Kaum ein anderes Thema findet am Lebensmittelmarkt in den letzten mehr Aufmerksamkeit, als Veganismus. Der Trend in Richtung tierproduktfreie Ernährung kann für Konsument:innen verschiedene Gründe haben.
Gesundheit (ein hoher Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch wird mit einem erhöhten Risiko von bestimmten Erkrankungen in Verbindung gebracht) und ethische Motivationen wie Klimaschutz und Tierwohl (man denke bloß an den kürzlich bekannt gewordenen AMA-Gütesiegel Skandal, bei dem ans Licht kam, dass zertifizierte Hühnermastbetriebe in der Steiermark nicht nur grobe Missstände aufwiesen, sondern auch Fälle von Tierquälerei an die Öffentlichkeit drangen) sind unter den am häufigsten genannten. Das Angebot am Markt ist groß, zahlreiche Jungunternehmen mischen mit und revolutionieren die Lebensmittelindustrie. Aber auch etablierte Produzent:innen passen ihr Sortiment an die Nachfrage an. Schlagzeilen machte vergangenes Jahr zum Beispiel der deutsche Fleischproduzent Rügenwalder Mühle damit, den Großteil seines Umsatzes mit dem Verkauf vegetarischer und veganer Produkte anstatt mit Fleisch und Wurst zu bestreiten.
Was als strengere Auslegung des Vegetarismus begann, ist für viele Menschen mittlerweile zum Dogma geworden: Schätzungsweise ernähren sich rund 79 Millionen Menschen auf der Welt vegan, das ist rund ein Prozent der Weltbevölkerung. Trendrichtung: aufwärts. Die Daten variieren je nach Quelle, eine gesicherte Zahl gibt es aktuell noch nicht. Studien legen außerdem nahe, dass ein Großteil der Veganer:innen Frauen sind, laut einer Studie in den USA beispielsweise 74 Prozent. Außerdem spielt das Alter eine maßgebliche Rolle: Unter den Jungen ist eine fleischlose Lebensweise besonders beliebt. Der Anteil an Veganer:innen (und auch an Vegetarier:innen) in Deutschland ist unter jungen Erwachsenen zwischen 15 und 29 Jahren deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung, das zeigt der sogenannte „Fleischatlas“ 2021 der Heinrich Böll Stiftung. Auch in anderen Ländern zeigen Umfragen ähnliche Ergebnisse.
Investments im veganen Markt, volatile Aktienkurse
Der vegane Markt wächst auf jeden Fall, der globale Marktwert lag laut Statista 2020 bei 14,44 Milliarden US-Dollar, bis 2025 soll die Zahl laut Schätzungen auf 22,27 Milliarden US-Dollar ansteigen. Eine Studie der Strategieberatung Boston Consulting Group attestiert Fleischersatzprodukten bis 2035 sogar ein mögliches Umsatzwachstum auf rund 244 Milliarden Euro.
Auch für Investor:innen spielt das veränderte Verbraucherverhalten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Untersuchungen der Investmentbank UBS prognostizierten bereits 2019 dem weltweiten Konsum von pflanzlichen Fleischalternativen eine Wachstumsrate von 30% bis 2025, der Konsum tierischen Fleischs soll hingegen nur um 0,9% zunehmen.
Dennoch sind die Kurse von veganen Vorzeigefirmen in den letzten Monaten stark eingebrochen. So ist der Aktienkurs von Beyond Meat, dem weltweit größten Produzenten veganer Fleischalternativen, in den letzten Monaten um rund 81 Prozent gesunken, auch Oatly, der größte Hafermilchproduzent machte mit einem Kurseinbruch von über 80 Prozent Schlagzeilen, ebenso Veganz, der vegane Supermarkt aus Deutschland. Diese Entwicklung ist jedoch auch unter Berücksichtigung der aktuell schwierigen Weltlage zu betrachten.
Fleischverzicht für’s Klima
Das Argument für den Klimaschutz ist eines der am schwerwiegendsten in der Debatte um die vegane Lebensweise: Studien legen nahe, dass vegane Ernährung eine positive Auswirkung auf den Umweltschutz hätte. Alleine eine Veränderung der Ernährungsweise einkommensstarker Länder könnte zur weltweiten Senkung der Treibhausgase führen, suggeriert eine Studie, publiziert vergangenes Jahr im Fachmagazin „Nature Food“. Ernährung sei für 26 Prozent der jährlich produzierten menschengemachten Treibhausgase verantwortlich. Die Studie suggeriert ebenfalls, dass nur durch die Ernährungsumstellung auf fleischlose Alternativen in reichen Ländern das 1,5-Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens erreicht werden könnte. Wieso aber gilt fleischhaltige Ernährung eigentlich als so klimaschädlich? Grund dafür ist die Tierhaltung, für die einerseits große Flächen für Tierfutter benötigt werden. In Österreich fallen beispielsweise drei Viertel der landwirtschaftlichen Fläche für die Herstellung von Milch- und Fleischprodukten ab. Andererseits entsteht bei der Viehhaltung durch die Verdaungsprozesse der Tiere selbst viel Methan, das als Treibhausgas in der Atmosphäre Strahlung aufnimmt und Wärme speichert und das unmittelbar und kurzfristig etwa 85 mal so stark wie das Treibhausgas CO2. Damit heizt Methan die Erderwärmung an, weniger Emissionen hätten eine positive Auswirkung auf den Klimaschutz.
