Gelungenes Beispiel aus der Unternehmenspraxis: Ein Co-Leadership-Modell, bei dem sich zwei Frauen die Führungsarbeit teilen, sorgt bei der Digitalberatung Futurice für mehr Transparenz, Flexibilität und Kollaboration. Ein Win-Win für das gesamte Team.
Co-Leadership – eine geteilte Führungsrolle – ist ein Beispiel, wie der New Work Gedanke in Unternehmen umgesetzt werden kann. Aufgrund der dynamischen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ist es wichtig, traditionelle Modelle zu überdenken und offen zu sein für integrative und innovative Ansätze.
Expertise vor Generalismus
Bevor die Doppelspitze eingeführt wurde, arbeiteten die Abteilung für Markenkommunikation unter Simone Mitterer und das Digitalmarketing unter Essi Knuutila weitgehend nebeneinander her. Das gesamte Marketing wurde von einem Chief Marketing Officer geleitet und koordiniert. Als alleinige Spitze hat man zwar die Abteilung als Ganzes im Blick, kann sich jedoch allein aufgrund des Zeitaufwands und der Vielfalt der Themen nicht optimal um die individuelle Entwicklung der einzelnen Mitarbeitenden oder die inhaltliche Weiterentwicklung der unterschiedlichen Fachbereiche kümmern. Noch schwieriger wird es dann, wenn das Team auf unterschiedliche Standorte verteilt ist und zusätzlich unterschiedliche Märkte bedient.
Da bietet das Co-Leadership-Modell deutliche Vorteile, vor allem in Fachbereichen mit mehreren Disziplinen und Märkten. Indem die Führungsaufgaben auf zwei Personen verteilt werden, bleibt mehr Raum, um die eigene fachliche Expertise einzubringen, Herausforderungen tiefer zu durchdringen und sich gleichzeitig um die individuelle Entwicklung der Mitarbeitenden zu kümmern.
Dies widerspricht dem gängigen Bild, dass für eine Führungsrolle Fachexpertise nicht notwendig sei. Im Gegenteil, Ziel ist es, dass die Co-Leader nah an den Themen bleiben, um Prioritäten besser setzen zu können und Mitarbeitende aktiv zu unterstützen. Jedoch erforderte die Umsetzung des neuen Führungsmodells klare Strukturen, Transparenz und einen vertrauensvollen Umgang innerhalb des Teams.
Unternehmensphilosophie und Teamstruktur
Es ist wichtig, dass die Unternehmenswerte und -kultur mit den Teamstrukturen und dem Führungsstil Hand in Hand gehen. Transparenz, Vertrauen, Wertschätzung und kontinuierliche Weiterentwicklung dienen als Grundlage für eine offene und kooperative Arbeitsumgebung. Dafür muss stets gewährleistet sein, dass alle Mitarbeitenden die Möglichkeit haben, sich aktiv mit ihren Ideen und Vorstellungen einzubringen.
Um eine vertrauensvolle Basis für die Zusammenarbeit zu schaffen, wurden bei Futurice unterschiedliche Feedback-Formate geschaffen. Ein Beispiel dazu ist das sogenannte „MyRetro“. Auch die Führungskräfte sind ein Teil davon. So erhalten die Co-Leader unvermitteltes Feedback auf ihr Handeln und sind dadurch in der Lage, an sich selbst zu arbeiten.
Umgekehrt funktioniert es genauso: Die Mitarbeitenden können für sich selbst mehrfach im Jahr ein Retro einfordern, um konstruktive Rückmeldung zu erhalten. Außerdem teilt das Team wöchentlich Bilder oder Gifs, die die aktuelle Gemütslage beschreiben. So lernt man sich besser kennen und kann auf die Wünsche und Bedürfnisse der anderen besser achten.
Qual der (Partner)wahl
Damit man erfolgreich im Duo zusammenarbeiten kann, ist die richtige Wahl des Partners bzw. der Partnerin eine weitere wichtige Voraussetzung. Bei Futurice ergänzen sich die beiden Expertinnen in ihren Stärken und Schwächen, teilen aber die gleiche Vision für die Abteilung. Aber gibt es ein Universalrezept für die perfekte Partnerwahl? Es ist auf jeden Fall sinnvoll, schon zu Beginn in regelmäßigem Austausch zu stehen, um Positionen abzustecken, gemeinsame Ziele zu definieren und eine Vertrauensbasis zu schaffen.
