StartOpinion132 Jahre Frauentag: Von Oberflächlichkeit zu echter Veränderung

132 Jahre Frauentag: Von Oberflächlichkeit zu echter Veränderung

Gastautorin Julia Kreyler-Valsky verweist in ihrem Kommentar auf den politischen Ursprung, nimmt aktuelle Entwicklungen kritisch in Augenschein und gibt Unternehmen die wichtigsten Do’s and Don’ts zum internationalen Kampftag für Frauenrechte mit auf den Weg.

Clara Josephine Zetkin würde sich höchstwahrscheinlich im Grab umdrehen, würde sie nur einige der Aktionen verfolgen, die uns auch heuer wieder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit rund um den 8. März erwarten. Das Spektrum reicht von pink eingefärbten Produktpaletten bis zu aufwendig produzierten Kampagnen, die ganz im Sinne einer topicality Marken oder Menschen mit diversen, für Frauen als relevant befundenen Inhalten verknüpfen sollen.

Die Kommerzialisierung des Frauentags ist insbesondere deshalb skurril, da die sozialistisch-kommunistische Politikerin Zetkin als Begründerin des Internationalen Frauentags wohl sicher keine Lippenstifte oder Rabattaktionen im Sinn hatte, als sie diesen internationalen Kampftag für Frauenrechte im Jahr 1910 initiierte. Ihr und vielen anderen Frauen ging es um so zentrale menschenrechtliche Forderungen wie das Wahlrecht für Frauen, um fairen Lohn, um Arbeitsschutzgesetze für Mütter und Kinder und um ein Leben in Frieden. Erreicht sind ihre Forderungen auch heute nur zum Teil.

Girls just want to have fundamental rights

Im Jahr 1911 wurde der Internationale Frauentag erstmals in Dänemark, Deutschland, der Schweiz, Österreich und den USA begangen. 132 Jahre später – wie sieht die Lebenswirklichkeit von Frauen hierzulande aus?

Ein Blick in die Daten zeichnet ein nicht wirklich positives Bild, noch immer nicht, auch im Jahr 2023. Frauen verdienen deutlich weniger als Männer, je nach Berechnung sind es 13 bis 35 Prozent. Sie leisten zwei Drittel der unbezahlten Arbeit in Haushalt, Pflege und bei der Betreuung ihrer Kinder – damit sich das alles ausgeht, arbeitet rund die Hälfte (!) der Frauen in Teilzeit. In der Pension bekommen sie folglich um 38% weniger heraus als Männer und sind deutlich öfter von Altersarmut betroffen.

Auch in der politischen Repräsentanz ist Gleichstellung noch nicht erreicht, genauso wenig wie in den Führungsetagen heimischer Unternehmen. Betrachtet man alle Führungsfunktionen, so sind Frauen hier immerhin schon zu einem Drittel vertreten. Bei den umsatzstärksten und börsennotierten Unternehmen wird hingegen nur eines von zehn von einer Frau geleitet. Es gibt also noch genug zu tun in Sachen Gleichstellung, oder, wie es die grandiose Jasmo in einem ihrer Songs formuliert: Girls just want to have fundamental rights!

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es

Bevor es um die Frage geht, was Unternehmen und Initiativen wie sheconomy vor diesem Hintergrund tun können oder sollen, noch eines vorweg: In the grand scheme of things, we’ve come a long way.

Für den überwiegenden Teil unserer Zeitrechnung waren Frauen Eigentum ihres Mannes bzw. Vaters, und es gibt einen Grund, warum im Englischen das Wort für Mann auch „Mensch“ bedeutet. Was sich seit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts zum Positiven für die Gleichstellung von Frauen und Männern getan hat, ist geschichtlich betrachtet enorm.

