Remote Work ist inzwischen vielfach Normalität. Nach zwei Jahren Pandemie zeigt sich, welche Gefahren im Homeoffice entstehen – und wie sie sich umgehen lassen.
Geht es nach den Erwerbstätigen, wird es in der Zeit nach der Pandemie eine Mischung aus mobiler und Präsenzarbeit geben. In Zukunft möchten neun von zehn Beschäftigten, bei denen dies möglich ist, mindestens teilweise im Home-Office arbeiten, ermittelte der Branchenverband Bitkom. Derzeit arbeitet fast die Hälfte der Beschäftigten mobil. In den vergangenen zwei Jahren haben sich dabei einige Gefahren gezeigt, auf die Unternehmen jetzt reagieren sollten.
Gesundheitsprobleme:
„Eng getaktete Videokonferenzen, kaum Pausen und die fehlenden persönlichen Kontakte führen bei vielen Beschäftigten im Homeoffice zu Erschöpfung, Gereiztheit oder Gefühlen der Isolation“, beobachtet André Siegl, Arbeitsschutzexperte des TÜV-Verbands. Ein Drittel der derzeit im Homeoffice oder mobil Erwerbstätigen fühlt sich oft allein oder isoliert, ergab eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des TÜV. „Verschärfend kommen ergonomisch unzureichend eingerichtete Arbeitsplätze und der Bewegungsmangel hinzu“, mahnt der Experte. Zwei von drei Beschäftigten geben an, dass sie sich bei häufiger Arbeit im Homeoffice zu wenig körperlich bewegen, und mehr als ein Drittel hat laut Umfrage während längerer Phasen im Homeoffice an Körpergewicht zugelegt. „Wenn tägliche Arbeitswege wie der Gang oder die Fahrt mit dem Rad zur Arbeit wegfallen, macht Homeoffice dick“, sagt Siegl. Nur die Hälfte der Befragten verfügt im Homeoffice über einen ergonomisch eingerichteten Arbeitsplatz mit Bürostuhl, Schreibtisch, externer Tastatur und großem Bildschirm. Die Folge sind Schmerzen oder Verspannungen. „Nach zwei Jahren Pandemie mit langen Homeoffice-Zeiten sind viele Arbeitnehmer körperlich und mental angeschlagen“, sagt Siegl. Gerade die Kombination aus psychischen und physischen Belastungen erhöhe die Gefahr von langwierigen Krankheiten und Burnout.
Nach dem Auslaufen der Homeoffice-Pflicht sollten Arbeitgeber jetzt die Arbeitsorganisation an die neuen Gegebenheiten anpassen, raten die Experten. Das betrifft unter anderem die arbeitsrechtlichen Regelungen zum mobilen Arbeiten, die Ausstattung der Homeoffice-Arbeitsplätze, aber auch die Gestaltung der Arbeit in den Büroräumen. Entscheidend sei eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur. Dazu gehören an erster Stelle Vorgesetze, die ihre Mitarbeitenden unterstützen und in Entscheidungen einbeziehen. Arbeitgeber sollten Fortbildungen zum Zeit- und Selbstmanagement, Stressbewältigung oder Gesundheitsförderung anbieten und Regeln für eine effiziente und rücksichtsvolle interne Kommunikation festlegen.
Auch ein gesunder Schlaf gehört zur Burnout-Vorbeugung, so der Schlafmediziner Helmut Teschler. Etwa 25 Prozent der Menschen in Österreich und Deutschland hätten inzwischen ein gravierendes Schlafproblem, weiß der Experte. Schlecht einschlafen können laut Umfragen speziell jüngere Menschen unter 40, besonders stark seien Frauen betroffen. Als Erklärung nennt Teschler im „Standard“, dass viele durch das Homeoffice ihren eigenen Schlafrhythmus ruiniert haben, weil sie beispielsweise später ins Bett gehen und noch weit in den Abend arbeiten oder Nachrichten konsumieren. Davon rät der Mediziner ab.
Eine aktuelle Untersuchung des Branchenverbandes Bitkom zeichnet ein positiveres Bild: 85 Prozent der Erwerbstätigen, die mobil arbeiten, fühlen sich weniger gestresst, weil der Weg zur Arbeit entfällt. Fast die Hälfte der Befragten schätzt die Möglichkeit eines gesundheitsbewussteren Lebensstils, etwa durch Zeitslots für den Sport oder eine bessere Ernährung.
