Bettina Al-Sadik-Lowinski, Wirtschaftswissenschaftlerin, Autorin und Executive Coach, hat 110 Topmanagerinnen aus Deutschland, Frankreich, Russland, China und Japan in einer globalen wissenschaftlichen Untersuchung interviewt und sie nach ihren Erfolgsrezepten, Hindernissen und Sprungbrettern gefragt.
Regelmäßig publiziert sie ihre Erkenntnisse auf SHEconomy.media. Heute im Fokus: Wie sich Kinder und Karriere für Frauen mit Spitzenfunktionen vereinbaren lassen.
Die von mir befragten Frauen sind noch immer Ausnahmen: Nur rund 18% der gehobenen Führungspositionen sind in Deutschland von Frauen besetzt. Deutschland bleibt global gesehen weiterhin Mittelmaß, wenn es um das Thema Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft geht und nähert sich entsprechend der Zahlen eher den Schlusslichtern auf der internationalen Weltkarte an. Bemerkenswert ist sicher, dass seit dem Jahr 2005 Angela Merkel, eine Frau aus dem Osten, Deutschland als Bundeskanzlerin regiert. Trotzdem verändert sich das Bild nur langsam. Schaut man in den deutschen Arbeitsmarkt, so sieht man, dass Teilzeit weiterhin vor allem bei Müttern ein bevorzugtes Modell ist. Die Gründe dafür sind vielschichtig und können in einem Zusammenspiel aus kultureller Prägung, Familien- und Steuerpolitik und einem weiterhin, im Hinblick auf die Belange berufstätiger Frauen, unterentwickelten Betreuungsangebot gesehen werden.
Die historisch sozio-kulturelle Prägung von Frauen in Deutschland lässt sich mit den Worten „Hausfrauen und Mütter“ zusammenfassen. Einem wachsenden Selbstbewusstsein von Frauen in Deutschland hinsichtlich ihrer Karriereplanung steht ein tief verankertes Mutterbild gegenüber, welches die primäre Anwesenheit von Frauen bei ihren Kindern beinhaltet. Im Bewusstsein vieler Frauen und Männer sind Frauen in Führungspositionen heute zwar vorhanden, aber mit vielen Ambivalenzen belegt. Die in meiner internationalen Forschung befragten deutschen Topmanagerinnen stufen ihr Umfeld hinsichtlich Chancengleichheit im Management dann auch mit einem Wert von fünf auf einer zehner Skala ein.
Die deutschen Top-Managerinnen müssen sich in ihrem Umfeld gegen das gesellschaftlich weiterhin tief verankerte Bild der Hausfrau und Mutter behaupten, welches weiterhin sozusagen Bestandteil unserer gesellschaftlichen DNA ist. Karrierebewusste Mütter sehen sich mit dem urdeutschen Begriff der „Rabenmutter“, konfrontiert und so manche bremst dieses unbewusst verinnerlichte Bild in ihren Ambitionen aus. Sie geben dann in der Mitte auf bzw. entscheiden sich für Auszeiten, reduzierte Arbeitszeiten oder laterale Karriereverläufe.
Wichtige Karriereentscheidung: Die Wahl des richtigen Partners*in
Anders als in vergleichbaren Untersuchungen, in denen deutsche Topmanagerinnen in der Mehrheit kinderlos bleiben, sind über 80 % der deutschen Spitzenmanagerinnen in meiner globalen Untersuchung verheiratet und haben Kinder. Sie haben sich also für Karriere mit Kindern entschieden. Die meisten von ihnen eint, dass sie einen unterstützenden Partner an ihrer Seite haben, der selber zugunsten ihrer Karriere zurücksteht oder selber nicht karriereorientiert ist. Sie leben also Beziehungen in denen die klassischen Rollen verdreht sind. Duale Karrierepartnerschaften mit Kindern konnte ich nicht beobachten. Die Rolle der Ehemänner und Väter beschreiben die Spitzenmanagerinnen als enorm wichtig für ihren Aufstieg. Sie erhalten emotionale Unterstützung bei Herausforderungen oder wichtigen Karriereentscheidungen. Daneben ist er zuständig für die ganz praktischen Dinge der Familienorganisation. Oft unterstützt von Haushaltshilfen oder Großeltern.
