen und Familie) und Unwissenheit in Finanzdingen, in den letzten Jahren aus dem Boden gesprossen sind. Die Beautyindustrie hat die Best-Ager-Generation mit Anti-Aging Produkten schon lange für sich entdeckt.

Die reifere Zielgruppe von Heute unterscheidet sich dennoch deutlich von ihren Vorgängern. Die „Empty-Nest“-Phase trifft viele Frauen in der zweiten Lebenshälfte weiterhin, ebenso ein sich verändernder Körper. Aber Frauen sind aktiver, treiben mehr Sport, halten sich und ihren Körper fit. Das finde ich bewundernswert! Das Angebot an Sportkursen, Beautybehandlungen und Weiterbildungsprogrammen für Frauen jeden Alters ist vielfältig. Die Mehrheit der 1,6 Millionen verkauften E-Bikes (2018) wurde von Best Agern gekauft.

„50andFabulous“ Bloggerinnen wie die wunderbare 99-jährige Iris Apfel und ihre deutschen Pendants, darunter Greta Silver und Bibi Horst und ihrem Blog Schokoladenjahre, sind Ausdruck dieses neu erstarkten Selbstbewusstseins, dass man auch im Alter umwerfend sein kann. Diese Kundengruppe ist kaufkräftig, loyal und dankbar, für ehrliches Interesse, inspirierenden Content und Produkte mit Relevanz. Überflüssiges, bereits im Kleiderschrank Vorhandenes, wird nicht gekauft. Haben Sie als Marke also Mut, die neue Generation der Power-Frauen mit Neuartigem und innovativen Services zu überraschen. Sie werden es Ihnen danken.

Zur Autorin Christina Käßhöfer:

In einem sich rasant verändernden Markt, berät die Münchner Unternehmensberaterin, Marken- und Retail Expertin Christina Käßhöfer Investoren, Brands und Handelsunternehmen bei der Gestaltung und Umsetzung von zukunftsweisenden Visionen und Retail Konzepten. Als Impulsgeberin für neue Denkstrukturen und kreative Business Lösungen macht die Diplom Betriebswirtin unternehmerische Chancen transparent und implementiert nachhaltige Erfolgsfaktoren. Nach Führungspositionen im Otto Konzern, der italienischen Denimbrand Diesel und bei der Triumph International AG, hat sie zudem ein Aufsichtsratsmandat bei der Gerry Weber International AG seit 2020 inne.

50+Bloggerinnen, die ich inspirierend finde:

https://www.instagram.com/colleen_heidemann/?utm_source=ig_embed

https://www.instagram.com/iconaccidental/?utm_source=ig_embed

https://www.instagram.com/baddiewinkle/?utm_source=ig_embed

https://schokoladenjahre.com/

https://www.instagram.com/silver.greta/

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