Weihnachten ist als das Fest der Liebe bekannt und wird von rund 24 Millionen Menschen weltweit gefeiert. Nicht in allen Häusern geht es zu dieser Zeit jedoch besinnlich zu. Studien zeigen, dass gerade über die Weihnachts- und Silvesterfeiertage das Konfliktpotential und damit die Gewalt gegen Frauen zunimmt. Eine Stimmungsumfrage in verschiedenen EU-Ländern.
Stress, durchgehendes Beisammensein auf engem Raum und ein erhöhter Alkoholkonsum werden als Gründe für dieses erhöhte Streitpotential genannt. Betroffene von häuslicher Gewalt können in Österreich auch während den Feiertagen und darüber hinaus über den stillen Notruf, der via der App DEC112 („Digital Emergency Call“) abgesetzt wird, Hilfe anfordern. Gerade in Situationen akuter Gefahr, in denen ein Anruf oder eine Nachricht nicht möglich ist, kann mit dem stillen Notruf die Polizei lautlos gerufen werden, daraufhin kann die Leitstelle ein Streife zu Standort der Person, die den Notruf absetzt, vorbeischicken. Seit März 2022 gibt es diese Maßnahme, sie ist Teil des Gewaltschutzpaketes der österreichischen Bundesregierung und soll Frauen vor physischer Gewalt im Privatraum schützen. Auch die Frauenhelpline 0800/222 555 steht Frauen aus ganz Österreich kostenlos und anonym rund um die Uhr zur Verfügung.
Jede dritte Frau kennt Gewalt
Aber auch außerhalb der Feiertage ist Gewalt gegen Frauen kein seltenes Thema in unserer Gesellschaft. In Österreich ist laut einer Erhebung der Statistik Austria aus dem Jahr 2021 jede dritte Frau ab dem Alter von 15 Jahren von körperlicher und/oder sexueller Gewalt innerhalb oder außerhalb intimer Beziehungen betroffen. In Deutschland bewegen sich die Zahlen in einem ähnlichen Rahmen – laut dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ist jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt geworden, dabei werden besonders bei Konflikten in Partnerschaften in erster Linien Frauen zum Opfer häuslicher Gewalt. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein, die Scham sowie die Angst vor weiteren Gewaltausbrüchen und davor, nicht ernstgenommen zu werden, ist hoch. Die Zahl der Femizide in Österreich ist in den letzten Jahren stark gestiegen: 2022 wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik mutmaßlich bereits 28 Frauen ermordet (Stand 14.12.2022), 2021 waren es 31. Einen traurigen Rekord gab es 2018 mit 41 Femiziden. Die Zahl ist in den letzten Jahren, zwar mit Schwankungen aber doch unübersehbar, gestiegen – 2014 waren es noch 19 Frauenmorde. Weltweit wurden 2021 circa 45.000 Frauen durch Partner oder Familienmitglieder ermordet, so ein Bericht der UN Women Organisation, die auch die „Orange The World“ Kampagne ins Leben rief. Der 25te Tag jedes Monats, die sogenannten „Orange Days“, werden als Tage für die Sensibilisierung und für Maßnahmen zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen ausgerufen. Gewalt gegen Frauen kann neben dem physischen Aspekt, der wohl zu den grausamsten Ausformungen zählt, auch psychischer Natur sein. Dazu zählen unter anderem Bedrohungen, Abwertungen, Demütigungen, Einschüchterungen und Beschimpfungen. Auch die Cybergewalt, bei der Frauen kontrolliert und gestalkt werden, nimmt zu.
Stimmen gegen Gewalt – Stimmungsbild aus Europa
Die weltweit umfassendste Umfrage über die Gewalterfahrung von Frauen wurde von der FRA (European Union Agency for Fundamental Rights, deutsch: Agentur der Europäischen Union für Grundrechte) durchgeführt. Die repräsentative Erhebung wurde 2012 umgesetzt und basiert auf der persönlichen Befragung von 42.000 Frauen in der EU. Angelehnt an die Fragen dieser Studie haben wir die aktuelle Stimmung und die Meinungen über die derzeitige Situation von Frauen in verschiedenen europäischen Ländern erfragt.