Die Findung der eigenen Karriereorientierung war wichtig für den Aufstieg
Fast alle der von mir interviewten Geschäftsführerinnen und Managerinnen haben Kinder, egal aus welchem Land sie kommen. Allerdings mit einer Prioritätensetzung: Karriere geht vor Familienzeit. Man könnte sagen, dass diese klar getroffene Entscheidung das Sprungbrett war. Dahinter steht eine ihrer wichtigsten Eigenschaften: Diese Frauen machen sich frei von den Erwartungen Anderer an sie als Frau, als Mutter, und als Führungskraft.
Das war für die Russinnen, Chinesinnen und ostdeutsche Frauen in der Untersuchung etwas einfacher, denn schon ihre Mütter und Großmütter waren in Vollzeit berufstätig und sie hatten diese als Rollenvorbilder. Alle anderen Frauen und damit auch die deutschen Spitzenfrauen orientierten sich eher an erfolgreichen Vätern. Sie planten also ihrer Karrieren in einem Umfeld, in dem sie weiterhin Ausnahmeerscheinungen sind.
Deutsche Frauen: Gestaltungstrateginnen inmitten von Männerbünden und Mutterrolle
Die deutschen Topmanagerinnen wechseln nach einer Anlaufphase, in der sie sich über ihre Karriereziele klar werden, häufig die Unternehmen, um ihren Aufstiegswunsch zu realisieren. Sie suchen Chancen aktiv dort, wo sie für Frauen geboten werden. Erfolg stellt sich dann ein, wenn sie die eigene Angst überwinden, aus der Komfortzone der Mitte heraustreten und große Projekte aktiv übernehmen.
Dabei nutzen sie Exekutive Coaching von allen Befragten am konsequentesten und berichten von vielen Mentoren auf ihrem Weg. Sie sind lernende Netzwerkerinnen, die sich in den Netzwerken bisher allerdings eher auf den Austausch konzentrieren als dass sie sich zielgerichtet unterstützen. Die deutschen weiblichen Führungskräfte berichten von zahlreichen Diskriminierungserfahrungen, auf die sie dann mit Unternehmenswechsel reagieren, wenn abzusehen ist, dass der weitere Weg versperrt bleiben wird.
Damit mehr Frauen in Spitzenpositionen aufsteigen können, müssen sie die richtigen Entscheidungen treffen. Das Global Women Career Lab bietet Mentor-Coaching für ausgewählte qualifizierte Frauen aus dem Management basierend auf den Ergebnissen der globalen Untersuchung an. Die neue Gruppe, die von der Vorständin Britta Bomhard begleitet wird, startet im September 2021. Mehr Informationen hierzu über die Autorin: Dr. Bettina Al-Sadik-Lowinski, alsadik@bas-coaching.com.
Zur wissenschaftlichen Studie:
Die Autorin führte 110 wissenschaftliche qualitative Tiefeninterviews mit 110 Spitzenmanagerinnen aus fünf Nationen rund um das Thema „Aufstieg in das Topmanagement“ durch. Dabei wurden nicht nur die Karrierewege der Spitzenmanagerinnen analysiert, sondern auch wichtige Einflussfaktoren wie zum Beispiel Herkunft und Familie, Persönlichkeitsmerkmale und Führungsstil untersucht. Mehr zur internationalen Studie mit einem Kapitel zu den deutschen Frauen, finden interessierte Leser im Buch „Der Aufstieg der Topmanagerinnen“, de Gruyter. Link: https://www.degruyter.com/view/title/584841?language=de