StartBusiness„Wir können uns aktiv für die passende Karriere entscheiden“

„Wir können uns aktiv für die passende Karriere entscheiden“

Gute Entscheidungen sind kein Zufallsprodukt, sondern lassen sich methodisch treffen – davon ist Univ.-Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl überzeugt.

Dieses Interview erschien zuerst am 25. August 2021 auf www.her-career.com

Die Leiterin des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI und Inhaberin des Lehrstuhls für Innovations- und Technologie-Management am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) weiß, wovon sie spricht: Nicht nur als Zukunftsforscherin, sondern auch als Führungskraft in der Bekleidungsindustrie durfte die gelernte Schneiderin weitreichende Entscheidungen fällen. Im herCAREER-Interview spricht sie darüber, was Unternehmen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen sollten und wie sie persönlich an Karriereentscheidungen herangeht.

Marion, was war die schwerste Entscheidung, die Du während Deiner beruflichen Karriere bisher treffen musstest?

Weissenberger-Eibl: Das war während meiner Zeit als Gesamtproduktionsleiterin im Bekleidungsunternehmen Escada. Dabei musste ich bei einer umfassenden Umstrukturierung im Bereich der Produktion insgesamt 80 Mitarbeitende betriebsbedingt mit Sozialplan kündigen. Das fiel mir nicht leicht.

Wie bist Du dabei vorgegangen?

Weissenberger-Eibl: Es handelte sich um eine dringend erforderliche strukturelle Maßnahme. Das habe ich in den Gesprächen mit den Mitarbeitenden klar kommuniziert und in aller Offenheit die Gründe erklärt. Ich war erstaunt, festzustellen, wie gut die Betroffenen dann mit dieser Entscheidung umgehen konnten. Menschen schätzen Offenheit, weil sie dann Zusammenhänge verstehen. Während des gesamten Prozesses diskutierte und arbeitete ich mit meinem Team auch sehr eng mit dem Betriebsrat zusammen – von Beginn an.

Konnte man da überhaupt noch etwas entscheiden, wenn der Personalabbau doch klar war?

Weissenberger-Eibl: Dabei ging es zunächst um die Entscheidung, welche Personen das Unternehmen verlassen müssen, aber auch darum, für wen es alternative Aufgaben im Betrieb geben könnte. Die Perspektive und Einschätzung von Seiten des Betriebsrates floss in die Entscheidung mit ein. In den Gesprächen mit den Mitarbeitenden, für die wir alternative Aufgaben finden konnten, ging es dann insbesondere darum, sie für die neuen Tätigkeiten zu motivieren. Für diejenigen, von denen wir uns trennen mussten, nutzten wir unsere Netzwerke und Kontakte, um neue Jobchancen zu ermöglichen. Das Zuhören im Austausch mit dem Betriebsrat, aber vor allem in den Mitarbeitergesprächen war besonders wichtig: Es kommt darauf an, wahrzunehmen, wie die Mitarbeitenden reagieren und mit der Entscheidung umgehen. Nur so konnten wir aus dieser Situation auch etwas für die Zukunft lernen.

Was ist demnach eine gute Entscheidung?

Weissenberger-Eibl: Sie zeichnet sich durch vier Kriterien aus: Zunächst fußt eine gute Entscheidung auf Erfahrung. Alle Menschen können auf einen Schatz an Erfahrungswissen zurückgreifen. Dazu muss man sich fragen: Gab es das schon einmal? Was kann ich daraus lernen? Nutze ich das Wissen und die Erkenntnisse aus Recherchen, Analysen und Vergleichen? Zweitens bezieht eine gute Entscheidung alle möglichen Perspektiven von Beteiligten mit ein und denkt drittens alle Wege und mögliche Konsequenzen voraus. Und viertens beruht eine gute Entscheidung auf einem systematischen Blick in die Zukunft.

Viele Unternehmen setzen sich konkrete Ziele für das nächste Geschäftsjahr und darüber hinaus. Wie werden aus guten Entscheidungen konkrete Ziele und umgekehrt?

