Von der „Apotheke der Welt“ in die asiatische Abhängigkeit: Erkenntnisse aus der Pandemie und Antworten auf die Frage, ob Europa wieder selbst Arzneimittel produzieren sollte.
Frühjahr 2020: die Welt kämpft mit dem Ausbruch der Pandemie und um einen Artikel, der sich für wenige Cents herstellen lässt und dennoch auf dem europäischen Kontinent so gut wie nicht verfügbar ist – die simple Atemschutzmaske. Von einem auf den anderen Tag – so scheint es rückblickend – erschüttert die Achillesverse der Abhängigkeit von bestimmten Produkten das bis dahin geglaubte heile globale Dorf. Die weltweit entbrannte „Schlacht um die Masken“ lenkt die Diskussion auf ein weiteres Thema, das in Zeiten von Corona durchaus Anlass zu Sorge bereitet: die Verlagerung der weltweiten Arzneimittelproduktion nach Indien und China. Die „Deutsche Apotheker Zeitung“ warnt schon 2018: „Die heimische Pharmaindustrie und damit die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung werden immer abhängiger von der asiatischen Produktion. Brächen die Wirkstoff-Lieferungen aus Indien und China zusammen, so käme auch die hiesige Arzneimittelproduktion weitgehend zum Erliegen. Der Aufbau einer eigenen Produktion würde nach Schätzung von Experten Monate, wenn nicht Jahre dauern. Angesichts der Abhängigkeit von Arzneistoff-Importen aus Asien hat die Zuschreibung einer „Apotheke der Welt“ für Deutschland heute nur noch historische Bedeutung.“
Wir baten eine anerkannte Insiderin zum Gespräch: Sabine Fuchsberger Paukert. Die Apothekerin ist Geschäftsführerin eines der renommierten pharmazeutischen Spezialgroßhändler in Süddeutschland, der ilapo Internationale Ludwigs-Arzneimittel GmbH & Co. KG mit Sitz in München.
Frau Fuchsberger Paukert – Hand aufs Herz: Bereitet Ihnen die ganz offensichtliche Abhängigkeit von Arzneimitteln-Importen gelegentlich Kopfzerbrechen?
Lieferengpässe sind Gang und gebe in den Apotheken. Impfstoffe, Antidepressiva, Analgetika, immer wieder fehlen wichtige Arzneimittel. In den meisten Fällen finden die Apotheken ein Äquivalent in Deutschland, mit gleichem Wirkstoff von einem anderen Hersteller. Falls nicht, kontaktieren sie uns in der ilapo, wir suchen nach einer Alternative aus dem Ausland und es gelingt uns, die Lücke zu schließen. Closing the Therapeutic Gap, das ist unser Slogan. Lieferengpässe bereiten Kopfschmerzen, sie erschweren die Prozesse in der Apotheke, wir können unsere Kunden dabei unterstützen, die Ursache liegt aber im System.
Wie groß ist diese Abhängigkeit? Und wie hoch schätzen Sie gegenwärtig die Gefahr ein, dass notwendige Lieferungen von Arzneimittel-Produzenten in China oder Indien eines Tages – aus welchen Gründen auch immer – ins Stocken geraten können?
Die Abhängigkeit von Herstellern im Ausland ist riesig. Lieferengpässe nehmen zu. Jährlich werden über deutsche Apotheken ca. 1,5 Mrd. Packungen abgegeben, im Jahr 2020 haben die Einzelimporteure ca. 150.000 Packungen auf Grund von Lieferengpässen importiert. Das ist eine ganze Menge finde ich, wenn man bedenkt, dass das alles „Spezialbestellungen“ sind, der Patient Tage auf sein Medikament warten muss und es mehr Kosten verursacht. Mir ist Gott sei Dank aber kein Fall bekannt, bei dem es auf Grund eines Lieferengpasses zu dramatischen Zwischenfällen gekommen wäre, zum Beispiel durch Ausfall eines Krebsmittels und dadurch zu einem Todesfall.
Jeder von uns hat es beim Besuch einer Apotheke selbst schon zu hören bekommen: „Tut uns leid – wir werden mit dem gewünschten oder vom Arzt verschriebenen Präparat nicht mehr beliefert“. Klären Sie uns auf – was steckt dahinter?
Es gibt nicht nur einen Grund, hinter Lieferengpässen können viele Ursachen stecken, hier die aus meiner Sicht Prägnantesten: Durch Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern lastet ein finanzieller Druck auf den Herstellern, die Personalkosten in Deutschland sind hoch, also wird die Produktion ins Ausland verlagert.
