Sie kam einst nicht um zu bleiben, sondern um in einer Personalnot auszuhelfen. 17 Jahre später sitzt Christiane Wenckheim immer noch im Familienunternehmen – und zwar an der Spitze. Die Präsidentin der Ottakringer Brauerei über Generationsmanagement auf Englisch, soziales Träumen mit Vorständen und Storytelling als Strategie.
Hat es in ihrer Kindheit eine Erwartungshaltung seitens der Familie gegeben, dass Sie später einmal ins Unternehmen einsteigen?
Als wir Kinder waren, war meine Mutter Minderheitsaktionärin. Und mein Vater war quasi über meine Mutter mitbeteiligt, aber in Wahrheit Minderheitsaktionär. Der Hauptteil des Unternehmens hat dem Bruder meiner Mutter gehört. Erst gegen Ende der 90er-Jahre hat mein Vater meinen Onkel ausgekauft. Und erst dann war es überhaupt möglich, nachzudenken, ob jemand von uns Kindern einsteigt. Bis dahin war das nie ein Thema. Außerdem sind wir ja nicht alleine, es sind noch zwei Cousinen meiner Mutter dabei und Sigi Menz – eigentlich vier Familien, die gemeinsam das Unternehmen besitzen.
Wenn es um Ihre Karriere geht, kommt immer wieder diese sehr nette Geschichte mit dem Würstelstand ins Spiel. War es damals Ihre Idee, um sich in die Materie einzuarbeiten?
Nein, gar nicht. Ich habe Hotelfach gelernt, war in der Schweiz, bin dann drei Jahre nach Amerika und habe dort in der Hotellerie gearbeitet. Anfang der 1990er-Jahre habe ich beschlossen: Jetzt komme ich nach Europa zurück. Anfänglich habe ich keinen Job gefunden – bis irgendjemand in der Brauerei gesagt hat: Es gibt am Rathausplatz so ein neues Filmfestival. Da habe ich gesagt: Cool, ich mache einen Stand! Dann bin ich mit Plastikgeschirr und einem Griller, den mir ein Freund organisiert hat, dorthin und habe Hamburger geflippt. Vollkommen irre! Dieses Ding war nämlich nicht geerdet, und jedes Mal, wenn wir einen Hamburger geflippt haben, hat uns der Griller einen Schlag versetzt. Schon nach dem ersten Sommer habe ich das Ganze professionalisiert, mit Konzept und so, und wurde sehr erfolgreich damit. So habe ich Unternehmertum gelernt.
Was hat Ihnen Ihr Vater, Engelbert Wenckheim, auf den Weg mitgegeben, als Ihre Karriere im Unternehmen begonnen hat?
Eigentlich bin ich durch Zufall ins Unternehmen gekommen. Mein Vater hatte in der Marketingabteilung einen Totalausfall, und ich habe ihm vorgeschlagen: Ich helfe dir aus. Er hat mir damals prophezeit: »Wirst sehen, das ist dir gar nicht so fremd, du wirst alles gut kennen.« Schon als wir Kinder waren, hat mein Vater immer wieder Produkte mit nach Hause gebracht, uns Etiketten gezeigt und mit meiner Mutter Neuerungen besprochen. Das haben wir alles mitgehört. Als ich begonnen habe, im Unternehmen zu arbeiten, habe ich mich durch tausende Ordner gewühlt, weil ich die Geschichte so interessant fand. Dann habe ich drei Jahre mit meinem Vater gearbeitet – es war sehr spannend, von ihm zu lernen. Danach hat er mir die Führung übergeben.
Wie ist es, wenn man in die Stiefel des Vaters schlüpfen muss?
Für mich war klar, ich kann nicht weitermachen wie mein Vater. Wenn er den Leuten gesagt hat: alle Mann nach rechts – sind ihm alle gefolgt. Ich wusste, probiere ich es genauso, stehe ich alleine auf weiter Flur. Ich musste für mich etwas anderes erfinden. Also habe ich mir überlegt, wie wir gemeinsam mit den Mitarbeitern neue Weg entwickeln. So war das dann. Nicht alle waren an Bord, aber einige – und mit denen habe ich dieses Jüngerwerden, diese Öffnung durchgezogen.
Woran erkennt man, wenn man einen Schritt zurück machen muss?
Ich kann mich an eine Situation erinnern, als ich am Gang ein paar der älteren Mitarbeiter beiseite genommen und gesagt habe: Ihr seid die Kultursäulen der Organisation. Wenn ihr nicht mitmacht, habe auch ich verloren. Dann verlieren wir alle. Also haben die meisten mitgemacht, weil sie wussten, es muss weitergehen. Das war ein Learning für mich: Mach nicht zu viel auf einmal, es ist wichtig, dass die Leute verstehen, was du tust. Sonst überforderst du alle. Auch den Konsumenten.