Weissenberger-Eibl: Gewisse Ziele erfordern gewisse Wege und haben gewisse Konsequenzen. Um die anstehenden Herausforderungen anzugehen, bedarf es oft komplexer Lösungsstrategien, für die viele Zahnrädchen ineinandergreifen müssen. Nur wenn wir uns gemeinsam aufeinen Weg einigen, ziehen wir alle an einem Strang. Dafür braucht es Zukunftsbilder und die müssen von Entscheider:innen und Führungskräften initiiert werden. Das passiert in der Praxis leider viel zu selten. Wenn wir den Blick in die Zukunft nicht wagen, lassen wir uns von neuen Entwicklungen wie von einer Welle überrollen. Stattdessen muss man einen Trichter der Möglichkeiten nutzen, also einen Möglichkeitsraum für die Zukunft aufspannen. Unser Ziel sollte es sein, die Welle zu reiten und zu nutzen.

Einen Möglichkeitsraum für die Zukunft aufspannen – wie geht das genau?

Weissenberger-Eibl:Zunächst sollten wir uns dafür zwei Fragen stellen: Welche Zeithorizonte nehmen wir in den Blick? Und auf welche Themen wollen wir uns dabei konzentrieren? Nur so können wir strukturiert überlegen, welche Zukünfte für uns überhaupt denkbar sind und wohin wir wollen. Das meine ich mit Trichter der Möglichkeiten: Je weiter wir nach vorne schauen und je breiter das Themenfeld angelegt ist, desto größer wird der Möglichkeitsraum unterschiedlicher Zukünfte. UND: Je weiter wir in die Zukunft gehen und je breiter die Themenfelder werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass es zu Unterbrechungen, Abweichungen und Sprüngen kommt. Das bedeutet, dass sich die Zukunftsvision ändern kann, oder auch immer wieder nachjustiert werden muss.

Wie konkret sollte der Möglichkeitsraum also sein?

Weissenberger-Eibl: Man kann sich dabei jedwede Freiräume lassen. Hilfreich sind Kreativitätstechniken wie ein strukturiertes Brainstorming oder Zeitreisen. Man beginnt mit einem weißen Blatt Papier und nutzt die Vorstellungskraft einer ganzen Gruppe, um erste Ideen, Bilder und Visionen zu skizzieren. Diese Visionen müssen wir dann noch einmal daraufhin überprüfen, welche Zukünfte grundsätzlich möglich sind. Hierbei ziehen wir zum Beispiel Formen von Umwelt-, Trend- und Konsistenzanalysen heran. Wir überlegen anhand dieser Analysen systematisch, bestimmen wesentliche Einflussfaktoren und leiten Annahmen für zukünftige Entwicklungen ab. Aber eine gute Idee alleine reicht nicht. Sie muss umsetzbar und anwendbar sein. Daher überlegen wir im letzten Schritt, welche Zukünfte durch welche Maßnahmen und welche Projekte wann erreichbar sind – auch in Wechselwirkung mit anderen Projekten. Diese Methode nennen wir in der Zukunftsforschung „Roadmapping“.

Beispiel Diversity und Zielgrößen für Frauen in Führungspositionen: Welche Vorteile hat es für Unternehmen sich für bestimmte Zielvorgaben zu entscheiden?

Weissenberger-Eibl: Wer Zielgrößen festlegt, erreicht Ziele auch schneller. Das zeigen die Ergebnisse des BCG Gender Diversity Index Germany 2020, den die Boston Consulting Group gemeinsam mit der Technischen Universität München im Mai dieses Jahres veröffentlicht hat. Vielfalt von Alter, Herkunft, Erwerbsbiografie und Geschlecht ist ein Selbstbeschleuniger: Unternehmen, die bereits eine hohe Diversität aufweisen, werden immer besser, während Unternehmen, die hier zurückliegen sich kaum weiterentwickeln. Weitere Studien belegen, dass Diversity Unternehmenskennzahlen verbessert – zum Beispiel in Hinblick auf Produktivität oder das operative Ergebnis.

Häufig heißt es, diverse Teams sind kreativer. Hat das auch Auswirkung auf die Innovationskraft?

Weissenberger-Eibl: Der Innovationsindikator aus dem Jahr 2012, den das Fraunhofer ISI zusammen mit dem ZEW für acatech und dem BDI realisiert hat, widmete sich der Vielfalt und ihrer Bedeutung für die Innovationskraft. Es zeigte sich, dass ein positiver Zusammenhang besteht. Solche Argumente sollten herangezogen werden, wenn es darum geht, Zielgrößen für Diversity oder Gender zu definieren. Zielgrößen allein reichen aber bei dem Thema nicht.