Mit Rabattverträgen der Krankenkassen mit nur einem Hersteller trägt dieser die volle Last der Versorgung, kein anderer Hersteller kann auf die Schnelle bei einem Ausfall den Engpass abfedern. Und es zählt derzeit nur der Preis, nicht die Vielfalt der Anbieter und die Sicherheit der Lieferketten. Hersteller planen ihre Herstellungszyklen langfristig, bei Ausfall einer Charge dauert die Planung und Herstellung einer neuen Charge viele Monate.
Engpässe gibt es nicht nur bei den Fertigarzneimitteln, sondern auch bei den Wirkstoffen, hier gibt es wenige Hersteller mit guter Qualität, und diese versorgen den gesamten Weltmarkt; inzwischen konkurrieren die Europäer mit aufstrebenden Staaten wie China und Indonesien, die auch in eine gute Gesundheitsversorgung investieren.
Erst BioNtech, in Kürze auch CureVac. Mit den beiden Unternehmen und den von ihnen entwickelten mRNA-Corona-Impfstoffen scheint Deutschland zurück auf die Weltkarte der bedeutenden Pharmahersteller zu kehren. Einmalige Ausnahme oder der Beginn eines neuen Zeitalters?
Deutschland hat in der Vergangenheit viele bedeutende Wirkstoffe hervorgebracht und ist weiterhin im Ländervergleich weit oben im Ranking bei der Pharmaforschung und Entwicklung. Der Standort Deutschland zeichnet sich aus durch ein Netz aus Kooperationen von Grundlagenforschern aus Universitäten, Instituten und vielen Biotech-Start-up Firmen mit Pharmafirmen. Hinzu kommen hoch qualifizierte Arbeitskräfte und die Unterstützung der Politik. Das brachte den Erfolg für BioNTech und CureVac.
Hätte Deutschland keine Investoren wie Andreas und Thomas Strüngmann bei BioNtech und keinen Dietmar Hopp bei CureVac, um die Biotechnologie hierzulande wäre es ganz offensichtlich schlecht bestellt. Woran fehlt es?
Start-ups benötigen Kapital und hier haben die Strüngmann Brüder nach ihrer Generika Idee erneut einen guten Riecher gehabt, ebenso Herr Hopp. Und die Politik unterstützt die Biotechbranche über Kooperationen und Netzwerke wie beispielsweise dem Cluster Martinsried in München. Aber andere Länder schlafen nicht, es gibt viele Wettbewerber wie die USA, Frankreich, die Schweiz und inzwischen auch Asien, hier vor allem China, Singapur und Südkorea. Und die bürokratischen Mühlen mahlen in Deutschland immer noch zu lange. Also viel Licht, aber auch etwas Schatten für den Standort Deutschland.
Ihre Prognose: wird der durch die Pandemie ausgelöste Schock ein Comeback der pharmazeutischen Industrie in Europa markieren? Hielten Sie es für sinnvoll, wenn wieder verstärkt in Deutschland und Österreich produziert würde. Und wenn ja – wie lange wird dieser Prozess dauern?
Hier wurden bereits die Weichen gestellt sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene, der Prozess, die Herstellung zurück nach Europa zu bringen wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Und jeder muss sich bewusst machen, dass sich das im Preis der Arzneimittel niederschlagen wird. Mit billig billig bekommen wir das nicht zurück. Wir müssen uns also entscheiden, Sicherheit in der Lieferkette oder billige Arzneimittel.
Eine persönliche Frage: gehören Sie einem bestimmten Netzwerk an? Und wenn ja – welchen Mehrwert ziehen Sie aus Ihrem Netzwerk?
Ich bin in mehreren Netzwerken, engagiere mich als Delegierte in der Bayerischen Apothekerkammer, stelle mich gerade wieder zur Wahl in der IHK München und Oberbayern für die Vollversammlung, bin Mitglied im VdU Bayern, dem Verband deutscher Unternehmerinnen. Ich schätze den Austausch unter Kollegen, Unternehmern, mit der Politik und erweitere so meinen Horizont, lerne viel, kann mir viel abschauen für mich und mein Unternehmen.
Frau Fuchsberger-Paukert – wir bedanken uns für das Gespräch
Foto: Sabine Fuchsberger-Paukert
Fotocredit: Stefanie Aumiller
Das Interview führte Yvonne Molek