StartMoneyClever anlegen: Das Vermächtnis von Beate Sanders

Clever anlegen: Das Vermächtnis von Beate Sanders

Aktuell wie nie: Nach rund 50 Fachbüchern hatte Beate Sander (verstorben 2020) einen Ratgeber für jede Geldbörse geschrieben. Anlass war der Corona-Crash. Ihre Tipps, wie man mit kleinen Beträgen rentabel investieren kann, helfen auf dem Weg zu finanzieller Unabhängigkeit und damit Selbstbestimmung.

Dieses Interview erschien zuerst am 10. Juni 2020 auf www.her-career.com

Beate Sander war die Grande Dame des Aktienwissens. Mit 59 Jahren kaufte sie ihre ersten Wertpapiere an der Börse, als Experiment im Rahmen ihres Wirtschaftslehre-Unterrichts als Realschul-Lehrerin. Im Anlage-Ratgeber „Die richtige Geldanlage in Krisen“ zeigt sie auf, wie wir die Krise für die Finanzanlage nutzen können – und das mit unterschiedlich vollen Geldbörsen, vom Wenigverdiener bis zum Anleger im größeren Stil. Sander hat insgesamt mehr als 50 Fachbüchern zum Thema Börsen und Anlagen geschrieben ¬– unter anderen der „Aktien- und Börsenführerschein“ und „Das neue große Buch der Börsen Kolumnen“. Im Interview mit der herCAREER erklärte sie vier Monate vor ihrem Tod, wie es mit dem Corona-Crash weitergehen könnte und zeigt auf, warum gerade Frauen ihre Chance für mehr finanzielle Unabhängigkeit nutzen sollten.

Frau Sander, im Interview mit dem Handelsblatt haben Sie vor einem Jahr gesagt: Wir wissen nicht, wann der nächste Crash kommt; sicher ist, dass er kommt. Und: wir sollten ihn als Chance nutzen. Haben Sie den Corona-Crash genutzt – für Aktienkäufe?

Ich nutze jeden Crash für Aktienkäufe, weil meine Hoch-Tief-Mut-Strategie darauf beruht: Im Crash kann man Aktien, die übertrieben abstürzen, zu Schnäppchenpreisen kaufen. Umgekehrt gibt es Aktien in Geschäftsfeldern, die kaum nach unten gehen. Einige haben sogar Aufholpotenzial, andere wie etwa Amazon oder Titel der Biotech-Branche sind sogar im Allzeithoch. Das ist auch im jetzigen Corona-Crash so.

Wenn wir in Deutschland nicht schon seit Jahren eine Nullzins- und Strafzinspolitik hätten, wäre der Crash am Aktienmarkt schon viel früher passiert. Der längst fällige Crash kam nun eben mit dem Coronavirus. Allein der Name hat Schreckensszenarien ausgelöst. Inzwischen frage ich mich: Ist das Coronavirus gefährlicher oder die Folgen mit all den wirtschaftlichen Schäden: 8,8 Billionen Dollar Schaden für die Weltwirtschaft werden für 2020 prognostiziert – das ist unvorstellbar. 

Welche weiteren Szenarien sind zum jetzigen Crash denkbar? 

Im März ist der DAX von 13.800 auf 8200 Punkte abgestürzt. Derzeit erholt er sich auf rund 11.500 Punkten. Jetzt befinden wir uns in der Bodenbildungsphase eines Crashs, der Zeichen von Erholung zeigt. Wir wissen aber nicht, wie lange er dauern wird. Es gibt verschiedene Szenarien, die Analysten in vier Buchstaben ausdrücken.

Manche Analysten sind optimistisch und glauben, es wird das V eintreten und die Konjunktur zieht rasch wieder an. Das könnte eintreten, wenn eine zweite Infektionswelle ausbleibt und man all die finanziellen Lasten gut schultert. Wahrscheinlicher ist allerdings das U: demnach hätten wir den Crash zur Hälfte überstanden. Es gäbe noch eine Zeit lang mehr oder minder heftige Kursschwankungen und die Kurse würden danach permanent steigen. Das passiert dann, wenn ein Impfstoff gefunden ist.  Ein realistisches W hätten wir mit einem raschen Anstieg nach dem Absturz und einem weiteren Tiefgang mit der zweiten Corona-Welle. Mit dem Impfstoff beispielsweise würde es dann wieder rasch bergauf gehen. Pessimisten befürchten dagegen ein L: Das würde bedeuten, dass wir Jahre brauchen, um die ganzen Folgeschäden zu verarbeiten und auszugleichen – nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die gesellschaftlichen Auswirkungen, wenn es zu einer weiteren Spaltung in der deutschen Gesellschaft und EU-weit kommt.

Für wie wahrscheinlich halten Sie das L-Szenario? 

