Sheconomy.media versteht sich als DIE Plattform für Frauen-Netzwerke im deutschsprachigen Raum. Wir stellen hier regelmäßig ein Netzwerk im Detail vor. Diesmal haben wir uns mit Dr. Eliette Thurn, Präsidentin der österreichischen Soroptimist Clubs unterhalten und dabei viel wissenswertes zur Geschichte und Haltung der Soroptimistinnen im allgemeinen und zum Thema Gewaltprävention im speziellen erfahren.
Das zu Beginn der 20er Jahre in den USA ins Leben gerufene Netzwerk setzt sich seit seiner Gründung dafür ein, die Lebenssituation von Frauen und Mädchen durch diverse Programme im Bereich Bildung, Frauenförderung oder Gesundheit nachhaltig zu verbessern. Auf internationaler ebenso wie auf lokaler Ebene. Der Soroptimist Club Mödling beispielsweise beteiligt sich aktuell mit der in Eigenregie erstellten Infokampagne auf der Website www.stoppt-gewalt.at an der Orange the World – Initiative. Wir haben das zum Anlass genommen einmal tiefer in die Welt des Soroptimist Club Austria einzutauchen und dazu dessen Präsidentin Eliette Thurn befragt.
Frau Thurn: Seit wann gibt es Soroptimist?
Soroptimist International wurde 1921 in den USA gegründet. Der erste Club in Österreich entstand 1929 in Wien.
Wie viele Mitstreiter:innen zählt Ihr Netzwerk aktuell regional? Wie sehen die Zahlen auf nationaler / internationaler Ebene aus?
In Österreich gibt es 64 einzelne Clubs (4 davon Juvenilia-Clubs unserer Vor-Organisation) mit 1800 Mitgliedern, diese teilen sich auf alle Bundesländer auf. Weltweit sind wir in 118 Ländern mit ca. 75.000 Mitgliedern vertreten.
Was sind Ihre Kernthemen und Schwerpunkte Ihres Netzwerks?
Wir setzen uns für die Verbesserung der Lebensumstände von Frauen und Mädchen ein. Zurzeit konzentrieren wir uns in Österreich insbesondere auf die Themen Frauen und Finanzen, Frauen und Wohnen, Frauengesundheit und gewaltfreies Leben.
Dies geschieht, indem
- unsere Clubs Projekte umsetzen, in denen sie sich direkt lokal ebenso wie auch international engagieren
- wir allgemeines Bewusstsein schaffen über jene Bereiche, in denen Frauen aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden
- wir uns bei Entscheidungsträgern, seien es lokale oder nationale Politiker, aber auch bei der UNO, der OSCE, beim Europa Rat und vielen mehr, für unsere Anliegen einsetzen
Was ist der „gemeinsame Nenner“ all jener Frauen, die sich in Ihrem Netzwerk zusammengefunden haben?
Soroptimistinnen erkennen, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts national sowie international immer noch benachteiligt sind und dass eine Gemeinschaft an Frauen einen Unterschied machen kann. Dafür stellen wir unser starkes Engagement zur Verfügung.
Wie läuft der Austausch innerhalb Ihrer Community ab? Über welche Channels?
Auf Clubebene treffen wir einander persönlich einmal im Monat bei Clubmeetings, aber wir tauschen uns auch Online sowie per Mail und über Social-Media aus. Darüber hinaus finden national ebenso wie international Treffen zu jeweils spezifischen organisatorischen Aufgaben und Projekten (z.B. überregionale Unterstützung von Frauen in/aus der Ukraine) statt.
Wie oft treffen Sie einander?
Einmal im Monat gibt es ein fixes Meeting, dazwischen treffen wir einander, um die Projektarbeit zu organisieren, und für Informelleres. Auch besuchen wir andere Clubs bei deren Veranstaltungen, um gute Kontakte zu pflegen und Ideen auszutauschen.
Wie informieren Sie sich gegenseitig über Neuigkeiten und Kampagnen?
Wir haben ein internes MS Teams zum Daten-Austausch und um virtuelle Meetings abzuhalten. Das erleichtert die wichtige überregionale Arbeit sehr und erleichtert den Austausch mit unseren internationalen Partner-Clubs.
