Wer kennt das nicht: Wir werden älter und die Zeit vergeht immer schneller. Und halten uns dabei gerne an der Utopie fest, irgendwann wieder mehr Zeit zu haben. Damit wollten wir uns allerdings nicht zufrieden geben und haben deshalb nach einer Abkürzung gesucht. Lust auf einen extra Schuss Zeit?
Was wäre, wenn das Zeitreisen gar nicht erfunden werden müsste, um den Zahnarztbesuch zu beschleunigen oder den Sonntag ein bisschen mehr in die Länge ziehen zu können? Frau über die eigene Zeitwahrnehmung zu werden, ist möglich. Autorin Claudia Hammond zeigt, wie es geht.
Heute wird die Zeit genauer gemessen als je zuvor. So genau, dass streng darauf geachtet wird, keine einzige Sekunde zu verlieren. Die individuelle Zeitwahrnehmung zu messen, fällt allerdings gar nicht so leicht, schließlich haben wir kein konkretes Sinnesorgan, das dafür zuständig ist. Und trotzdem sind wir in der Lage relativ genaue Schätzungen darüber abzugeben, wie lange eine Minute andauert, wann ungefähr Mittag sein dürfte und ob wir es noch rechtzeitig von A nach B schaffen werden. Wie ist uns das möglich? Und warum erscheinen uns manche Momente so viel länger als andere?
Claudia Hammond befasst sich neben diesen Rätseln auch mit dem Zusammenhang von subjektivem Zeitempfinden und Erinnerungsvermögen, unserer Fähigkeit vorauszuplanen und die Zeit so schieben zu können, wie wir sie gerade brauchen. Mehr in der Gegenwart leben, check. Mehr Zeit für den Berg an Arbeit haben, check. Endlich nicht mehr auf jene Dinge vergessen, wegen der man eigentlich einkaufen gegangen ist, check.
Faszinierende Experimente und Selbstversuche von Menschen, die an die Grenzen des Möglichen gingen, um individuelle Zeitwahrnehmung zu messen, zieht die Autorin und Journalistin heran, um etwas Leben in die Welt der Theorien zu bringen. Beispielsweise berichtet sie von Michel Siffre, der für zwei Monate in einer Höhle der französischen Alpen vollkommen isoliert verweilte, um zu beobachten, wie sich sein von Uhren und Tageslicht vollkommen unabhängiges Zeitempfinden auf seinen Körper auswirken würde. Erstaunlich war vor allem das Ausmaß der wahrgenommenen Zeitverzögerung: Als er nach zwei Monaten aus der Höhle befreit wurde, konnte er seine als »früh« empfundene Entlassung nicht fassen. Er glaubte noch ganze 25 Tage vor sich zu haben. Aber auch sein Körper reagierte auf die frostigen und dunklen Bedingungen der Höhle, da er sich tatsächlich auf eine Art Winterschaf vorbereitete. Forschungen wie diese geben uns erste Einblicke in die Dimensionen subjektiver Zeitwahrnehmung, fordern uns aber auch dazu auf, Kompetenzen in der Kontrolle dieser Wahrnehmung zu entwickeln.
Mit leicht verständlichen Wortspielen und einer unterhaltsamen Art der Relativierung der Welt, schafft es Hammond immer wieder, ihre Leser*innen mit auf eine Reise durch die Zeit zu nehmen. Eines ihrer Ziele ist es, ihrem Publikum zu verdeutlichen, dass subjektive Zeitwahrnehmung beeinflussbar ist und dadurch die individuelle Lebensqualität gesteigert werden kann.
ACHTUNG SPOILER: Für die Neugierigen unter euch haben wir ein wenig »First-Hand-Information« zum Thema, wie die immer schneller vergehende Zeit verlangsamt werden kann, vorbereitet. Claudia Hammond wirft an dieser Stelle allerdings ganz bewusst die Frage an das Publikum zurück und fordert es auf, sich zu überlegen, ob man das auch wirklich ein Wunsch sein kann, schließlich bedeutet schnell vergehende Zeit ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Wenn Sie die Zeit trotzdem ab und an einfach ein bisschen einbremsen möchten, erfahren Sie jetzt mehr: In ihrer Theorie des »Urlaubs-Paradoxes« stellt sie sich der Frage, warum die Zeit im Urlaub so schnell vorübergeht, während es sich nach der Rückkehr so anfühlt, als sei man eine Ewigkeit fort gewesen. Ganz einfach: Der Urlaub platzt förmlich voller neuer Eindrücke – Routine gibt es nicht. Neue Eindrücke sorgen für Erinnerungen, die es uns wiederum ermöglichen, zumindest gefühlt die Zeit zu verlangsamen. Das bedeutet für uns Zeitreisende also, dass wir möglichst genau darauf achten sollten, Tage, Wochen und Monate mit Neuem zu befüllen, um Erinnerungen zu schaffen. Dadurch ziehen die Wochen nicht mehr so schnell an uns vorbei und kommen uns im Rückblick sogar noch länger vor, als sie tatsächlich waren. Ich weiß, dass es widersprüchlich klingt, aber probieren Sie es aus – sie werden überrascht über die gewonnene Zeit sein.
Stimmungsbarometer: befreiend
Leseverlauf: häppchenweise
Spannungsaufbau: exponentiell