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Nachhaltig (m)essen

Das Start-up inoqo bringt Licht ins Dunkel verworrener Lieferketten und klimaschädlicher Herstellungsprozesse im Lebensmittelhandel. Wer beim Messen der ökosozialen Bilanz des Produktsortiments einen Vorsprung haben will, macht das am besten noch, bevor der Gesetzgeber Kennzeichnungspflichten dafür vorschreibt.

Auf EU-Ebene wird es langsam ernst für große Unternehmen: In den kommenden Jahren sollen sie nicht nur ihren eigenen ökosozialen Fußabdruck reporten, sondern auch den ihrer Zulieferer. Lebensmittelhandel und -erzeugung trifft eine besondere Verantwortung: 1/3 der weltweit verursachten CO2-Emissionen ist auf die Lebensmittelherstellung zurückzuführen. So weit, so simpel. Kompliziert wird es, wenn der Handel auch die Herstellungsbedingungen angeben muss. Denn aufgrund der vielen Zwischenhändler hat der Handel oft keinen direkten Kontakt mehr zu den Produzenten.

„Vegetarisch ist nicht automatisch nachhaltig“

Um die Undurchsichtigkeit der Produktion zu lösen, erstellt inoqo für Lebensmittelhändler und Produkthersteller sogenannte Product Impact Assessments und prüft damit die Auswirkungen, die die Herstellung eines Produkts auf Umwelt und Menschen hat. Ziel ist es, den ökologischen und sozialen Fußabdruck zu messen und in weiterer Folge zu verbessern.

Begonnen hat alles mit einer App, die eigentlich für Endkonsument:innen gedacht war. Mit ein paar Tippsern am Handy können Nutzer:innen die Rechnungen ihrer Lebensmitteleinkäufe scannen und Bewertungen für einzelne Produkte einsehen. „Es ist einfach unmöglich, als Konsument:in zu wissen, ob und wie nachhaltig ein Produkt ist,“ sagt Hélène Saurais, Marketingleiterin und Co-Founderin von inoqo. „Selbst, wenn man sich vegetarisch ernährt, ist Nachhaltigkeit nicht einfach selbstverständlich. Nicht jeder kann wissen, dass der Sesam in einem bestimmten Hummus von brandgerodeten Flächen in Äthiopien stammt oder dass gewisse Teile des eingesetzten Mehls in manchen Produkten aus prekären Beschäftigungsverhältnissen in Bulgarien oder Rumänien kommen. Lieferketten sind einfach zu komplex, und diese Komplexität wollten wir für Konsument:innen auflösen.“

Marktmacht nutzen

Als sich immer mehr Marken und Lebensmittelhändler bei inoqo meldeten, um ihrerseits Produkte überprüfen zu lassen, beschloss das Start-up, auf den größten Hebel der Food Industry zu setzen: Den Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Die Macht, die der Handel auf Lieferant:innen aufgrund von Sortimentsgestaltung und Preisdruck im Einkauf ausüben kann, ist die eine Seite der Medaille. Die andere bringt mit neuen EU-Richtlinien zu nachhaltiger Wirtschaft auch die großen Player im LEH unter Druck: Große börsennotierte Unternehmen unterliegen ab 2024 einer Berichtspflicht, die die ökologische und soziale Auswirkung der Geschäftstätigkeiten aufzeigen sollen. Diese bezieht sich nicht mehr nur auf die eigenen Filialen, sondern umfasst auch Lieferant:innen und deren ökosoziale Bilanz. Auch eine Kennzeichnungspflicht für (wenig) nachhaltige Produkte wird diskutiert.

„Es bewegt sich etwas“, sagt Saurais. „Manchmal brauchen diese Veränderungen viel Zeit, weil es langfristige Lieferantenverträge gibt und das Umsteigen auf nachhaltigere Produkte oder Zutaten nicht von heute auf morgen geht. Aber der Markt ist in Bewegung.“

Die Marketingexpertin, die für Marken wie Adidas und Gucci tätig war, bevor sie mit fünf anderen Mitgründer:innen inoqo ins Leben gerufen hat, sieht die Entwicklung bei Lebensmitteln ähnlich wie die in der Automobilbranche: Der Impact der Produkte wie Emissionen oder Wasserverbrauch wird in Zukunft offengelegt werden müssen.

Von Klimasündern und tief hängenden Früchten

Dass nicht einmal Lebensmittelhändler selbst genau wissen, wo ihre Produkte und deren Bestandteile herkommen, macht auch inoqos Task, alle Daten zusammenzutragen, zu einer Herausforderung. Das Start-up identifiziert sogenannte Impact Hotspots: Produktbestandteile, die aus ökologischer oder sozialer Sicht bedenklich sind: „Unsere Software zeigt auf, was kritisch ist und bietet Alternativen an.“ Lösungsmöglichkeiten, die schnell umsetzbar sind, sogenannte low hanging fruits, sind etwa das Wechseln auf einen grünen Energieanbieter oder das Verringern von Lebensmittelabfällen.

Die Scores, die Produkte erzielen können, reichen von A (grün) bis E (rot), etwa so wie die Energieeffizienzlabels auf Kühlschränken oder Waschmaschinen. Ein Team von Datenexpert:innen kümmert sich um die Aufbereitung der tausenden Informationen. Die Daten stammen dabei entweder aus öffentlichen Datenbanken oder von den Herstellern selbst: „Haben wir keine Primärdaten zur Verfügung, arbeiten wir mit konservativen Annäherungen aus Datenbanken. Das macht den Score tendenziell schlechter. Je mehr verlässliche Daten wir also von den Herstellern haben, desto genauer und besser wird auch der Score“, sagt Saurais.

Das sei Ansporn zu Transparenz und genauerem Hinschauen der Händler. Dass der Handel Interesse an genauen Überprüfungen hat, liegt auch an den vielen Whitelabel-Produkten, die der Handel als Eigenmarken verkauft: Je nachhaltiger diese abschneiden, desto besser fällt die eigene Bilanz aus.

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