Ich habe Ihnen angekündigt, das Thema Sexismus aus verschiedene Perspektiven zu beleuchten, und möchte mit den Männern beginnen, die ja gleich mehrere Rollen in diesem Themenfeld einnehmen: Zuhörer, Beobachter, Beteiligte, Betroffene,…
Ich spreche hier natürlich vor allem von Arbeitnehmern, die ihre Weltanschauung in Organisationen einbringen und Sexismus dort entweder verstärken oder ihm auf die eine oder andere Art entgegentreten. Meine Einschätzung stützt sich übrigens auf „Gender Balance-Unternehmenskultur-Analysen“, in denen wir regelmäßig Haltungen und Handlungen erfassen.
Eindeutiges Ergebnis: In jeder Organisation gibt es einen relativ hohen Anteil von Männern, für die Sexismus ein Thema ist. Einem hohen Prozentsatz ist es unangenehm, Sexismus im Arbeitsalltag mitzuerleben oder zu beobachten, aber nur sehr wenige davon setzen auch bewusste Handlungen, um diese Situationen zu vermindern. Wir reden hier übrigens vom „klassischen Sexismus“ – also Witze auf Kosten eines Geschlechts, Übergriffe, das Stecken von Frauen in veraltete Rollenbilder oder das nicht für voll nehmen von Frauen.
Die gute Nachricht: Viele Männer akzeptieren Sexismus nicht mehr oder sind in ihren Handlungen sensibler geworden. Dennoch reicht die Sensibilisierung noch nicht so weit, dass sie andere davon abhalten, unangemessene Handlungen zu setzen. Der am häufigsten genannte Grund für diese Zurückhaltung: „Ich will nicht komisch dastehen.“ Es ist also die Angst vor Prestige- oder Imageverlust, die dazu führt, dass frauenfeindliche Witze unwidersprochen oder unangemessene Handlungen unkommentiert bleiben.
Dieses Verhalten begegnet und nicht nur bei „normalen“ Angestellten, sondern auch bei männlichen und weiblichen Betriebsräten. Und spätestens hier wird die Passivität beim Mitanhören von Wortgefechten oder Beobachten von Grenzüberschreitungen ein ziemlich starkes Stück.
Auch hier ein positiver Trend gegenübergestellt: Wie meine Erfahrung zeigt, werden immer mehr Führungskräfte aktiv und klären ihre Teams über Sexismus auf. #MeToo hat hier viel dazu beigetragen, dass Männer Sexismus nicht nur erkennen, sondern irgendwie auch mitbekommen haben, dass das heutzutage zu ziemlich unangenehmen rechtlichen Folgen führen kann.
Kommen wir noch kurz auf die männlichen Motive für Sexismus zu sprechen: Viele vertreten die Ansicht, dass Sexismus aus reiner Böswilligkeit passiert. Ich kann das nicht in allen Fällen bestätigen. Unsere Sozialisierung ist (mit regionalen und internationalen Unterschieden) grundsätzlich noch immer so ausgerichtet, dass die Frau als buchstäblich „schwächeres Geschlecht“ dem Mann untergeordnet ist. Die vielzitierte Emanzipation finde zwar auf dem Papier und vor Gericht statt, in der Realität fehlt es aber speziell im deutschsprachigen Raum noch immer an Pionieren, die die Geschlechtergleichheit auch (vor-)leben.
Die Folge. Viele Männer verstehen gar nicht, was als Übergriff oder als unangemessene Handlung/Aussage gesehen wird. Denn „das war doch immer schon so“ und „ist ja nicht böse gemeint“. Frauen sehen das übrigens sehr ähnlich, wenn sie in männlich dominierten Strukturen lange Zeit mit Sexismus konfrontiert wurden. Dann sind sie abgebrühter geworden. Darüber erzähle ich ihnen mehr, wenn ich Sexismus aus weiblicher Perspektive beleuchte.
Sexistisches Verhalten entsteht also im Spannungsbogen männlicher Wahrnehmung: Einerseits sind die Frauen die „Schwächeren“, andererseits aber auch das Subjekt der männlichen Begierde. Das ist auch der Grund, warum sich viele Männer, die privat respektvolle Beziehungen auf Augenhöhe führen, mit Sexismus ganz und gar nicht mehr wohl fühlen. Das Verständnis von Kolleginnen und der Umgang mit ihnen ändert sich automatisch mit.
Und hier sind wir also: Wir haben es mit einer gespaltenen Männerwelt zu tun. Die eine Seite, die nichts dabei findet, so weiterzumachen wie bisher und die andere Seite, der klar ist, dass man einfach nicht so weitermachen darf wie bisher. Dazwischen steht eine kleine Gruppe an Männern, die sich noch nicht so recht entscheiden kann, wo sie dazugehören soll oder will. Hier gibt es auch noch viele, die bei Sexismus mitmachen oder wegschauen.
Bei den Gründen für Sexismus kommt aber noch ein zweiter Aspekt ins Spiel: Unwissenheit! Vielen Männern sind die Grenzen, was „noch in Ordnung ist“ oder eben nicht, gar nicht bewusst. Warum? In der Öffentlichkeit und der Presse ist das kaum Thema. Lediglich in unternehmensinternen Workshops findet eine Sensibilisierung statt. Aber ohne öffentlichen Diskurs bleibt das oft ein Trockentraining, das den Charm einer Feueralarm-Übung hat. Man macht mit, weiß aber, dass es normalerweise in der Praxis wenig Relevanz hat.
Zwar bekommt man mit, dass Sexismus irgendwie böse ist, und jene, die angeklagt werden, plötzlich als „böse“ gelten, aber wo diese exakte Grenze zwischen Gut und Böse verläuft, bleibt oft noch immer ein unbekanntes Terrain für die meisten. Gegen diese Unwissenheit hilft nur eines: Aufklärung, Diskussion und Gespräche im Freundeskreis, im Unterricht und auch im Kollegenkreis. Erst wenn Sexismus etwas ist, über das man redet und nicht reden muss, wird vielen ein Licht aufgehen, wann ein Witz nicht mehr in Ordnung, sondern ein Übergriff ist. Mangelnde Information in der Führungskräfteentwicklung oder bei der Personalentwicklung führt auch dazu, dass Sexismus in Unternehmen noch immer gelebt wird.
Was ist der beste Weg, um das zu ändern? Mein Appell lautet: Sexismus nicht nur anprangern, sondern aktiv etwas dagegen tun! Männer (aber auch Frauen) müssen in Gesprächen über Grenzen und rechtliche Maßnahmen aufgeklärt werden. In einer beobachteten unangemessenen Situation unter Kolleginnen und Kollegen muss klar und wahrnehmbar eingeschritten werden – nicht unbedingt maßregelnd, aber sehr klar.
Das sind die ersten wichtigen Schritte, die wir alle setzen müssen, um eine Zukunft zu erschaffen, in der Frauen und Männer tatsächlich gleichgestellt sind.
*Anke van Beekhuis berät Unternehmen in Unternehmenskulturfragen. 2019 erschien ihr Buch „Wettbewerbsvorteil Gender Balance.“ Im Herbst 2020 veröffentlichte sie das Buch „Führungsinstinkt“ im Gabal Verlag.