»Ich finde, es gibt diesen weiblicheren Zugang zu Führung. Das ist das integrierende Element.«
Würden Sie sagen, dass es einen weiblichen und einen männlichen Führungsstil gibt oder einfach nur einen konstruktiven?
Ich finde, es gibt diesen weiblicheren Zugang zu Führung. Das ist das integrierende Element. Es bedeutet, zu fragen: Wie siehst du das? Als Mutter integriere ich ja auch laufend meine Kinder in Entscheidungen, genauso mache ich das im Job. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass dieser Führungsstil typisch Frau ist, sondern Archetyp weiblich. Viele Männer agieren inzwischen genauso. Du brauchst in einer Organisation allerdings auch den Archetypen männlich, sonst wird es zu harmonisch, sonst ist es »Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb«.
Wie viel Modernisierung oder Produkterweiterung verträgt so ein Betrieb? Gibt es da allgemein gültige Werte?
Vöslauer und Ottakringer sind Traditionsmarken, beide sind schon sehr lange am Markt. Das verlangt nach Kontinuität und einer gewissen inneren Logik. Trotzdem muss man immer wieder Neues einbringen. Jetzt haben wir das »Wiener Original« erfunden, dann das Brauwerk gemacht, unsere kleine Craftbeer-Brauerei. Es ist wichtig, Akzente zu setzen, mit denen man etwas erzählt. Ich sage immer: eine tolle PR-Geschichte im Jahr! Mehr nicht. Die muss es allerdings wert sein, dass die Menschen draußen sie weitererzählen. Das ist meine Strategie.
Wie wichtig sind strategische Berater von außen? Welche Funktion kommt ihnen in der Gruppendynamik zu?
Als wir im Zuge der Neuaufstellung der Eigentümerstruktur unseren Familiencharta-Prozess starteten, holten wir eine Professorin herein, die an der INSEAD in Fontainebleau Family Business unterrichtete. Sie sollte uns erzählen, wie andere Familienunternehmen in der Welt so etwas machen.
Wie sich die aufstellen, um zukunftsfähig zu sein und in die vierte, fünfte, sechste Generation zu kommen. Und – hat das auf Anhieb funktioniert?
Zuerst herrschte große Skepsis, ob auch wirklich alle Stimmen gehört werden. Aber dann habe ich einen kleinen Trick angewendet: Weil die Professorin englisch sprach, waren alle gezwungen, englisch zu reden. Somit war die Balance zwischen Alt und Jung rasch hergestellt. Die Jungen taten sich natürlich leichter, aber die Älteren waren gezwungen, schneller auf den Punkt zu kommen, weil sie die Sprache nicht so gut beherrschten. Das hat die Geschichten aus der guten, alten Zeit etwas nach hinten verlegt. Das war natürlich sehr nützlich (lacht).
»Mich fasziniert das: Wie kannst du eine Organisation verändern, wie Menschen weiterentwickeln.«
Sie haben einmal gesagt, Ihr Vater ist ein Patriarch im positiven Sinn. Als was würden Sie sich bezeichnen?
Würde mein Vater über sich selbst sagen, er ist ein Patriarch? Sicher nicht! Was ich mir auf die Fahne schreibe: Ich bin jemand, der gerne changed. Das habe ich auch zuletzt studiert – Veränderungsprozesse. Mich fasziniert das: Wie kannst du eine Organisation verändern, wie Menschen weiterentwickeln. Ein Beispiel: Ich habe zum Beispiel »soziales Träumen« in die Organisation gebracht. Alle haben gefragt: »Sag einmal, tickst du noch richtig…?«
… »bist du jetzt esoterisch geworden«?
Genau! Dabei stammt diese Methode aus der Organisationspsychologie. Ein Mittel, das Betriebe durchaus anwenden. Ich finde, in Zeiten wie heute herrscht so viel Veränderung, dass man lernen muss, zu experimentieren – selbst wenn etwas so Schräges wie soziales Träumen daherkommt. Man kann es ja wieder verwerfen, wenn es nicht weiterhilft. Aber wenn man einmal in einer Organisation mit den Vorständen geträumt hat, geht alles. Dann ist nichts mehr tabu, weil man automatisch den Denkrahmen erweitert hat. Und um das geht es mir: den Denkrahmen zu erweitern. Das finde ich spannend und damit provoziere ich gerne.
Vielen Dank für das Gespräch!