StartMoneyKapitalmarkt Rückblick & Ausblick 2023

Kapitalmarkt Rückblick & Ausblick 2023

Festtagsstimmung ist Ende 2022 Fehlanzeige. Ein Jahr, das vielversprechend und mit hohen Erwartungen begann, endet als schlechtestes Jahr für globale Anleger seit Jahrzehnten und mündet wahrscheinlich für viele Volkswirtschaften in einer Rezession mit steigender Inflation.

In den letzten zwölf Monaten gab es nur wenige Möglichkeiten, sich zurückzuziehen, da die grundlegendsten Bausteine diversifizierter Portfolios nicht den üblichen Schutz boten. In „normalen“ Zeiten hätte man erwarten können, dass eine starke Verschlechterung der Wachstumsaussichten die Aktienmarktbewertungen zwar beeinträchtigt, der daraus resultierende Schmerz aber dadurch gemildert wird, dass Zentralbanken die Leitzinsen senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. Konsequenz wäre dann normalerweise eine Rally der Anleihenmarkt-Bewertungen gewesen: Ein Teil des Portfolios leidet, aber der andere Teil gleicht aus.

Übliche Lockerung der Geldpolitik blieb aus

2022 war jedoch kein „normales“ Jahr. Da Aktienmärkte angesichts der sich drastisch verschlechternden Wachstumsaussichten abverkauft wurden, blieb die übliche Atempause einer Lockerung der Geldpolitik aus. Die Zentralbanken waren vielmehr gezwungen, die Bekämpfung der durch den Ukraine-Krieg angeheizten Inflation zu priorisieren und zu zähmen. Die eindeutige Antwort der Notenbanker in Frankfurt, London und Washington auf die Frage „Muss es sein?“ war ein entschlossenes und einheitliches  „Ja“. In der Folge sind Aktien gefallen, Zinsen gestiegen – und die Diversifizierung im Portfolio hat wenig Schutz geboten.

Inflation dürfte Höhepunkt erreicht haben

Für diejenigen Anleger, die nach einem Hauch von Trost suchen, bietet der Ausblick für 2023 weit mehr Potenzial. Das Rezessionsrisiko ist allgemein bekannt und mittlerweile in vielen Anlageklassen eingepreist. Die Inflation dürfte nun ihren Höhepunkt erreicht haben, während der Weg der Inflation zurück auf zwei Prozent eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen könnte. Die Mäßigung der Preissteigerungen im Laufe des nächsten Jahres könnte den Zentralbanken die nötige Atempause verschaffen, um innezuhalten und von ihrer unerbittlich aggressiven Straffung der Geldpolitik abzusehen (irgendwann im ersten Halbjahr). Wirtschaftlich dürften die nächsten Monate stürmisch bleiben, jedoch könnten sich die Wolken über den Anlageaussichten allmählich verziehen.

Risikoarme Staatsanleihen dank aktuell verfügbarer Renditen wieder attraktiv

Ein bedeutender Vorteil für Anleger besteht darin, dass der Anstieg der Zinssätze ein breiteres Spektrum an Anlagemöglichkeiten eröffnet hat. Die Senkung der Zinssätze durch Zentralbanken – in ihrem Bestreben Inflation und Wachstum anzukurbeln – hat während des größten Teils des letzten Jahrzehnts festverzinsliche Wertpapiere vor Herausforderungen gestellt. Der Kauf einer zehnjährigen deutschen Staatsanleihe zu einer Rendite von fast minus einem Prozent war nur begrenzt attraktiv. Der Kauf desselben „sicheren Hafens” zu plus zwei Prozent sieht jedoch viel attraktiver aus. Wenn Sie den Charme 10-jähriger US-Staatsanleihen bevorzugen, liegen die jetzt verfügbaren Renditen bei etwa 3,75 Prozent, was einem Anstieg von mehr als drei Prozentpunkten gegenüber ihren COVID-induzierten Tiefstständen entspricht.

In ähnlicher Weise bieten risikostarke Rentenanlagen – seien es Unternehmensanleihen oder Schwellenländeranleihen – aktuell über das gesamte Spektrum hinweg ein interessanteres Renditeprofil. Selbstverständlich müssen die zugrunde liegenden Risiken sorgfältig analysiert werden, da wir möglicherweise auf eine Rezession zusteuern. Es wäre ein Fehler, nach den höchstmöglichen Renditen zu streben, ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Anlagerisiken zu nehmen. Jedoch gibt es mittlerweile in jedem Segment der Anleihen einige interessante Gelegenheiten für Anleger.

Am Aktienmarkt steigern Umwälzungen das Potential einzelner Titel und Themen

Diese Jubelrufe für Anleihen sollen die Chancen an den Aktienmärkten nicht schlecht machen, obwohl wir Bedenken haben, dass Aktienmärkte übermäßig auf die (vorteilhaften) Auswirkungen eines möglichen „Wendepunkts“ in der Geldpolitik fokussiert sind, die (schädlichen) Auswirkungen einer möglichen Rezession auf Unternehmensgewinne jedoch nicht ausreichend im Auge haben. Infolgedessen bleiben wir in Bezug auf die globalen Aktienmärkte insgesamt etwas vorsichtig, suchen jedoch nach einzelnen Titeln oder Themen, bei denen wir einen Mehrwert sehen. In diesem Sinne entstehen global anwendbare thematische Ideen als Alternative zur traditionellen geografisch isolierten Art der Anlage in Aktien: Die Zukunft des Gesundheitswesens, der Energie und der Technologie wurde (global) durch einschneidende Erfahrungen der vergangenen Jahre geprägt, und die Kapitalströme, die auf die Umwälzung dieser Gebiete ausgerichtet sind, haben das Potenzial, eine Vielzahl spannender Investitionsmöglichkeiten zu schaffen.

Niemand behauptet, dass 2023 ein leichtes Jahr werden wird, aber in mancher Hinsicht könnte es sich als Gegenbild zu 2022 herausstellen (ein Jahr, das vielversprechend begann und doch in einer schweren Lage endete). In wirtschaftlicher Hinsicht kann es sich für den größten Teil Europas und möglicherweise die breitere Weltwirtschaft durchaus noch verschlimmern, bevor dann eine Erholung eintritt. In Verbindung mit den immer noch erhöhten geopolitischen Risiken sollten wir auf eine erhebliche Marktvolatilität vorbereitet sein. Trotz all dieser (erheblichen) Vorbehalte bedeutet das Ausmaß, in dem die Markterwartungen einen Großteil dieser Schwierigkeiten (verspätet) eingepreist haben, dass es für aktive Manager, die in der Lage sind, die Spreu vom Weizen zu trennen, eine Vielzahl von Anlagemöglichkeiten gibt.


Die Autorin Sandra Straka ist Executive Director bei Goldman Sachs. In ihrer Sheconomy Kolumne „Market, Trends & More“ teilt die Asset Managerin regelmäßig wertvolle Insights aus ihrer Branche mit unserer Community.

 

Fotomaterial(c) Goldman Sachs

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