Sie gilt als eine der klügsten Köpfe unserer Zeit – die Gründerin, Bildungsexpertin und Bestsellerautorin Verena Pausder. Im Interview mit Herausgeberin Yvonne Molek spricht die 42-Jährige über mangelnden Umsetzungsstolz bei der Digitalisierung, die Strahlkraft von Aufsichtsrätinnen und die Notwendigkeit eines„Sandkastens“ für Deutschland.
Im Herbst vergangenen Jahres haben Sie Ihr Buch „Das Neue Land“ auf den Markt gebracht. In der Ankündigung heißt es: „Es ist der Entwurf eines Landes, das nicht mehr auf den Wohlstand der Vergangenheit setzt, sondern mit neuen Technologien, neuen Lebensentwürfen und – vor allem – neuen Ideen das Leben von uns allen verändern wird.“ Hand aufs Herz: Hätten Sie mit dem Wissen vom Frühjahr 2021 aus der dritten Welle der Pandemie Ihr Buch anders geschrieben?
Verena Pausder: Wahrscheinlich wäre meine Zukunftsvision für „Das Neue Land“ noch radikaler ausgefallen. Ich habe das Buch im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 geschrieben. Erst war ich zögerlich, nach dem Motto: Wen interessiert in Pandemiezeiten denn jetzt ein Neues Land? Dann habe ich realisiert: Wenn wir wollen, dass die Krise nicht nur eine Krise bleibt, dann brauchen wir ein klares Zielbild. Dieses Bild wollte ich mit dem Buch zeichnen.
Im „Neuen Land“ ist die Rede von „Innovation treiben, Bildung neu denken, Start-ups gründen, Digitalisierung umsetzen, Gleichberechtigung feiern, Work-Life neu ausrichten, Klima schützen, Chancengerechtigkeit für alle leben“. Beschleunigt die Pandemie unser Tempo – oder wirft sie uns zurück?
Meine Hoffnung ist, dass wir in ein paar Jahren auf diese Krise zurückschauen und sehen, dass sie der „Chief Digitalisation Officer“ unseres Landes war. Mit der Pandemie wurden wir alle ins kalte Wasser geschmissen – von heute auf morgen in den Distanzunterricht für die Kinder und ins Homeoffice für uns. Diese Erfahrung war Weckruf und Katalysator zugleich. Wir haben schmerzhaft gesehen, warum es so wichtig ist, dass wir in digitale Bildung und flexibles Arbeiten investieren. Und wir haben gemerkt, was alles möglich ist – teils mit wenig Ressourcen, weil einzelne Menschen sich reinhängen. Beim Thema Gleichberechtigung hoffe ich auf Langzeiteffekte. Kurzfristig sind viele Menschen in alte Rollenklischees verfallen. Die Frauen übernehmen überproportional viel Zusatzarbeit mit Homeschooling und Kinderbetreuung. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung machen 70 Prozent der Frauen die generelle Hausarbeit, aber nur elf Prozent der Männer. Langfristig hoffe ich, dass die Krise dazu beiträgt, die Leistung von Eltern als Arbeitnehmer*innen mehr zu würdigen, weil wir die Doppelbelastung so klar gesehen haben. Das führt hoffentlich dazu, dass wir insgesamt familienfreundlichere Unternehmen bauen und Gleichberechtigung stärken.
Haben Sie den Eindruck, dass die zentrale Bedeutung der Digitalisierung bei der Aus- und Weiterbildung in Deutschland und Österreich allgemein (richtig) verstanden ist?
Verstanden ja. Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Die Pläne liegen doch schon lange auf dem Tisch. Woran es mangelt, ist Fehlertoleranz und Umsetzungsstolz. Damit meine ich, dass wir uns auch mal trauen müssen, Vollgas zu geben – mit dem Risiko, dass nicht alles von Anfang an perfekt läuft. Und ich wünsche mir, dass wir stolz darauf sind, etwas geschaffen zu haben und nicht darauf, einen Prozess eingehalten zu haben.
Digitale Bildung und Weiterbildung sind IHR Thema. Mit dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr vor einem Jahr hat die Digitalisierung unseres Bildungswesens insbesondere in der öffentlichen Wahrnehmung einen neuen Stellenwert bekommen. Menschen, die sich nie mit der Digitalisierung auseinandergesetzt haben, leben Tür an Tür mit ihren Kindern, die ihre Schule seit Monaten nicht mehr von innen gesehen haben. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in Sachen Homeschooling?
Die Situation ist überall unterschiedlich – das liegt daran, dass gerade viel zu viel von einzelnen, engagierten Personen abhängt, weil die Infrastruktur nicht flächendeckend da ist. Ich bin sehr froh, dass es in Deutschland jetzt ein Nachhilfeprogramm gibt,
um Lernrückstände zu schließen. Diese Sofortmaßnahmen reichen aber nicht. Wir brauchen auch langfristig eine viel einfachere Beschaffung von Geräten, Positivlisten, welche Soft- und Hardware in Schulen genutzt werden darf, Technik-Hausmeister an jeder Schule und Platz im Curriculum für digitale Bildung.
DAS VOLLSTÄNDIGE INTERVIEW FINDEN SIE IN UNSERER AKTUELLEN AUSGABE.
Zur Person:
Verena Pausder (42) ist Unternehmerin, Expertin für Digitale Bildung und Autorin. In ihrem Buch „Das Neue Land“ – von der Frankfurter Buchmesse, dem Handelsblatt und Goldman Sachs mit dem Sonderpreis „Unternehmerbuch des Jahres“ ausgezeichnet – fordert sie einen radikalen Wandel unserer Haltung. Statt wie 83 Millionen Bundestrainer*innen das politische und gesellschaftliche Geschehen von der Seitenlinie aus zu kommentieren, sollten wir aufs Spielfeld wechseln und uns einmischen: Für bessere Bildung, nachhaltigeres Wirtschaften und mehr Menschlichkeit in Führungsetagen. Verena Pausder treibt den Wandel selbst voran. 2016 wurde sie vom Weltwirtschaftsforum zum „Young Global Leader“ ernannt. Kindern chancengleichen Zugang zu digitaler Bildung zu ermöglichen, ist in ihren Augen eine der Kernvoraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Dafür hat sie 2017 den Digitale Bildung für Alle e.V. gegründet. 2018 erfolgte die Aufnahme in die „Europe’s Top 50 Women In Tech“-Liste von Forbes.
Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 baute sie homeschooling-corona.com als Plattform für Best Practices zum Digitalen Unterricht auf und initiierte den größten Bildungs-Hackathon des Landes #wirfürschule. Mit der Initiative #stayonboard fordert sie eine Familienauszeit für Vorständ*innen, die noch dieses Jahr Gesetz werden soll.