Italien
Über 100 Frauen wurden heuer in Italien ermordet, laut italienischer Polizei ungefähr die Hälfte davon von ihrem Partner oder Ex-Partner. Das italienische Statistik Institut ISTAT gibt an, dass 31,5% der Frauen in Italien schon einmal Opfer physischer und/oder sexueller Gewalt geworden sind. „Ich denke, dass Gewalt gegen Frauen in Italien ein relativ häufiges Phänomen darstellt“, sagt die 24-Jährige Magda Sadek aus Mailand. „Oft wird Frauen nicht geglaubt, sowohl von der Polizei als auch von ihrem Umfeld. Wenn Sie Anzeige erstatten, sind sie sich diesem Umstand sehr wohl bewusst.“ Selbst nach einer Anzeige, sei der polizeiliche Schutz in vielen Fällen nicht genug: „Die meisten Gesetze zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt betreffen Unterlassungsanordnungen, wenn Frauen Opfer von Stalking, Drohungen und Gewalt werden. 2019 wurde ein neues Gesetz verabschiedet, um den Schutz von Opfern sexueller und häuslicher Gewalt zu stärken. Die größten Änderungen betrafen dabei die Erhöhung der Strafmaßes. Mit dem Gesetz Nummer 134/2021 wurde der Schutz ausgeweitet, trotzdem sind die italienischen Nachrichten voll mit Meldungen über Frauen, die von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet wurden, obwohl sie zuvor polizeiliche Hilfe beantragt hatten. Dieser Schutz ist oft nicht ausreichend“, so Sadek. Rund um den 25 November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, und dem achten März, dem Weltfrauentag, häufen sich die Kampagnen zu diesem Thema.
„Es gibt Kaum Kampagnen, die versuchen, Männer zu sensibilisieren, dabei könnte sich das erheblich auf das Phänomen auswirken.“
Was sich Sadek wünscht, ist eine realistischere Abbildung und Sensibiliserung der Gesellschaft: „Es gibt viele Kampagnen, die auf die Sensibilisierung von Frauen abzielen, was toll ist. Es gibt aber kaum Kampagnen, die versuchen, Männer zu sensibilisieren, dabei könnte sich das erheblich auf das Phänomen auswirken. Gewalt ist ein soziales Ereignis, das durch Gesellschaft, Erziehung und Beziehungen geprägt wird. Darüber hinaus werden Opfer häuslicher Gewalt in solchen Kampagnen häufig mit blauen Flecken und blutüberströmt dargestellt. Das schränkt die Realität von häuslicher Gewalt beträchtlich ein, macht sie viel kleiner als sie tatsächlich ist und birgt die Gefahr, dass sich Frauen selbst nicht als Opfer häuslicher Gewalt erkennen, nur weil sie nicht körperlich misshandelt werden.“
Deutschland
Jeden Tag gibt es in Deutschland einen polizeilich registrierten Tötungsversuch an einer Frau, fast jeden dritten Tag gelingt einer dieser Versuche. Journalistin Simone Fasse macht in ihrem Statement zu dem Thema auf die Verantwortung der Medien sowie auf die UN-Aktion „Orange The World“ aufmerksam: „Alle drei Tage wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, das zeigen die Journalistinnen Laura Backes und Margherita Bettoni in ihrem Buch, das aufrüttelt (Buchtitel „Alle drei Tage.“, Anm. d. Red.). Sie beleuchten das drängende gesellschaftliche Problem und appellieren darin auch an uns Text-Profis und Berichterstatter:innen, das Thema nicht herunter zu spielen.
Statt den Begriff ‚Femizid‘ zu verwenden, der laut Duden die tödliche Gewalt gegen Frauen oder einer Frau aufgrund ihres Geschlechts bezeichnet, werden in den Medien noch viel zu häufig Begriffe wie ‚Familiendrama’ oder ‚Beziehungstat‘ verwendet, die diese Gewalttaten verharmlosen.
