Petra Mathi-Kogelnik ist Geschäftsführerin vom dm Österreich und davon überzeugt, dass Führung nicht Kontrolle, sondern vor allem Begleitung bedeuten muss. In ihrem Unternehmen kommt das zum Beispiel beim Konzept der »Lebensphasen-orientierten Führung« deutlich zum Ausdruck.
Wenn es darum geht, mehr Verantwortung auf die Mitarbeiter*innen zu übertragen und diese dort abzuholen wo sie gerade stehen, nimmt dm eine Pionierrolle ein. Wird »Führung« dadurch automatisch neu definiert? Auf welche Weise?
Führung ist bei dm weder eine Frage des Geschlechts, noch des Alters oder der formalen Ausbildung. Vielmehr geht es im Arbeitsalltag um die Nutzung der individuellen Stärken jedes Einzelnen und um eine gute Mischung aus jungen und erfahrenen Mitarbeitern, aus langjährigen dm Mitarbeitern und aus Kollegen, die noch einen Blick von außen mitbringen. Erfolg ist immer eine Teamleistung und hängt auch vom entgegengebrachten Vertrauen und Zutrauen der Führungskräfte ab.
Bei dm wird in diesem Zusammenhang oft von »Lebensphasen-orientierter Führung« gesprochen. Was bedeutet das?
Wir begleiten und fördern unsere Mitarbeiter in jeder Phase ihres Lebens und reagieren mit verschiedenen Maßnahmen auf die unterschiedlichen Herausforderungen, die dabei entstehen können. Das beginnt beim Angebot der Telearbeit und geht bis zum Job-Sharing, bei dem sich beispielsweise zwei Mitarbeiter*innen Führungsverantwortung teilen. Es geht uns primär darum, bestmöglich auf die individuelle Lebenssituation eines jeden Einzelnen einzugehen und jedem die Chance zu geben, über sich hinauszuwachsen, unabhängig vom Stundenausmaß pro Woche. Wenn man will, kann man bei dm alles erreichen, weil es flache Hierarchien gibt, immer Platz für kreative Ideen da ist und man eigenverantwortlich arbeiten kann. Das gilt für Teilzeit- wie Vollzeitangestellte gleichermaßen. Das Job-Sharing-Modell schafft vor allem in der Führungsebene eine zusätzliche Möglichkeit, sich gestaltend im Unternehmen einzubringen, sich selbst herauszufordern und weiterzuentwickeln: Mit einem Partner an der Seite, der dieselben Ziele verfolgt. Spannend sind diese Modelle auch »generationenübergreifend«, wenn sich beispielsweise eine Filialleiterin auf den Ruhestand vorbereitet und ihre Erfahrung an eine junge Kollegin weitergibt, die damit schrittweise in die Aufgabe hineinwachsen kann.
Ein wirkliches Verantwortungsgefühl entwickelt man als Mitarbeiter*in vermutlich nur dann, wenn ehrliche Begeisterung für das Unternehmen vorhanden ist – wenn man also wirklich »hinter dem Unternehmen steht«. Mein Eindruck ist, dass genau an diesem Punkt viele Unternehmen scheitern. Was macht dmhier anders? Oder ist es genau diese Wechselwirkung von Verantwortung und Begeisterung, die den Unterschied macht?
Weil Arbeit für uns Entwicklung bedeutet, kann bei dm jeder seinen individuellen Lebensweg gehen. Im ganz eigenen Tempo. Wir geben unseren Mitarbeiter*innen die Chance, eigenverantwortlich zu arbeiten und sich persönlich zu entfalten. Und das wissen sie zu schätzen. Die Begeisterung, die dabei entsteht, spürt man nicht nur nach innen, sondern eben auch nach außen. Wer sich also viel zutraut, bekommt umso mehr zurück.
Der Großteil Ihrer Mitarbeiter*innen sind Frauen. Glauben Sie, dass ein solches Modell, wie es bei dm gelebt wird, mit Frauen leichter umsetzbar ist oder macht das Geschlecht hier keinen Unterschied?
Mit 95 Prozent hat dm natürlich einen sehr hohen Frauenanteil, aber unsere Maßnahmen werden so geplant, dass sie allen Mitarbeiter*innen zugutekommen. Bei allem, was wir tun, geht es um ein Miteinander, das unabhängig von Geschlecht, Alter und Herkunft ist. So ist zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für uns kein reines Frauenthema. Wir unterstützen gezielt die Inanspruchnahme von Väterkarenz. Außerdem arbeitet jeder vierte Mann bei dm drogerie markt in Teilzeit. Keinen Unterschied zu machen, ist sicherlich ein Erfolgsrezept.