Karriereknick:
Je mehr Beschäftigte wieder in die Büros zurück gerufen werden, desto genauer sollte das Thema Remote Work weiter im Fokus stehen, appelliert Inga Höltmann, New Work-Expertin und Gründerin der Accelerate Academy. „Wir laufen Gefahr, mit der Remote Work einen Fehler zu wiederholen, den wir auch bei Teilzeit-Modellen gemacht haben: Dass wir Remote Work als Abweichung von der Norm „Gearbeitet wird im Büro“ verstehen. Und wenn wir das tun, wird es immer ein Nachteil sein, wenn jemand anderswo als im Büro arbeiten möchte. Und es wird immer nachteiliger, je mehr er oder sie das dauerhaft in Anspruch nimmt“, erklärt die Herausgeberin des New Work Briefing. Das gelte insbesondere für diejenigen, die Care-Arbeit übernehmen.
„Remote Work ist gekommen um zu bleiben. Die Menschen wollen nicht nur einfach im Homeoffice oder einem anderen Ort arbeiten. Sie wollen, dass es sich genauso richtig anfühlt, dass sie genauso gesehen werden, dass sie sich genauso weiterentwickeln können, dass sie genauso Karriere machen können. Dies geht weit darüber hinaus, eine technische Ausstattung zur Verfügung zu stellen“, weiß Inga Höltmann. Dieser Aufgabe müssen sich Führungskräfte weiter stellen und im engen Austausch mit den Beschäftigten bleiben. Denn Remote Work sei vor allem eine Kommunikationsaufgabe, so Höltmann.
Bindung ans Unternehmen bröckelt:
Der aktuelle Gallup Engagement Index Deutschland warnt vor einer wachsenden Wechselbereitschaft der Beschäftigten. „Der Arbeitsmarkt in Deutschland wird volatiler – allerdings nicht für Arbeitnehmer:innen, sondern für die Unternehmen. Noch nie waren so viele Menschen auf Jobsuche oder offen für Veränderungen wie jetzt“, sagt Pa Sinyan, Managing Partner von Gallup in EMEA. Laut Index wollen 23 Prozent der Beschäftigten in einem Jahr nicht mehr bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber tätig sein, 42 Prozent wollen den Absprung innerhalb von drei Jahren gemacht haben. „Unternehmen müssten sich mehr denn je darum bemühen, ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen, denn mit einer hohen emotionalen Bindung sinkt die Wechselbereitschaft signifikant“, sagt Pa Sinyan. Sein Kollege Marco Nink, Director of Research & Analytics EMEA ergänzt: „In einem Arbeitsmarkt, der in den nächsten Jahren Millionen von Babyboomern verliert, müssen Unternehmen jetzt handeln, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Dazu gehört beispielsweise, die Rahmenbedingungen mehr an die Bedürftnisse der Mitarbeitenden anzupassen und flexiblere Regelungen auch weiter zu ermöglichen. Denn wir haben gelernt: Homeoffice funktioniert. Es ist und bleibt gute Führung, die als emotionales Auffangbecken wirkt und vor Fluktuation schützt.“
Cyber-Attacken:
Vielen Beschäftigten fehlen klare Vorgaben und Schulungen zum Thema Cybersecurity, warnt der TÜV. „Die massenhafte Arbeit im Homeoffice hat die Gefahr von Cyberangriffen erhöht“, sagt Dr. Dirk Stenkamp, Präsident des TÜV-Verbands. „Häufig fehlt es an Schulungen, klaren Verhaltensregeln im Fall eines IT-Angriffs oder an der notwendigen technischen Ausstattung.“ In einer aktuellen Forsa-Umfrage gaben 41 Prozent der Teilnehmenden an, dass es keine Vorgaben ihres Arbeitsgebers gibt oder ihnen keine Regeln bekannt sind, wie sie sich bei einem IT-Sicherheitsvorfall verhalten sollen. „Bei erfolgreichen IT-Angriffen ist Zeit ein entscheidender Faktor, um den Schaden möglichst schnell eindämmen zu können“, betont Stenkamp. Erfolgreiche oder auch vermutete Angriffe müssten sofort gemeldet und das betroffene Gerät vorsorglich vom Internet getrennt werden.