Es gibt ein vierteljährliches Journal, bei Bedarf versenden wir Newsletter. Natürlich nützen wir auch für die interne Kommunikation unsere Website, die jeweiligen Homepages der einzelnen Clubs und unsere Social Media-Kanäle.
Werben Sie gezielt neue Frauen für Ihr Netzwerk an und wenn ja, wie?
Durch unsere Kampagnen bemühen wir uns Frauen anzusprechen, die sich für unsere Organisation und unsere Arbeit interessieren, diese nehmen dann Kontakt mit dem örtlichen Club auf. Wir sprechen auch immer wieder Frauen persönlich an um sie als neue Mitglieder für unsere Organisation zu werben. Dabei bemühen wir uns um Diversifikation unterschiedlicher Berufsgruppen und eine ausgewogene Altersstruktur. In der Regel besucht eine Interessentin mehrmals einen Club und wird dann eingeladen Mitglied zu werden.
Wie organisieren Sie die Arbeit im Netzwerk?
Im Netzwerk teilen wir die Arbeit auf die verschiedenen Ebenen auf: Die Clubs arbeiten lokal für regionale Projekte, aber auch im Ausland. Der österreichische Dachverband kümmert sich um die überregionalen Angelegenheiten sowie um Kontakte zu europäischen Ebenen. Auf allen Ebenen gibt es Teams, die sich für die Umsetzung gesetzter Ziele einsetzen.
Netzwerk oder auch Interessenvertretung – wie tritt ihr Netzwerk nach außen auf?
Die Präsidentinnen der Clubs vertreten die jeweiligen Clubs nach außen und die Präsidentin von Soroptimist International Österreich vertritt die gesamte Organisation. Die Öffentlichkeitsarbeit hat mittlerweile auf allen Ebenen einen sehr hohen Stellenwert.
Wie steht es um den „Nachwuchs“ – schwer zu motivieren oder begeistert von der Idee Teil eines Netzwerkes zu werden?
Wir sind immer wieder erstaunt, wie viel Bewusstsein es bei jungen Frauen für Gender Themen gibt und wie viele sich engagieren und etwas bewegen wollen. Wir setzen uns besonders für diese jungen Frauen über unsere Mentoring Programme und Stipendien ein, so dass auch viele junge Mitglieder unserer Organisation beitreten.
In manchen Regionen ist es etwas schwieriger Nachwuchs zu finden, weil jüngere Frauen sich abschrecken lassen einem Netzwerk beizutreten, in dem sich Frauen aller Generationen engagieren. Deshalb freuen wir uns besonders über unsere Juvenilia Clubs für junge Frauen, aus denen die Mitglieder später in unsere Clubs übertreten.
Was treibt Sie und Ihre Netzwerk-Mitstreiter:innen an?
Gemeinschaftliches gesellschaftspolitisches Engagement für Frauen, Netzwerken und ein weltweiter Zusammenhalt und Freundschaft unter Frauen
Auf den Punkt gebracht – welche drei Eigenschaften zeichnet Ihr Netzwerk aus?
Durch Bewusstmachen (awareness) – Engagieren (advocacy) und Umsetzen (action) setzen wir uns gemeinsam für unsere Vision ein: Mädchen und Frauen, die gleichberechtigt in unserer Gesellschaft leben.
Welches Klischee rund um Frauen im Wirtschaftsleben können Sie nicht mehr hören?
Frauen sind unzuverlässig, weil sie Kinder bekommen; erfolgreiche Frauen sind Quotenfrauen.
Was wären Ihrer Meinung nach die nächsten wichtigen Schritte in Richtung Gender Equality?
- Traditionelle Rollenbilder durchbrechen, die auf patriarchalischen Denkstrukturen beruhen: Österreich ist da unglaublich konservativ. Dann wäre unbezahlte Care-Arbeit besser verteilt und Frauen hätten bessere berufliche Chancen.
- Bildung fördern
- Bessere Betreuungsmöglichkeiten
- Mehr Frauen in Führungspositionen
Haben Sie das Gefühl, dass sich Frauen oft doppelt oder dreifach anstrengen müssen, um gleiche Positionen wie Männer zu bekommen?