Wie lange bleiben die Mitarbeiter*innen durchschnittlich im Unternehmen?
Bei dm drogerie markt gibt es viele langjährige Mitarbeiter*innen, was uns sehr freut. Von den 1.400 Austritten im letzten Geschäftsjahr waren 30 Prozent fünf Jahre und länger im Unternehmen beschäftigt. Gut 100 Personen waren sogar zwischen 15 und 40 Jahren bei dm. Eine durchschnittliche Bleibedauer mit hoher Aussagekraft ist schwer zu ermitteln. Wir sind einer der größten Lehrlingsausbilder des Landes und gerade im Rahmen der Lehre kommt es häufiger als in anderen Bereichen zu frühen Austritten, weil sich manche Jugendliche kurz nach Beginn ihrer Ausbildung doch noch für einen anderen Weg entscheiden.
Wie einfach oder schwierig ist es für neue Mitarbeiter*innen sich auf die Arbeitswelt bei dm einzustellen, wenn sie aus Unternehmen mit »konventionellen« Führungsstrukturen kommen?
Neue Mitarbeiter*innen werden bei dm drogerie markt ab dem ersten Tag von einem Einarbeitungscoach begleitet, der ihnen bei Fragen zur Seite steht und sie unterstützt, sich im Team einzufinden. Darüber hinaus hilft ein umfangreiches Workshop-Angebot dabei, die Unternehmensphilosophie sowie alle Abteilungen und Arbeitsbereiche von dm kennenzulernen und sich mit den Kollegen zu vernetzen.
Lohnt sich die bei dm gelebte Organisations- und Arbeitsform? Die blanken Zahlen betrachtet sozusagen …
Zum einen bekommen wir in Mitarbeiterbefragungen immer wieder äußerst positives Feedback und sehen eine hohe Verbundenheit der Kolleginnen und Kollegen mit unserer Wirtschaftsgemeinschaft. Zum anderen können wir erleben, dass dieses besondere »Miteinander« von dm auch von außen wahrgenommen wird. Wenn Mitarbeiter*innen von ihrem Unternehmen begeistert sind, schlägt sich das sicherlich auch in »blanken Zahlen« wie Produktivität, Kundenorientierung, Fluktuation oder letztlich auch Umsatz nieder. Es wäre aber müßig, einzelne Maßnahmen bestimmten Ergebnissen zuordnen zu wollen – was zählt ist das Gesamtergebnis.
Sich Ziele zu setzen, ist sowohl als Einzelperson als auch als Unternehmen wichtig. In der Regel lernt man, dass die Messbarkeit dabei sehr wichtig ist und es kommen am Ende klassischerweise Zahlenziele heraus. Wie ist das bei dm?
Natürlich haben wir in allen Bereichen auch wirtschaftliche Ziele – anders wäre ein Unternehmen in unserer Größenordnung nicht steuerbar. Mindestens ebenso wichtig ist uns aber ein strukturierter Planungsprozess, der vor allem qualitative Aspekte in den Vordergrund stellt: Jeder einzelne Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin ist eingeladen, in seinem Wirkungsbereich und darüber hinaus nachzudenken, wo etwas besser gemacht werden kann, wo etwas fehlt oder wo wir Dinge tun, die niemandem nützen, wo jemand für sich oder sein Team Entwicklungsfelder definiert. So entstehen Ziele, die sich der Einzelne selbst steckt, Ziele, die im Team, in einer Region oder einem Ressort vereinbart werden und in weiterer Folge auch die langfristigen Perspektiven für die gesamte Wirtschaftsgemeinschaft.
2016 wurden Sie zur »Österreicherin des Jahres« gewählt. Wie wichtig sind solche Auszeichungen, um als Unternehmen vielleicht auch Vorbildwirkung zu entwickeln?
Der Preis ist eine große Ehre – und zugleich Bestätigung, dass dm als Unternehmen auf dem richtigen Weg ist, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Dieses Thema spielt seit jeher eine große Rolle bei uns, denn 95 Prozent der Mitarbeiter*innen sind Frauen, 2/3 davon arbeiten in Teilzeit. Dadurch, dass wir uns auf unsere Mitarbeiter*innen einstellen und nicht umgekehrt, arbeiten sie auch gerne bei uns. So ist dm drogerie markt erst kürzlich von den eigenen Mitarbeiter*innen ausgezeichnet worden* – man kann also sagen, das Feedback auf all unsere Maßnahmen ist sehr positiv. Wenn wir mit unserem Engagement auch andere Unternehmen inspirieren, dann ist das ein toller Nebeneffekt.