Was braucht es noch?

Weissenberger-Eibl: Es ist außerdem wichtig, Nachwuchsförderprogramme auf den Weg zu bringen. Denn es benötigt Zeit bis Frauen und Männer in Führungspositionen hineinwachsen. Zwar gibt es in den beiden Ebenen unter dem Vorstand einen etwa doppelt so hohen Frauenanteil wie auf oberster Führungsebene. Viele davon arbeiten allerdings in supportnahen Funktionen wie Personal oder Marketing, sodass sie für geschäftsorientierte Vorstandspositionen meist nicht in Frage kommen. Nachwuchsprogramme helfen dabei, dies zu ändern. Um gezielt zu evaluieren, ob Gleichstellungsmaßnahmen in Forschung und Innovation wirksam sind, hat das Fraunhofer ISI gemeinsam mit internationalen Partnern das Evaluationstools EFFORTI entwickelt – ein Framework, das Unternehmen kostenfrei nutzen können. Ich habe bei meiner Arbeit in und mit Unternehmen festgestellt, dass Programme zur Nachwuchsförderung sehr erfolgreich sein können.

Inwiefern ist Vielfalt in der Praxis auch mal anstrengend? Dadurch entsteht doch auch ein großer Diskussionsbedarf…

Weissenberger-Eibl: In meiner Position kann ich mit vielen verschiedenen Menschen aus der Forschung, der Wirtschaft und auch der Politik zusammenarbeiten. Dadurch entsteht immer ein fruchtbarer Austausch, auch wenn das am Anfang immer etwas ungewohnt und schwierig wirkt. Doch wenn man sich darauf einlässt, können sehr interessante Ideen entstehen. Gerade wenn es um aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit geht, müssen verschiedene Perspektiven betrachtet werden. In der Wirtschaft geht es klassischerweise erstmal um betriebswirtschaftliche Erfolge. Im Themengebiet Nachhaltigkeit müssen jetzt aber auch Expert:innen zu ökologischen Gesichtspunkten hinzugezogen werden. Nicht zu vernachlässigen sind außerdem gesellschaftlich-soziale Konsequenzen.

Entscheidungen haben also meist mit einem Dilemma zu tun. Wie kann man unterschiedliche Interessen gut abwägen?

Weissenberger-Eibl: Die Digitalisierung, der Klimawandel, der demographische Wandel – große Herausforderungen unserer Zeit erfordern umfassende Lösungsansätze. Das geht nicht ohne Zusammenspiel vieler Menschen. Eine Person allein kann nicht Expertise auf allen Gebieten haben und das muss sie auch nicht. Die Vielfalt an Perspektiven bringt eine Vielfalt an Lösungsansätzen. Zunächst muss man die Interessen der Beteiligten kennen und verstehen. Unternehmen haben verschiedene Interessengruppen, denen sie sich zum Teil gar nicht bewusst sind. Dazu gehören Beschäftigte, Lieferant:innen, Investor:innen, Politik, Nichtregierungsorganisationen. Eine Analyse, welche Interessengruppen welchen Beitrag leisten können und welche Strategien daraus abgeleitet werden, können sich Unternehmen zu Nutze machen. Dabei helfen Workshops oder Szenario-Analysen.

Das allein löst aber mögliche Widersprüche noch nicht auf…

Weissenberger-Eibl: Das stimmt, man muss die Kenntnis der Interessen gezielt in die Entscheidungsfindung einfließen lassen. Es muss um echten Austausch gehen, in dem Expertisen so kombiniert werden, dass mehr entsteht als die Summe ihrer Teile – also auch ganz neue, vorher nicht bedachte Lösungsoptionen. Mehr noch: Systematisches Interessengruppen-Management erfordert außerdem die Kenntnis der Dynamiken unter den Interessengruppen. Dadurch können Unternehmen Trends und Gefahren frühzeitig erkennen, entsprechend reagieren und erlangen so einen Wettbewerbsvorteil.