Während dieses Prozesses stellen sich mehrere Fragen: Wie soll die tägliche Zusammenarbeit künftig aussehen? Welche Themengebiete sollen weiterentwickelt werden? Wie kann man Teammitglieder optimal fördern?
Eine häufig genannte Floskel „Gegensätze ziehen sich an“ ist in diesem Fall kein guter Rat. Ständige Reibungen zwischen den Führungspersonen sind innerhalb eines Co-Leadership-Modells nicht von Vorteil. Ein solches funktioniert nur dann, wenn maximales Vertrauen und Offenheit zwischen den beiden Führungspersonen herrschen.
Geteilte Verantwortung
Verantwortung zu teilen kann oftmals eine Herausforderung sein. Eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung ist eine ehrliche Selbstreflexion, um die eigenen Stärken und Schwächen zu identifizieren. Bei Futurice wurden die Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen Essi Knuutila und Simone Mitterer nach fachlicher Expertise verteilt.
Simone Mitterer verantwortet die Markenkommunikation und damit unter anderem die Bereiche Marketing, Employer Branding, Kommunikation und PR. Essi Knuutila ist verantwortlich für das Digitalmarketing und Themen wie Social Media, SEO-Optimierung sowie für die Entwicklung von Marketing-Tools.
Durch diese Aufgabenteilung bleiben die fachlichen Schwerpunkte bestehen und es bleibt zusätzlich Zeit, um gemeinsam administrative Aufgaben zu erledigen und sich um die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden zu kümmern.
Der Schlüssel zum Erfolg: Kommunikation
Die Kommunikation innerhalb des Teams muss ebenfalls gut strukturiert sein und wichtige Informationen und Entscheidungen sollten immer schnellstmöglich weitergegeben werden, um ein reibungsloses Arbeiten zu ermöglichen. Daher stehen bei Futurice regelmäßig Meetings, sowohl im großen Team als auch in kleineren Gruppen, auf der Tagesordnung. Für Simone Mitterer und Essi Knuutila spielt eine offene und vertrauensvolle Kommunikation eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, das Team zu leiten und ein vertrauensvolles Arbeitsklima zu schaffen.
Alltägliche Dinge werden nahezu in Echtzeit über Kommunikationstools wie Slack abgestimmt. Um dennoch nicht unkontrolliert zu kommunizieren, ist es empfehlenswert, bestimmte Punkte zu bündeln und erst dann zu kommunizieren, wenn die Informationen vollständig und relevant sind. Offenheit zahlt sich am Ende immer aus – so banal der Satz auch klingen mag, so wichtig ist er für ein effizientes Co-Leadership.
Als Führungsduo kann man nicht immer einer Ansicht sein und nicht jede Diskussion führt automatisch zu einer Einigung. Sind die Co-Leader in einer solchen Situation, kommt die transparente und offene Teamstruktur ins Spiel. Denn in Diskussionen, die nicht entschieden werden können, werden die Expertise und die Meinung des Teams eingebunden. So ist man sich gegenseitig Sparringspartner und vermittelt die Werte, die dem Unternehmen wichtig sind.
Sparringspartner Team
Das Einbeziehen des Teams in Entscheidungsprozesse und das offene Zuhören ist nicht nur ein Zeichen von Wertschätzung, sondern kann auch die Kreativität und Innovationskraft des Teams steigern. Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, dass ihre Meinungen und Ideen zählen, sind sie eher bereit, sich aktiv einzubringen und kreativ zu denken – und es entstehen innovative Lösungen, die sonst möglicherweise übersehen worden wären.
Als gutes Beispiel dient hier das Festlegen der Quartalsziele. Hier unterbreitet das Führungsduo von Futurice dem Team Vorschläge, die von allen kommentiert und ergänzt werden können und für die abgestimmt werden kann. Durch die Abstimmung zeigt sich meist schon eine gute Tendenz, wo die Reise in diesem Quartal hingehen soll.