Der Preis ist zwar eine persönliche Auszeichnung, aber ich habe ihn vor allem meinem Mann, meiner Familie, meinem Team und dm zu verdanken, wo ich eine familienfreundliche Kultur gestalten und erleben darf.
Es ist kein Geheimnis, dass die Sinnfrage von den Generationen Y und Z mit sehr starker Vehemenz gestellt wird. Selbstorganisation und Selbstverwirklichung spielen dabei sehr große Rollen. Glauben Sie, dass es für Unternehmen in Zukunft wichtig sein wird, ihre Strukturen zu ändern, um an diese Leute zu kommen?
Definitiv ja. Deswegen schaffen wir nicht Einkommensplätze, sondern Arbeitsplätze. Damit meinen wir, dass wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen wollen, dass der Beruf nicht bloße Erwerbsarbeit ist, sondern ein sinnstiftender Teil des Lebens. Die allermeisten Menschen – auch der Generationen Y und Z – haben ein Bedürfnis danach, etwas Sinnvolles, Schönes, Nützliches zu gestalten. Dass sie ihre Ideen einbringen können und dafür Bestätigung erfahren. Darum ist es wichtig, dass Unternehmen Freiräume für ihre Mitarbeiter*innen schaffen, damit sich diese entfalten und ausprobieren können.
In einem Interview mit dem Magazin brand eins erklärte Niels Pfläging: »Wer meint, die Zukunft mit Zahlen unter Kontrolle bekommen zu können, der hat entweder keine Ahnung vom Markt und davon wie Leistung entsteht, oder setzt sich bewusst nicht mit der Realität auseinander. Unternehmen brauchen keine Planung. Nicht heute. Nicht morgen.« Unterschreiben Sie das?
Wir bei dm drogerie markt sind überzeugt: Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht umgekehrt. Deshalb treibt uns als Handelsunternehmen an, im Sinne des Menschen zu handeln und mehr zu tun, als Zahnpasta und Lippenstifte zu verkaufen. Unser Hauptaugenmerk gilt also den Bedürfnissen unserer Kund*innen, Mitarbeiter*innen und Partner*innen. Zahlen unterstützen uns dabei, jene Bedürfnisse wahrzunehmen. Und sie zeigen uns, ob die eingeschlagene Richtung stimmt. Verantwortung, Freiheit und ein Miteinander werden bei uns von den Mitarbeitern gelebt – deswegen können wir, wenn‘s drauf ankommt, auch ohne langwierige Planungsphasen schnell und erfolgreich auf Herausforderungen reagieren. In unserer schnelllebigen Gesellschaft wird diese Eigenschaft immer wichtiger.
Kennen Sie auch in Österreich Unternehmen, in denen das so gelebt wird?
In Österreich tue ich mir schwer, es geht eher in Richtung Start-ups, die viel offener und kulturbewusster umgehen. In Deutschland findet man hier schon eher größere Unternehmen, wie Alnatura, Weleda oder die Hotelkette Upstalsboom, von der ich sehr begeistert bin und die ich auch schon besucht habe. Es gibt dazu einige tolle Filme, wie »Auf Augenhöhe«, »Auf Augenhöhe 1«, »Die stille Revolution«, »From Business to Being« oder »Die Musterbrecher«.
Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass Sie als Frau in Ihrer Position härter arbeiten müssen bzw. sich mehr anstrengen mussten als ein Mann?
Nein, bei uns wird kein Unterschied zwischen Frauen und Männern gemacht. Ich fühle mich sehr ernst genommen und erfahre immer eine wertschätzende Begegnung meiner Kollegen.
Was bedeutet female empowerment für Sie?
»Weibliche Ermächtigung«, Chancengleichheit, Gleichberechtigung. Aber auch, dass sich Frauen fördern, fordern und sich gegenseitig unterstützen sollten. Es geht darum, Ängste zu überwinden, mutig und selbstbewusst zu sein, groß zu denken und sichtbar zu werden. Wichtig sind natürlich auch Frauennetzwerke.
*Im Rahmen einer Umfrage des Wirtschaftsmagazin-Trends in Zusammenarbeit mit der Bewertungsplattform kununu und dem Marktforscher Statista konnte dm dim April en vierten Platz als bester Arbeitgeber Österreichs erzielen. Aus über 1.000 beurteilten Unternehmen in 20 Branchen von unseren Mitarbeitern auf Platz 4 gewählt zu werden, erfüllt uns mit Freude und Stolz.
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