Wenn sich die Entwicklung eines Impfstoffs und von wirksamen Medikamenten einschließlich Zulassungen weiter als gedacht hinausschiebt und die Verteilung der Hilfsmaßnahmen innerhalb der EU nicht funktioniert, könnte es passieren. In den USA gibt es schon jetzt eine unglaublich hohe Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung jenseits von Gut und Böse. Wenn in China die zweite Coronawelle anrollt und das Geld für den Ausgleich fehlt, kann es zu einem L kommen. Wir können nur hoffen und mit dem eigenen Verhalten und Engagement gegensteuern, damit L nicht eintritt. Doch selbst dann wird es nach L irgendwann wieder einen Höchststand der Aktien geben. Der Salamicrash 2003 etwa hat drei Jahre gedauert. 2007 erreichte der DAX bis zu 10.000 Punkte.  Nach der Finanzkrise im März 2009 gab es einen Tiefststand von 3600 Punkten. Im Februar 2020 schaffte der deutsche Leitindex Strafzinspolitik einen Höchststand von 13.800 Punkten.

Wann haben Sie beschlossen, das neue Buch anlässlich des Corona-Crashs zu schreiben? Und was ist Ihr bisheriges Fazit?

Das Buch erscheint Ende Mai/Anfang Juni. Mein Verlag hat mich händeringend vor sechs Wochen darum gebeten. (Anm.: das Interview fand am 19. Mai 2020 statt)

Ich wusste, ich muss daran richtig intensiv arbeiten. Fünf Wochen lang bin ich zwischen vier und fünf Uhr morgens aufgestanden und habe daran geschrieben, oft bis ein Uhr nachts. Kein Sport mehr, kein Mittagessen, kein Fernsehen, keine Freizeit. Ich habe jede Woche über 100 Stunden daran gearbeitet. Das Fazit ist: Ich will mit diesem Crash-Buch den Leuten zeigen, dass sie nicht verzagen sollen. Man muss handeln und darf einige Fehler einfach nicht machen – zum Beispiel alle Aktien verkaufen. Von 30 DAX-Unternehmen erhöhen 15 ihre Dividenden. Jede Aktie, die Sie verkaufen, bedeutet Transaktionskosten.

Aber was, wenn die Aktien weiter fallen?

Natürlich kann es tiefer kommen. Beispielsweise erholt sich die MTU-Aktie vom DAX nach ihrem Absturz wieder. Es ist nach Tiefstständen eher unwahrscheinlich, dass dieselben Aktien wieder so stark abstürzen. Wir beobachten derzeit aber auch: Es ist nicht so, dass die niedrig bewerteten Aktien vom Tiefgang verschont bleiben. Die braven Aktien hat es großteils überdurchschnittlich stark erwischt. Die Welt wird künftig anders aussehen als jetzt. Es wird neue Sieger geben, mit denen man derzeit kaum rechnet. Aktien aus Biotech, Medtech, Software und Digitalisierung sind kaum abgestürzt.

Wie gehen Sie beim Crash konkret vor? 

Ich nutze die Bodenbildungsphase, wie lange sie auch immer dauert, und beobachte den Markt. Wichtig ist: Einkäufe zu niedrigen Kursen, Verkäufe zu hohen Kursen. Jeder, der wenig Ahnung und wenig Geld hat, lässt es lieber und wartet ab. Im Buch stelle ich allerdings Musterdepots vor: Was mache ich mit 5000, 10.000, 20.000, 30.000 und 50.000 Euro? Was mache ich, wenn ich auf Sicherheit Wert lege, erfolgsorientiert oder risikofreudig bin?

Sehen Sie einen Nachteil für Frauen durch die Corona-Krise? 

Gerade Frauen mit Kindern unter 12 Jahren haben oft nicht viel Geld. Sie arbeiten häufig Teilzeit und kommen, wenn sie zuhause bleiben müssen, in alte Rollenklischees hinein, die sich möglicherweise verfestigen. Daher ist es mir wichtig, Wege aufzuzeigen, wieder zu einer moderneren Auffassung wie vor dem Crash zu gelangen. Frauen sollten gute Börsenbücher lesen und angebotene Webinare nutzen. Generell ist es wichtig, sich in der digitalisierten, vernetzten Welt zurechtzufinden, einerseits, wie man Geld spart, andererseits auch, um neue Strategien zu entwickeln. Man kann aus jeder Situation etwas machen. Auch wenn der Corona-Crash viele Nachteile hat, kann man Chancen entdecken. Wichtig ist als Frau die eigenen Talente zu nutzen. 

Was können Frauen mit kleiner Geldbörse und ohne große Kenntnisse in Sachen Anlage tun? 

Sie sollten lieber in ETFs (Exchange Traded Funds, börsengehandelte Indexfonds) wie den internationalen ETF MSCI World oder den MDAX-ETF investieren. Wenn man nur 5000 Euro hat, bringt es nichts, eine einzelne Aktie kaufen. Man muss breiter streuen und am besten mit ETFs anfangen. Wenn ich wenig Geld habe, mach ich Sparpläne. Ich könnte zum Beispiel 100 Euro pro Monat auf zwei ETFs aufteilen: den MSCI World und deutschen M-DAX mit 60 Titeln. Oder man teilt in viermal 25 Euro auf, nimmt noch einen Wasser-ETF als ethische Geldanlage hinzu oder investiert in den S&P 500 bzw. den TecDAX. Wer langfristig anlegt und breit streut, kann macht gewöhnlich Gewinne. Dann wird das Vermögen auf lange Sicht wachsen.