Wie in so vielen Bereichen schafft auch hier Sprache Realität. Redewendungen noch genauer hinterfragen, das mächtige Instrument Sprache noch sensibler einsetzen – dieses Bewusstsein sollten gerade wir Medienleute schärfen. Um die Menschen in Deutschland auf das Thema aufmerksam zu machen, wurden in den Tagen rund um den 25 November zahlreiche Aktionen vor allem in den Städten und Gemeinden organisiert. Von Notrufnummern auf Brötchentüten oder Initiativen für Frauenhäuser, Angebote für Selbstverteidigungskurse oder angestrahlte öffentliche Gebäude – für ‚Orange the World’ scheint es immer mehr Unterstützung zu geben.“
Griechenland
17 Frauen wurden griechenlandweit nach Angaben des öffentlichen Rundfunksenders ERT in 2021 von ihren Partnern oder anderen Familienmitgliedern ermordet. Die Regierung lehnte einen Änderungsantrag der Oppositionspartei Syriza, der die institutionelle Anerkennung des Begriffes „Femizid“ vorsah, ab und erntete heftige Kritik dafür. Die Gesetzesänderung würde Femizid zu einem besonderen Verbrechen machen. Premierminister Kyriakos Mitsotakis erteilte eine Absage – obwohl er den Begriff ‚Femizid‘ akzeptiere, glaube er nicht, dass er einen besonderen rechtlichen Status erhalten sollte, da er nicht akzeptieren könne, dass ein Femizid abscheulicher sei als der Mord an einem Kind oder einer älteren Person. Im September 2022 entfachte die Femizid-Debatte in Griechenland erneut, nachdem eine 55-Jährige Frau auf der Intensivstation eines Krankenhauses in der Nähe von Thessaloniki verstarb, weil ihr Ehemann sie angeblich mit Benzin übergoss und anzündete. „Ich glaube, dass es heutzutage weniger Fälle von Gewalt gegen Frauen gibt, als in früheren Jahren. Sie werden aber mehr publik gemacht, vor 10 Jahren hörte man in den Nachrichten weniger oft von solchen Fällen, obwohl sie sicherlich vorkamen. Ich glaube, dass sich Griechenland weiterentwickelt und endlich den Beitrag von Frauen erkennt und sie wertschätzt. Psychische, körperliche oder verbale Misshandlung ist jedoch eine Situation, die jede griechische Frau irgendwann in ihrem Leben erlebt hat“, sagt die 29-Jährige Griechin Eva Mantouvalou. „Es gibt Praktiken zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt, beispielsweise die Möglichkeit, Zwangsmaßnahmen zu ergreifen oder den Betroffenen Unterschlupf zu gewähren. Das ist aber nur dann möglich, wenn die Person um Hilfe bittet, der Missbrauch nachgewiesen werden kann und der:die Richter:in es für richtig hält. All dies erfordert Geld, Zeit, Mut und nicht selten auch die Isolation des Opfers aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen. Selbst in einer bekannten Situation häuslicher Gewalt ist ein Eingreifen nicht möglich, wenn die betroffene Person nicht einwilligt“, weist Mantouvalou auf die Problematik in Griechenland hin. „Die Menschen müssen aufgeklärt werden. Ich glaube nicht, dass Gesetze viel bewirken werden, wenn wir Kindern nicht von klein auf beibringen, uns gegenseitig als Menschen zu respektieren, nicht nur aufgrund des Geschlechts, sondern aufgrund unserer einzigartigen Persönlichkeiten und Fähigkeiten“, sagt sie.
