Das aktuelle Weltgeschehen führt uns vor Augen, dass wir uns dem Drang an Gewohntem festzuhalten und immer alles planen zu können bewusst entziehen müssen, wenn wir zukunftsfit bleiben wollen. Julia Heinz beschreibt in ihrer ersten Work in Progress Kolumne für sheconomy, welche Herausforderungen und Chancen sich aus dieser Entwicklung für Unternehmer:innen ergeben.
Best Practice & One Fits All Modelle haben weitgehend ausgedient. Im Business wie im Leben gibt eben nicht nur schwarz oder weiß. Bunt ist eine vielversprechende Option und zwar eine, die nicht nur im Sinne der Diversity Debatte sehr zu begrüßen ist, sondern auch aus einer ganz pragmatischen wirtschaftlichen Perspektive. Viele Dinge passieren nun einmal unverhofft. Da nützt dann auch die beste Prognose nichts. Sich schnell an veränderte Gegebenheiten anpassen zu können, wird hingegen zur elementaren Fähigkeit.
Wandel zwingt uns Werte neu zu denken
Die Dynamik des Wandels entfacht enorme Kräfte, die es klug zu nutzen gilt. Wir müssen deshalb Kompetenzen, Führung und das Verhältnis zu Konsument:innen neu denken, ohne das Bewusstsein für unsere Werte zu verlieren. Denn der Wandel macht auch vor Kosument:innen nicht Halt: Sie sind kritischer geworden, hinterfragen mehr und haben ein anderes Bewusstsein entwickelt.
Es geht nicht mehr darum, was für ein Produkt ich kaufe, sondern für welches Produkt ich mich in der Vielzahl an Möglichkeiten ganz bewusst entscheide. Unternehmen, die eine klare Botschaft haben und dies durch ihre Marke nach außen kommunizieren, können so nicht nur eine klare Position einnehmen, sondern auch viel tiefgründiger mit ihren Kund:innen in Verbindung treten. Diese Verbindung ist nämlich keine einseitige, bei der es um das bloße Verkaufen geht, sondern vielmehr eine wechselseitige Bindung, bei der im Idealfall beide Parteien profitieren.
Symbiose der Lebenswelten statt Work-Life-Balance
Es geht um mehr als reines Produktbranding. In den kommenden Jahren müssen Unternehmen vielmehr selbst zur Marke werden, um qualifiziertes Personal zu finden und so ihre Gewinnerzielungsabsicht auch in Zukunft verfolgen zu können. Fachkräftemangel trifft hier auf eine Generation, die sich nicht mehr (nur) über ihre Arbeit definiert. Eine Generation, die bestehende Systeme und Strukturen hinterfragt und andere Werte in den Vordergrund stellt. Entgegen der Annahme entsteht keine Entkopplung, sondern vielmehr eine Symbiose der Lebenswelten „work“ und „life“, die sich den individuellen Gegebenheiten anpasst. Aus der gewonnenen Selbstbestimmtheit entwickelt sich eine intrinsische Motivation, die enormes Potenzial birgt und in heterogenen Teams ihre volle Wirkung entfacht. Unternehmen, die das frühzeitig verstehen, antizipieren und ihre Unternehmenskultur danach ausrichten, werden den demographischen Wandel erfolgreich meistern.
Mehr Wert(e)
Sinnhaftigkeit, eine gute Arbeitsatmosphäre und Vorgesetzte, die mehr Vorbild als Chef sind – um nur einige der Erwartungen an Arbeitgeber:innen der Zukunft zu nennen. Die Interaktion und das Miteinander rückt zunehmend in den Vordergrund und verdeutlicht wie wichtig es ist, Mitarbeiter:innen und Kund:innen emotional abzuholen.
Kundenerlebnisse zu schaffen, ist nicht neu, muss aber eben auch aktiv angegangen werden. Das heißt, regelmäßig Werte liefern – nicht nur als „Mehr-Wert“ für die Kund:innen, der ja immer auch mit einer Verkaufsintention konnotiert ist, sondern vor allem sich als Unternehmen in seiner Position und Wirkung stetig zu hinterfragen – die Marke dient hierbei als Erweiterung und Sichtbarmachung der unternehmensinternen, gelebten Werte.
In unsicheren Zeiten und fehlender Planbarkeit, ist es daher umso wichtiger sich auf diese inhärenten Werte zu konzentrieren. Denn Werte sind es, die Bewusstsein schaffen und so als Anker dienen – das hat zum einen mit dem Identifikationspotenzial zu tun, aber auch mit der sinnstiftenden Komponente. Wir alle wollen bewusst sein und frei entscheiden. Vor dem Hintergrund der sich permanent verändernden Welt wird mentale Agilität in vielerlei Hinsicht zur Kernkompetenz. Lineares Denken und lineares Management sind in einer dynamischen, volatilen Welt eher Problem als Lösung.
Lineares Denken, lineares Management sind in einer dynamische, volatilen Welt eher Problem als Lösung.
Doch gerade diese Volatilität ist ein enormer Katalysator für Veränderungen. Das kann das eigene, persönliche Wertesystem, aber auch das von Unternehmen schon einmal gehörig auf die Probe stellen. Entscheidungen werden komplexer und erfordern neben Bewusstheit auch Mut und vor allem Fehlerfreudigkeit. Angesichts dieser Multikomplexität müssen wir uns von binären Entscheidungen verabschieden.
Gerade gewachsene Unternehmen stellt dies oftmals vor eine Herausforderung, wenn jahrzehntelange Erfahrungsschätze und Best Practices plötzlich obsolet werden. Doch anstatt vor lauter Angst vor dem Neuen in alten Strukturen zu verharren, gilt es einen Schritt aus der Komfortzone zu wagen, gewohnte Verhaltensmuster an den Nagel zu hängen und neue zu etablieren, um auch in Zukunft erfolgreich und wettbewerbsfähig zu bleiben. Dass Anpassungsfähigkeit an die sich stetig verändernde Welt eine Kernkompetenz ist, wusste schon Charles Darwin. Er nennt dies „Survival of the Fittest“ und meint damit, dass „der am besten Angepasste überlebt“ und nicht etwa „der Beharrlichste“. That´s the spirit!
Über die Autorin
Julia Heinz ist Volkswirtin, Kommunikationsexpertin und Gründerin der Strategieberatung communique. Sie berät Unternehmen, Personen und NGOs hinsichtlich ihrer strategischen Positionierung, relevanter Zielgruppenanalyse und der ganzheitlichen Kommunikation. Mit ihrem wertebasierten Ansatz baut sie Brücken und setzt nachhaltige Impulse, um Haltung medienübergreifend sichtbar zu machen. Zudem setzt sie sich für mehr Diversität ein und spricht u.a. auf den Medientagen München darüber, wie Meinungen mit Bildern beeinflusst werden und welche gesellschaftliche Verantwortung wir alle tragen.