Ich weiß nicht, um wie viel mehr sie sich anstrengen, aber sie müssen sicher mehr leisten um dann trotzdem anhören zu müssen, dass sie „eh nur Quoten-Frauen“ sind.
Wie bewerten Sie die Rolle von Frauennetzwerken in unserer heutigen Gesellschaft? Und in der Zukunft?
Frauennetzwerke sind ganz wichtig, wir sehen das auch an der steigenden Anzahl von Frauennetzwerken in allen Branchen und Bereichen. Männer haben da schon einen enormen Vorsprung. Endlich haben wir gelernt, dass auch Frauennetzwerke und Frauenfreundschaften wichtig sind für den beruflichen Erfolg und auch für unser Wohlbefinden im beruflichen Umfeld.
Last but not least – ein Wort zum Thema Frauenquote?
Vor 15 Jahren hätte ich noch gesagt, dass wir das absolut nicht brauchen, denn „der Markt wird schon die Notwendigkeit von Frauen in allen Positionen erkennen“. Leider muss ich aber das revidieren: Nur durch Quoten können wir auch nachhaltig Wesentliches in absehbarer Zeit bewirken.
Wie steht Österreich beim Thema Gewalt gegen Frauen ihrer Einschätzung nach im europäischen Vergleich da?
Leider sehr schlecht, wir sehen das an den objektiven Zahlen der Femizide. Das ist sicher in erster Linie auf die noch sehr veralteten gesellschaftlichen Strukturen und tradierte Rollenklischees in Österreich zurückzuführen.
Leider werden Daten in Österreich nicht flächendeckend erfasst, zum Unterscheid von vielen anderen Ländern, so dass Vergleiche nicht eins zu eins durchgeführt werden können
Wie schaut es ihrer Meinung nach mit der Gesetzeslage in Ö aus? Wird auf politischer Ebene genug für den Gewaltschutz getan?
Es hat sich in den letzten Jahren einiges getan, aber sicherlich noch viel zu wenig. Wir wissen, dass durch Verschärfung der Strafen keine Reduktion der Gewalt an Frauen erzielt wird. Es mangelt an den Mitteln der langfristigen Betreuung der Opfer von Gewalt und ganz besonders an der psychologischen Betreuung jener Kinder, die Zeugen wurden. Ganz besonders mangelt es an einem klaren Vorsorgeprogramm. Besonders zu Präventionsprogrammen für Männer muss es einen klaren politischen Auftrag und Willen geben. Gleiches gilt für den Kinder- und Jugendbereich, in dem dringender Handlungsbedarf besteht.
Gibt es spezielle Ansätze oder Initiativen, die noch mehr verfolgt werden sollten, um häusliche Gewalt (an Frauen) zu verhindern?
Es muss ein ganzheitliches Programm entwickelt werden. Wir benötigen Vorsorgeprogramme, die mit der Erziehung in Kindergarten und Schule beginnen.
Ganz wichtig ist die Männerarbeit. Diese wurde lange Zeit zur Gänze außer Acht gelassen. Hier muss auf einer Seite Prävention betrieben werden: Männern muss Unterstützung angeboten werden, wenn sie selbst merken, dass sie in die Spirale der Gewalt verfallen. Es muss gesellschaftlich anerkannt sein, dass sie diese Hilfe auch in Anspruch nehmen. Und es muss psychologische Unterstützung geboten werden, um Männer bei der Rehabilitation zu begleiten. Das derzeitige Angebot ist nicht ausreichend.
Es gibt so viele Formen an Gewalt, dass nur durch echte Gleichstellung ein gewaltfreies Leben für Frauen möglich ist.
Was kann die Allgemeinheit konkret tun?
Hinschauen, hinhören, handeln! Ab und zu sehen Freunde und Verwandte erste Anzeichen von Gewalt besser als die Opfer selbst – sofern sie nur hinschauen. Oft benötigt es ein offenes Ohr, um jemandem zu helfen, Gewalt als solche auch zu benennen. Ignorieren von Gewalt an Frauen, wenn wir sie sehen und hören, ist keine Option
Abschluss-Event anlässlich der Stoppt-Gewalt-Info-Kampagne des Soroptimist Club Mödling am 09.12.2022 von 14:00 bis 16:00 in der Westfield SCS