Frauen legen nach wie vor oft konservativ an. Was sollten sie in der Krise tun?

Wenn jemand von Natur aus vorsichtig ist, dann soll er das auch bleiben. Das hat ja nicht nur Nachteile. Man nutzt vielleicht die Chancen nicht richtig, kauft aber auch keine Bitcoins und Zockerpapiere. Mit zunehmenden Kenntnissen gewinnt man Sicherheit: Die Vorspeise ETF macht Appetit auf die Hauptspeise Aktien. Allerdings: wenn man risikofreudig ist, muss man sich gründlich mit Aktien auseinandersetzen, um Fehlgriffe zu vermeiden.

Bitcoin hat sich erhöht, auch Gold hat sich mit einem Zugewinn bewährt. Was raten Sie hier?

Bitcoin ist nur etwas für Könner, die täglich den Markt beobachten. Wer keine Ahnung hat, sollte das auf gar keinen Fall machen – das ist Spekulation. Zum Thema Gold: Man kann durchaus zu 5 bis 15 Prozent im Depot haben. Wenn jemand Münzen sammelt, kann er das auch im Bereich Gold machen. Ansonsten kann er auch Barren kaufen, besser mehrere mit je 50 bis 100 Gramm für künftige Teilverkäufe. Wer risikofreudig ist, kann man auch Goldminen-Aktien kaufen. Manche laufen hervorragend, andere gar nicht, dazu braucht man gründliche Marktkenntnisse.

Was können Frauen tun, um ihre Altersvorsorge zu sichern? 

Ich gewinne in 75 Jahren 15 weitere Jahre Leben, wenn ich nicht saufe, nicht rauche, mich gesund ernähre und viel bewege. Das bedeutet: Ich lebe 30 Jahre mit Rente, somit muss ich rechtzeitig sparen – am besten so früh wie möglich, aber besser spät als gar nicht. Man kann sich im Crash mit einem Gärtner vergleichen. Er muss zur richtigen Zeit säen, pflanzen, düngen, hacken, damit er im Herbst eine gute Ernte einfährt. Im Juli oder August damit zu beginnen, ist zu spät. Derzeit gibt es noch niedrige Kurse bei ETFs und Aktien, die gut und preiswert sind. Als Anfänger bemerkt man das allerdings nicht.

Man spart, wenn man nur Sachen kauft, die man wirklich braucht und nicht auf hohe Rabatte reinfällt. Beim Sparvertrag kann man auch pausieren, wenn es mal schlecht läuft, beispielsweise wegen Kurzarbeit. Indem ich das jahrelang mache, kann ich viel für die Altersvorsorge tun. Ich habe für meine Kinder Aktiendepots angelegt und kann auch meine Enkel unterstützen. Ich habe damals keinen Cent von meinen Eltern geerbt, daher ist mir das wichtig.


Über Beate Sander

Ihr Aktien- und Börsenführerschein ist seit 2001 regelmäßig auf den Bestsellerlisten zu finden, sie ist Kommentatorin und Referentin für mehrere Unternehmen aus MDAX, TecDAX und SDAX und Volkshochschuldozentin für Börsenseminare und hat mehr als 50 Fachbücher geschrieben: Beate Sander ist nicht nur Aktien-Millionärin, sondern im Alter von 82 Jahren auch noch höchst produktiv. Nach ihrer Flucht aus der DDR im Alter von 13 Jahren schaffte sie es über Begabtenprüfungen ins Lehramt. Als Realschullehrerin war sie vom 21. bis zum 66. Lebensjahr trotz zweier Kinder immer in Vollzeit tätig. Schon früh schrieb sie Schulbücher und Lehrerhandbücher, nicht zuletzt, weil ihre Suche nach einem geeigneten Börsen-Schülerbuch für sie enttäuschend verlief. So entstand auch ihr erstes Buch: „Börseneinstieg mit Spaß und Spannung“. 1996 kaufte sie ihre erste Aktie. In weiterer Folge erfand sie die Hoch/Tief-Mutstrategie, die sie im großen Crash von 2000 bis 2003 erfolgreich erprobte und bis heute an interessierte Anleger bringt.

Über die herCAREER

Die herCAREER ist Deutschlands Leitmesse für die weibliche Karriereplanung. Sie findet am 16. und 17. September 2021 bereits zum sechsten Mal in Münchenstatt und wird mit dem Netzwerkevent herCAREER@Night abgerundet. Mit der Messe und der Netzwerkveranstaltung wurde eine Plattform geschaffen, die Jobeinsteigerinnen, aber auch Aufsteigerinnen und Gründerinnen Netzwerke erschließt, die sie dabei unterstützen, beruflich weiter und schneller voranzukommen.

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