Sind wir am Ende der Reise? Sicher nicht, siehe oben. Wir sollten sie folglich möglichst bald zu einem für alle guten Ende bringen. Die Bedeutung, die Unternehmen in diesem Prozess spielen, kann dabei als gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn sie sind immer auch gesellschaftliche Player, sie haben Hebel und verfügen über die nötige Schubkraft, um Transformation zu treiben. Umgekehrt spielen gesellschaftliche Trends immer auch in Unternehmen hinein und machen es zwingend nötig, kontextabhängig Strategien zu formulieren.

Ein gutes Beispiel ist der Bereich der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben; rechtlich betrachtet haben Frauen wie Männer hier dieselben Voraussetzungen und Möglichkeiten, was den Anspruch auf und die Dauer der Karenz betrifft. Faktisch gesehen können wir Väter in Karenz oder Elternteilzeit noch mit der Lupe suchen, mit den bekannten Folgen für Einkommen, Pension und Karrierechancen von Frauen.

Sollten Unternehmen hier tätig werden? Unbedingt! Denn erst, wenn dieser manifeste „maternity malus“ verschwindet, wenn Männer wie Frauen beiderseits und annähernd ausgeglichen nur für ein bestimmtes Arbeitszeitausmaß zur Verfügung stehen, werden Arbeitgeber:innen das ungemeine Potenzial an Talenten und Begabungen aller Mitarbeiter:innen wirklich nutzen.

Frauen sollten nicht mehr vor der vielzitierten „Wahlfreiheit“ zwischen Kind und Berufsweg stehen müssen, denn ganz viele wollen aus gutem Grund beides – etwas, was nebstbei bemerkt für Väter immer schon Standard war. Und Väter sollten ohne Angst vor dem Verbau möglicher Karrierewege auch länger als zwei Monate in Karenz gehen können. Es geht um nichts anderes als das Aufbrechen gesellschaftlicher Rollenbilder, die Frauen wie Männer gleichermaßen einengen. Und um das zu tun, brauchen wir die Kraft von Unternehmen, die einen Unterschied machen wollen – und zwar 365 Tage im Jahr, nicht nur am Frauentag.


Die Dos & Don’ts zum Internationalen Frauentag

Dos

  • Innen vor außen: Maßnahmen und Vorhaben zuerst intern vorbereiten, kommunizieren und umsetzen – dann erst damit nach außen gehen. Beware of pinkwashing!
  • Be authentic: Es ist nichts dabei zu sagen, dass Initiativen zur Gleichstellung von Frauen und Männern erst am Anfang stehen und es noch Luft nach oben gibt, im Gegenteil. Hauptsache, der erste Schritt ist gesetzt. Don’t overpromise!
  • We need leaders, not cheerleaders. Es braucht Verbündete, um Veränderung zu treiben. Und es braucht Führungskräfte, die das Thema verstehen und auch gewillt sind, das eigene Verhalten zu hinterfragen, sich auf Neues einzulassen und nicht nur über Diversität reden. Walking the talk is key!

Don‘ts

  • Groupthink: Maßnahmen zum Frauentag nicht im kleinen (gewohnten) Kreis beschließen, sondern interdisziplinär entwickeln und abstimmen. Reduziert das Risiko kommunikativer Fehlentscheidungen enorm.
  • Action bias: Jede:r macht etwas zum Frauentag, Hilfe! Wir müssen auch nach außen hin aktiv werden. Wirklich? Besser ist, sich zuerst analytisch anzusehen, wie sich die Situation im Unternehmen gestaltet und was es zu ändern gilt.
  • One size fits all: Einmal definiert, sollen Strategie und Maßnahmen implementiert werden, und zwar im ganzen Unternehmen. Richtig, aber: Unbedingt auf regionale und organisatorische Gegebenheiten etwaiger Töchter bzw. Standorte Bedacht nehmen!

Über die Autorin

Dr. Julia Kreyler-Valsky ist Mitgründerin von Inclusion Indicator Research & Advisory und auf evidenzbasiertes D&I Management spezialisiert. Zuvor war die promovierte Soziologin für das Diversitätsmanagement der Erste Group verantwortlich und u.a. im Kabinett der Frauenministerin sowie bei der OECD in Paris tätig.

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