Wie stellt man sicher, dass Entscheidungen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen und in verschiedenen Fachbereichen zusammenpassen?

Weissenberger-Eibl: Führungskräfte stehen vor der Aufgabe, ein bunt zusammengewürfeltes Team zu koordinieren und Verantwortung an die Fachexperten zu übertragen. Das bedeutet, sie brauchen künftig andere Kompetenzen. Sie geben die Orientierung und den Rahmen und managen komplexe Systeme und vernetzen Wissen. Dafür ist Fach- und Detailwissen gefordert, aber auch die Fähigkeit, das große Ganze im Blick zu haben. Führungspersonen brauchen eine gute Kommunikationsfähigkeit, um zwischen verschiedenen Fachbereichen zu vermitteln. Dabei gilt es, sich regelmäßig auszutauschen und stets eine Vision im Blick zu haben, für die alle Bereiche stehen und sich einsetzen.

Was hindert Unternehmen vor allem daran, gute Zukunftsentscheidungen zu treffen?

Weissenberger-Eibl: Als Gedankenanstoß, wie eine Ideengenerierung misslingt und wie Innovation NICHT funktioniert, bin ich mit meinen Studierenden im vergangenen Semester die „Zehn Regeln zum Blockieren von Kreativität“ durchgegangen. Die erste Regel lautet: „Betrachte jede neue, von Untergebenen kommende Idee mit Misstrauen, weil sie neu ist und von unten kommt.“ Die zweite: „Bestehe darauf, dass Personen, die deine Zustimmung für eine Aktion benötigen, auch die Zustimmung mehrerer höherer Ebenen einholen müssen.“ Diese Beispiele zeigen, wo Unternehmen gedanklich umschalten müssten. Gewohnte Strukturen erschweren häufig die Entwicklung von Innovationen, da diese ja qua Definition Traditionen oder etablierte Systeme in Frage stellen. Man muss mutig, risikobereit und frei im Kopf sein. Raus aus der Box! Es scheint wie eine Mammutaufgabe, die finanziell hohe Mittel erfordert, ohne dass der Erfolg garantiert ist. Deshalb kann externe Unterstützung notwendig sein.

Welche Form von Unterstützung kann das zum Beispiel sein?

Weissenberger-Eibl: Kooperationen mit Forschungseinrichtungen zum Beispiel. Genau da setzt unser Joint Innovation Hub JIH am Fraunhofer ISI an. Über Unternehmensgrenzen hinweg stellen wir für Unternehmen eine Verbindung zwischen internen und externen, bekannten oder unbekannten Interessenvertreter:innen her und vermitteln zwischen den Positionen. Damit tragen wir zum Informationsaustausch bei und regen zu Neuem an. Mit Konzepten aus der wissenschaftlichen Forschung überlegt der JIH gemeinsam mit Unternehmen und anderen Akteuren, wie das Neue in die Welt kommt.

Wie kann man erkennen, ob Entscheidungen grundsätzlich falsch waren oder Umsetzungsfehler nicht zum gewünschten Ziel geführt haben?

Weissenberger-Eibl: Viele Studierende entscheiden sich während ihres Studiums für einen anderen Studiengang oder für einen ganz anderen Bildungsweg. Manchmal ist eine „verhauene“ Klausur der Anstoß, manchmal passiert das ohne einen von außen erkennbaren Impuls. Entscheidungen mögen zwar zu dem Zeitpunkt, an dem sie getroffen werden, gut und richtig erscheinen. Mit neuem Wissen und neuen Erfahrungen lernen wir aber womöglich, dass wir wichtige Aspekte übersehen haben oder dass uns bei der Umsetzung Fehler unterlaufen sind. Deshalb sollten wir unsere Entscheidungen stets aktiv hinterfragen. Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Ist das noch das Ziel, das ich erreichen möchte? Dabei ist es wichtig, keine Angst vor Fehlern zu haben. Es gilt auszutesten, ob unsere Annahmenüber mögliche Entwicklungspfade sich bewahrheiten. In der Entwicklung von neuen Produkten gibt es die Möglichkeit, diese in sogenannten „Living Labs“ auszuprobieren. Diese Testräume fördern das Experimentieren. Und das Beste dabei ist: Anwender:innen und Expert:innen testen gemeinsam. Somit werden Ideen schnell ausprobiert und auf den Weg gebracht. Forschung und Entwicklung bleibt nicht im Elfenbeinturm, sondern wird in solchen „Reallaboren“ praktisch und anwendungsbezogen.