Falls das nicht der Fall ist, muss noch einmal genauer nachgehakt und über die verschiedenen Punkte diskutiert werden.Was man dabei aber nicht vergessen darf: Die Einbindung des Teams in Entscheidungsprozesse bedeutet nicht, dass die Führungsebene ihre Verantwortung abgibt. Am Ende müssen immer klare Entscheidungen getroffen und Verantwortlichkeiten definiert werden. Die Einbindung des Teams dient eher dazu, alle relevanten Perspektiven und Expertisen zu berücksichtigen und eine breitere Basis für Entscheidungen zu schaffen.
Der Aufwand lohnt sich
Entscheidet man sich, traditionelle Pfade zu verlassen und moderne Führungskonzepte umzusetzen, ist es nicht damit getan, einfach nur eine Person durch zwei zu ersetzen. Diese Veränderung betrifft das Team als Ganzes ebenso wie das restliche Unternehmen – man geht ein gewisses Risiko ein.
Die Herausforderungen können zunächst groß erscheinen. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um maximale Transparenz zwischen verschiedenen Standorten herzustellen, neue Kommunikationstools einzuführen und die Akzeptanz für einen stetigen Austausch zu schaffen.
Es gilt außerdem, die neue Rollenverteilung im Team und im Unternehmen klar zu kommunizieren und zu erklären, damit sichergestellt wird, dass Strukturen und Regeln verstanden werden und Vertrauen entsteht. Stellt man sich den bisherigen Herausforderungen, lohnt sich der Aufwand allerdings dreifach:
- Führungsduo: Durch die Position in einem Führungsteam erhält jede Partei die Möglichkeit, in einem sicheren Umfeld zu wachsen. Es gibt eine andere Person an der Seite, die mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert ist und gemeinsam können Lösungen gefunden werden. Neben dem Umgang mit Verantwortung lernt man auch, wie man vertrauensvoll Entscheidungen trifft, abwägt und diskutiert und die eigenen Interessen auch einmal zurückstellt.
- Team: Ein Team, das eine offene und gleichberechtigte Struktur lebt, kann sein Potenzial voll entfalten, da alle Teammitglieder in der Lage sind, sich einzubringen und Ideen zu teilen. Das Führungsduo spielt hierbei eine wichtige Rolle als Mentor und Sparringspartner für die Mitarbeitenden. Das alles kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn auf Führungsebene genügend Zeit und Raum für die individuelle Entwicklung der Teammitglieder vorhanden ist.
- Unternehmen: Durch eine klare Arbeitsteilung an der Spitze einer Abteilung können wertvolle Ressourcen freigesetzt werden, um die inhaltliche Weiterentwicklung der Abteilung voranzutreiben. Im Fall von Futurice wurde durch die Doppelspitze das Fachwissen aus zwei verschiedenen Disziplinen gebündelt und vernetzt. Dadurch können Synergien genutzt werden, um das Marketing als Ganzes weiterzuentwickeln. Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Digitalmarketing können beispielsweise verwendet werden, um die Content-Strategie und das Employer Branding zu verbessern. Durch entsprechende Analysen und Daten aus dem Digitalbereich werden Kunden zielgerichteter angesprochen, was zu einer effizienteren Arbeit und einem besseren Kundenerlebnis führt.
Den richtigen Rahmen schaffen
Es ist offensichtlich, dass die Einführung eines Co-Leadership-Modells nicht einfach bedeutet, eine Person durch zwei zu ersetzen. Vielmehr muss der Führungsansatz sorgfältig in die Unternehmensstruktur integriert werden und auf die Bedürfnisse des Teams abgestimmt sein, das geleitet wird.
Darüber hinaus ist es wichtig, den Nutzen des Modells kontinuierlich darzustellen, auch im Hinblick auf die alltägliche Arbeit. Nur wenn ein Mehrwert erkennbar ist, wird das Projekt für andere attraktiv und kann zum Vorbild werden. Wenn jedoch der Rahmen gesetzt ist, verspricht das Co-Leadership-Modell Erfolg und hebt den New-Work-Gedanken auf eine neue Ebene: weg von bloßen Lippenbekenntnissen, hin zu gelebter Gleichberechtigung, Flexibilität und Transparenz.
Simone Mitterer leitet von München aus als Global Head of Brand and Communications und Teil der Geschäftsführung die Markenkommunikation der Digitalberatung Futurice.
Essi Knuutila leitet von Helsinki aus als Global Head of Digital Marketing das Digital Marketing des Unternehmens. Zudem gehört sie dem Management von Futurice Finnland an.