Natürlich gibt es auch Kritik an einer veganen Ernährung. National Georaphic berichtete über eine WWF-Studie, die sich Veganismus und Wasserverbrauch beschäftigt. Darin wird darauf aufmerksam gemacht, dass Obst, Gemüse und Schalenfrüchte, die in Deutschland konsumiert werden, oft aus Anbaugebieten stammen, in denen Wasserknappheit herrscht. Die künstliche Bewässerung würde die Trockenheit dieser Gebiete zusätzlich verstärken. Viehwirtschaft hingegen würde zwar mehr Wasser benötigen, sie finde aber in Regionen statt, in denen mehr Niederschlag fällt. Lösungsvorschlag des WWF ist, mehr heimischen Anbau zu betreiben.
Die Problematik mit der „Klimaneutral“-Werbung
Problematisch ist es für Konsument:innen, wenn irreführende Werbung mit Begriffen wie „klimaneutral“ oder „nachhaltig“ betrieben wird. Das betrifft zwar nicht nur vegane Produkte, aber auch diese werden damit beworben. Viele Produzent:innen verwenden solche Begriffe, um ihre Produkte in ein gutes Licht zu rücken und das Gewissen der Verbraucher:innen zu beruhigen. Nicht selten stammen diese Behauptungen durch einen Zertifikatskauf, der die Emissionen der Produktion aufwiegen soll. Das Konzept: Treibhausgase, die durch Industrieländer entstehen, sollen durch Umweltprojekte wie Aufforstung und ähnlichen Projekten ausgeglichen werden. Rewe und Aldi (in Österreich: Hofer) kauften bis vor Kurzem solche Kompensationszertifikate ein, um so ihre Produkte als klimaneutral präsentieren zu können. In einem Beitrag der WirtschaftsWoche war beispielsweise von einem Wald in Uruguay die Rede, in dem auf rund 20.000 Hektar Bäume gepflanzt werden, die mit jedem Jahr mehr Treibhausgase wie CO2 binden sollten. Recherchen des ZDF-Magazins Frontal 21 und der Konsument:innenschutzorganisation Foodwatch zeigten, dass in es der Region in Uruguay viele ähnliche Baumplantagen gibt. Das warf Zweifel auf, ob die Bäume nicht sowieso gepflanzt worden wären, das wiederum würde den zusätzlichen Klimanutzen durch das Projekt aufheben. Die Vermittler:innen des Projekts in Deutschland, Climate Partner, wiesen die Kritik zurück. Rewe verzichtete dennoch auf Werbung mit Begriffen wie „klimaneutral“, Aldi nicht. Grundsätzlich besteht die Problematik in der Irreführung der Konsument:innen – oft wird davon ausgegangen, dass klimaneutrale Produkte tatsächlich mit minimalen Treibhausgasemissionen produziert werden und sich Produzent:innen um die Reduzierung ihrer Emissionen bemühen. Tatsächlich basiert die Behauptung auf dem Kauf der kompensierenden Zertifikate. Solche Projekte können umwelttechnisch sinnvoll sein, allerdings kann das Ausmaß der CO2 Kompensation nicht sicher bestimmt werden, daher ist Vorsicht angebracht.
Vegane Ernährung ist ein Trend, für den viele verschiedene Faktoren wie positive Auswirkung auf den Klimaschutz und weniger Tierleid sprechen. Auch aus Wirtschaftssicht ist es ein Thema, das Aufmerksamkeit verdient, beachtet man das steigende Interesse von Konsument:innen und das Wachstumspotential der Branche. Vegan bedeutet aber nicht automatisch klima- oder umweltfreundlich – eine kritische Auseinandersetzung mit Produkten und Produzent:innen ist daher gefragt. Auch bezüglich der eigenen Gesundheit wird Veganer:innen geraten, sich gründlich zu informieren, um einem Nährstoffmangel vorzubeugen.