Inwiefern berücksichtigst Du diese Erkenntnisse bei Deinen persönlichen (Karriere-)Entscheidungen?

Weissenberger-Eibl: Zwar hat man bei persönlichen Entscheidungen nicht die Gelegenheit, Sachen vorab zu testen. Aber das ist nicht entscheidend. Es geht darum, Fehler als Chance zu begreifen und aus ihnen zu lernen, stets kritisch und offen für neue Perspektiven zu sein. Denn die Welt um uns herum dreht sich weiter, genauso wie wir. Es klingt abgedroschen, aber man lernt eben nicht aus – und das ist auch gut so.

Hast Du Mentor:innen, die Dich beruflich unterstützt haben und die Du in wichtige Entscheidungen einbeziehst oder die Inspirationen für Deine Zukunftsbilder sind?

Weissenberger-Eibl: In meiner Zeit als Leiterin der Produktionsentwicklung bei Escada lernte ich die Gründer des Modeunternehmens, Margaretha und Wolfgang Ley, kennen. Durch sie habe ich gelernt, dass Kaufmännisches und Technik zusammen gedacht werden können. Diese neue Perspektive inspiriert meine Arbeit bis heute. In meiner Promotionszeit hat mich dann mein Doktorvater Univ.-Prof. Dr. mult. Horst Wildemann begleitet. Er gab mir die Freiheit, ungewöhnlichen Ideen Platz zu geben, und hat mich dabei unterstützt, Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Universitätsprofessorin Dr. Ann-Kristin Achleitner stand mir ebenfalls mit Ratschlägen zur Seite. Für diese Unterstützung bin ich sehr dankbar und engagiere mich deshalb seit einigen Jahren selbst als Mentorin.

Inwiefern?

Weissenberger-Eibl: Ich unterstütze Studierende und Promovierende der RWTH Aachen und der TU München bei persönlichen Entscheidungen. Die Zusammenarbeit und die Möglichkeit, meine Erfahrungen weiterzugeben, bringen mir große Freude. Und ich lerne dabei durch interessante Gespräche und die Entscheidungen, die Mentees treffen, immer wieder dazu.

Wie war das bei Deiner eigenen Karriere: War es eine gute Entscheidung, dass Du Dich zunächst für eine Schneiderlehre entschieden hast?

Weissenberger-Eibl: Ich habe mich sehr bewusst entschieden, vor meinem Studium die Ausbildung zu machen. Es hat mich schon immer fasziniert, mit den Händen zu arbeiten und so etwas Neues zu erschaffen. Ich schätze die Handwerkskunst sehr. Ich weiß dadurch aus eigener Erfahrung, wie aufwendig die Herstellung von Kleidungsstücken ist und wie präzise man dabei arbeiten muss. Das Ziel war von Anfang an im Anschluss an die Lehre ein Ingenieursstudium zu absolvieren. Dort konnte ich mein Verständnis für Technik festigen. In leitender Position bei Escada war es mir dann möglich, dieses Wissen auch einsetzen.

Warum hast Du entschieden, dass Du weiter studieren, also auch promovieren und habilitieren möchtest?

Weissenberger-Eibl: In meiner Leitungsposition in der Modeindustrie stellte ich schnell fest, dass betriebswirtschaftliche Fragestellungen genauso wichtig sind wie technische. Wie betriebswirtschaftliche Abläufe funktionieren, diese Fragestellung hat mich nicht mehr losgelassen. Also entschied ich mich, ein BWL-Studium zu absolvieren und das dabei erlangte Wissen in meiner Promotion und Habilitation auszubauen und anzuwenden. Dabei hat es mir sehr geholfen, dass ich schon praktische Erfahrung gesammelt hatte. Diese konnte ich immer wieder einfließen lassen. Noch heute frage ich mich bei einer Idee zuerst: Ist das praktisch umsetzbar? Und wenn ja, ist das auch wirtschaftlich rentabel? Oder wie kann ich eine Idee so verändern, dass sie wirtschaftlich rentabel wird?