Norwegen
In Norwegen ist die Zahl der Femizide in den letzten Jahren gesunken. 16 Frauen wurden 2021 in dem skandinavischen Land ermordet, 2011 waren es noch 53. Zwischen 2012 und 2020 schwankte die Zahl im Bereich von 10-17. Simone Naumann, Gründerin und Geschäftsführerin der SMARTphotoschule in München, hat Familie und auch bald waihren Zweitwohnsitz in Norwegen. Zu der„Orange The World“-Aktion 2022 sagt die Wahlnorwegerin Folgendes: „In Norwegen ruft eine Kampagne dazu auf, genau hinzuschauen und es nicht hinzunehmen, dass in den vergangenen Jahren 67 Leben in dem skandinavischen Land durch Morde in der Partnerschaft ausgelöscht wurden. Die überwiegende Anzahl der Opfer waren Frauen. Laut Statistik ist einer von vier Morden ein Mord in der Beziehung. Und: Bei sieben von zehn dieser Morde wurde zuvor Gewalt in der Partnerschaft registriert. ´Wir alle können dazu beitragen, dass das Schweigen kein Leben kostet – sofern wir es wagen zu sehen und es wagen zu fragen‘, heißt es in dem Aufruf. Ich kann nicht beurteilen, wie breit der Aufruf wahrgenommen wurde. Aber den Appell nehme auch mir künftig noch stärker zu Herzen.“
Schweden
Schweden gilt als besonders fortschrittliches Land im Hinblick auf Gender Equality. Im Gender Equality Index des europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) aus dem Jahr 2020 belegte das skandinavische Land den ersten Platz mit 83,3 von 100 Punkten. 2021 berichteten Medien jedoch von einer Frauenmordserie ab dem 31. März. In wenigen Wochen wurden fünf Frauen ermordet, insgesamt fielen 2021 24 Frauen in Schweden einem Femizid zum Opfer. Die Schwedin Saga Nevhage Eliasson ist der Meinung, dass Frauen in Schweden zwar leicht Hilfe erhalten können, sie diese Hilfe aber in vielen Fällen nicht weiterbringe: „Es wird mehr geredet als gehandelt. Es gibt viele Maßnahmen, die Frauen und jenen Menschen helfen sollen, die Gewalt erfahren haben, aber in der Regel geht es nicht darüber hinaus. Um eine:n Täter:in zu verurteilen, ist eine ganze Menge nötig. Es gab zum Beispiel den Fall eines schwedischen Influencers, der beschuldigt wurde, seine Freundin ermordet zu haben, während ihr Kind im Haus war. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, und zwar wegen häuslicher Gewalt und dem Mitführen von Betäubungsmitteln und Waffengewalt, nicht aber für den Mord an der Frau. Heute ist er wieder ein freier Mann.“ Für die Zukunft wünscht sie sich, dass Opfern häuslicher Gewalt mehr Glauben geschenkt wird: „Ich würde mich wünschen, dass Frauen von dem Moment an, in dem sie eine Gewalterfahrung äußern, viel ernster genommen werden. Der Staat muss einen Weg finden, damit Menschen sich wohl fühlen, wenn sie Hilfe suchen, und zwar ohne abgewiesen oder nicht ernst genommen zu werden. Wir müssen aber auch in der Schule Bewusstsein dafür schaffen. Sätze wie ‚Er ärgert dich nur, weil er dich mag.‘ müssen abgeschafft werden. Damit wird Kindern suggeriert, dass sie Zuneigung in einer Form der Gewalt zeigen können.
Wir müssen Gewaltopfern zeigen, dass richtige Hilfe existiert und dass sie sich für das, was ihnen widerfahren ist, nicht schämen müssen.“
Hilfestellen und Kontakt in Österreich
Männerinfo: Österreichweite 24-Stunden Telefon-Hotline für Männer, die befürchten, gewalttätig zu werden. 0800 400 777. Weitere Information unter https://www.maennerinfo.at/
Frauen-Helpline: Anonyme, kostenlose Helpline, 27/7. 0800 222 555. Weitere Informationen unter https://www.frauenhelpline.at/
Frauenhäuser: Kontaktinformationen aller österreichischen Frauenhäuser https://www.aoef.at/index.php/frauenhaeuser2
Frauen-Notruf: 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien. 01/71719. E-Mail Beratung unter frauennotruf@wien.at. Weitere Informationen unter http://www.frauennotruf.wien.at/
Unterstützen Sie gemeinsam mit uns den AÖF – Verein Autonomer Frauenhäuser Österreich.
Wir möchten ein Zeichen gegen die Gewalt an Frauen setzen und haben uns dazu entschlossen, 50 Prozent des Umsatzes aus allen Abo-Verkäufen im Dezember an den Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) zu spenden. Unterstützen Sie unsere Aktion! Das Thema Gewalt gegen Frauen ist präsenter denn je. Allein heuer wurden bereits 28 Femizide verübt. Das Team von Sheconomy möchte mit dieser Geste seine Solidarität mit den Betroffenen ausdrücken. Wenn auch Sie ein Zeichen gegen Gewalt setzen möchten, dann bestellen Sie jetzt unser Jahresabo unter sheconomy.shop. Für Sie selbst. Oder vielleicht als Geschenk.
Mehr Informationen zum Verein unter: www.aoef.at