Ein geradliniger Lebenslauf ist also nicht unbedingt immer von Vorteil, sondern auch über Umwege kommt man zum Ziel?

Weissenberger-Eibl: Mein beruflicher Weg mag nicht geradlinig erscheinen, aber das ist nicht entscheidend. Dadurch, dass ich in viele Branchen und Bereiche Einblick hatte, kann ich mich schnell in verschiedene Felder reindenken, spreche die dort übliche Sprache und kann auf Augenhöhe diskutieren. Interdisziplinarität ist ein Grundbestandteil meiner Arbeit und kann uns alle so viel weiterbringen.

Was muss man für eine Forschungskarriere mitbringen?

Weissenberger-Eibl: Es ist vor allem wichtig, neugierig zu sein. Neugierig in Bezug darauf, zu lernen, Prozesse in Unternehmen und Politik kennenzulernen oder herauszufinden, wie andere Menschen eigene Ideen bewerten. Natürlich gehört die Bereitschaft dazu, gewohnte Wege zu verlassen. Man muss Ideen auch einfach mal umsetzen. Das erfordert einiges an Mut, da zu Beginn noch niemand weiß, ob das funktionieren kann oder noch große Hindernisse auf dem Weg warten. Bis zum Ziel ist Durchhaltevermögen und ein hartnäckiges Einstehen für die eigenen Ideen gefragt.

Heute erleben wir eine sehr dynamische und volatile Arbeitswelt. Wie ratsam ist es da, den Arbeitgeber zu wechseln oder andere einschneidende Karriereentscheidungen zu treffen?

Weissenberger-Eibl: Es ist wichtig, immer wieder seine Arbeit und seine Vorstellungen davon zu hinterfragen. Wenn das nicht mehr zusammenpasst, sollte man eine Entscheidung treffen. Jeder oder jede entwickelt sich selbst weiter und auch das Umfeld verändert sich – da gilt es immer wieder die Passung anzuschauen. Um zu erkennen, ob man noch richtig im Job ist, hilft es, einen Schritt zurückzutreten und das Gesamtbild zu betrachten. Diese Selbstreflexion sollte man ehrlich annehmen und dann auch so mutig sein, mit einem Arbeitsplatzwechsel eine persönliche Zukunftsentscheidung zu treffen.

Berufliche Entscheidungen haben auch immer die Konsequenz, das eine zu tun und das andere zu lassen. Was hättest Du gern gemacht, was bisher aufgrund Deiner Berufsentscheidungen nicht möglich war?

Weissenberger-Eibl: Immer, wenn ich etwas tun wollte, bin ich dem gefolgt und habe mich von Veränderung und Neuem nicht abschrecken lassen. Wenn eine Frage mich nicht mehr losgelassen hat, habe ich mich dieser gewidmet. Wenn ich ein neues Ziel hatte, habe ich alles dafür gegeben, dieses Ziel zu erreichen. Das hat mich dorthin gebracht, wo ich heute beruflich stehe. Mittlerweile bin ich an einem Punkt, an dem ich selbst entscheiden kann, worauf ich meinen Fokus legen möchte. Ich wähle die Themen aus, die mir am Herzen liegen, wovon ich denke, dass sie die Welt voranbringen können. Durch mein Netzwerk kenne ich fast immer Menschen, die auch an diesen Themen arbeiten. Wenn nicht, gehe ich aktiv auf die Suche und spreche mögliche Kooperationspartner:innen an. Wir müssen nicht darauf warten, dass die passende Karriere zu uns kommt. Wir können uns aktiv dafür entscheiden.


Über Marion A. Weissenberger-Eibl

Univ.-Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl leitet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe und ist Inhaberin des Lehrstuhls für Innovations- und Technologie-Management am Institut für Entrepreneurship, Technologie-Management und Innovation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sie arbeitet zu Entstehungsbedingungen von Innovationen und deren Auswirkungen. Wiederholt wurde sie als eine der 100 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet. Die studierte Bekleidungsingenieurin sowie Betriebswirtschaftlerin promovierte und habilitierte sich an der Technischen Universität München. In Wirtschaft und Politik ist sie eine geschätzte Expertin in den Fokusthemen Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Innovation und Zukunftsforschung.

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