Sophie Jonke leitet den Münchner Standort der ReDI School, die Geflüchteten gemeinsam mit Unternehmen über Programmierkurse eine Perspektive bietet. Sie erklärt, wie Firmen jetzt konkret helfen können.
Was unterscheidet die aktuelle Situation der Geflüchteten aus der Ukraine zu geflüchteten Menschen aus anderen Ländern, vor allem im Hinblick auf den Arbeitsmarkt?
Im Moment kommen vor allem Frauen und Kinder nach Deutschland, vor sechs, sieben Jahren waren es überwiegend Männer. Soweit wir wissen, ist der Bildungsstand vieler Ukrainer:innen oft höher, als bei den Geflüchteten 2015. Allerdings sprechen weniger Ukrainer:innen Englisch. Ukrainer:innen bekommen relativ schnell eine Arbeitserlaubnis und sind dadurch faktisch sofort auf der Suche nach Arbeit, während 2015 viele Menschen Monate, manchmal Jahre auf ihre Asylverfahren gewartet haben und in dieser Zeit nicht arbeiten konnten.
Wie kann die ReDI-School die jetzt ankommenden Menschen bereits unterstützen? Welche Eurer Programme lassen sich z.B. aktuell ausweiten?
In den letzten Wochen haben wir uns täglich die Frage gestellt, wie wir am besten und nachhaltigsten unterstützen können. Wir haben an vielen Abstimmungsmeetings mit anderen sozialen Initiativen teilgenommen, die in dieser ersten humanitären Phase aktiv sind, und haben deren Bedarfe mit unserem Partner- und Volunteer-Netzwerk verbunden. Seit 1,5 Wochen erhalten wir jedoch fast täglich Anfragen von Geflüchteten, die über unsere Community zu uns kommen und gerne an unseren Kursen teilnehmen würden.
Die größten Herausforderungen für die Ukrainer:innen eine Arbeit zu finden, stellt aktuell die Sprache und die Kinderbetreuung dar. Zusätzlich wurde in einer Studie des UNDP von 2019 untersucht, dass 50% der Ukrainer:innen keine oder sehr geringe digitale Fähigkeiten besitzen. Dort können wir mit unseren Programmen ansetzen.
Dank der großartigen und schnellen Unterstützung von unseren Unternehmenspartnern wie Fujitsu, Siemens oder Microsoft planen wir kurzfristig eine Summer School für Kinder und Jugendliche, sowie vor allem für Frauen mit und ohne Kinderbetreuung zu starten und dafür eine ukrainische Projektmanagerin einzustellen. Auch mit unserem größten Partner in München, der Stadt und dem Referat für Arbeit und Wirtschaft, stehen wir in sehr engem Austausch.
Wo seht Ihr aktuell den größten Unterstützungs-Bedarf heute, wo aus Eurer Erfahrung in den kommenden Wochen und Monaten?
Akut unterstützt unsere Community humanitäre Organisationen, z.B. mit Dolmetschern oder unserem Partnernetzwerk. ReDI München und Berlin planen wie oben erwähnt eine Summer School anzubieten. Doch schon in der Vergangenheit bekamen wir pro Semester 200% mehr Bewerber:innen, als wir Plätze haben. Das wird in den nächsten Semestern durch die aktuelle Flüchtlingswelle zunehmen. Langfristig suchen wir deshalb nach neuen finanziellen Förderern, um mehr Menschen den Zugang in unsere Kurse zu ermöglichen.
Die ReDI-School arbeitet mit zahlreichen Unternehmen und Freiwilligen zusammen – wie können interessierte Firmen helfen?
Um schnell aktiv zu werden, brauchen wir Ressourcen: Unternehmen können uns finanziell unterstützen, auch Laptop-Spenden helfen. Interessierte, die uns als ehrenamtliche Workshopleiter, Trainer oder Mentoren unterstützen, können sich bei uns melden – ob kurzfristig für die Summer School oder langfristig für das kommende Herbstsemester.
Welche Gruppen habt Ihr im Fokus?
Wir sehen aktuell drei Zielgruppen, für die wir maßgeschneiderte Kurse anbieten möchten. Erstens: Ukrainer:innen oder ehemalige Asylbewerber:innen in der Ukraine ohne Kinder, oft englischsprechend, die schnellstmöglich einen Job finden möchten und die wir über digitales Karrieretraining und Mentoring digital fit machen und über unser Netzwerk integrieren. Zweitens: Eltern und vorwiegend Mütter mit Kinderbetreuungsbedarf, die kein Englisch sprechen, die Zugang zu einer Community in Deutschland und digitale Kompetenzen für den Alltag brauchen. Und drittens: Kinder & Jugendliche zwischen 7-17, die kein Englisch sprechen, mental stark belastet sind und Ablenkung, Struktur im Alltag und Zugang zu einer Gemeinschaft in Deutschland brauchen, die wir spielerisch mit Programmierkursen stärken können.
Ihr habt täglich mit so vielen Schicksalen von Geflüchteten zu tun – was müsste sich aus Eurer Erfahrung für eine bessere Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ändern?
Wir brauchen Unterstützung aus Politik und aus der Wirtschaft. Wir brauchen Ressourcen aber auch die Bereitschaft, mit uns Hand-in-Hand, die Geflüchteten und Migranten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Politik muss den Rahmen schaffen und agiler werden. Auf der Seite der Unternehmen, hilft eine gewisse Flexibilität und auch das Engagement der Mitarbeiter, Newcomer zu integrieren. Gemeinsam mit der Politik, den Kommunen und engagierten Unternehmen sowie unseren großartigen Ehrenamtlichen haben wir schon sehr viele wunderbare Beispiele geschaffen.
Im Bereich Arbeitsmarktintegration ist die Stadt München zum Beispiel sehr gut aufgestellt und agiert wirklich agil. Mit dem Münchner Beschäftigungs- und Qualifizeirungsprogramm des Referats für Arbeit und Wirtschaft hat die Stadt einen Hebel, um sich schnell und nachhaltig auf die Integration der ankommenden Menschen vorzubereiten und wir sind schon wieder gemeinsam dabei für die kommenden Wochen und Monate weitere Projekte zu planen.
Welches größte Learning hast Du bislang aus der Arbeit mit den Geflüchteten mitgenommen?
Der Slogan der ReDI School war von Anfang an “Talk with Refugees, and not about them”. Und das ist auch was ich heute sehe: Es gibt so viele Menschen, die etwas tun möchten und helfen wollen. Oftmals wird jedoch Hilfe angeboten, die nicht gebraucht wird wie z.B. zu viele Sachspenden. Deshalb verfolgen wir bei ReDI den Co-Creation Ansatz, der die Geflüchteten immer mit einbindet in die Kreation unserer Angebote. Damit erzielen wir die besten Ergebnisse.
Die ReDI School of Digital Integration ist eine gemeinnützige Programmierschule in Deutschland (Berlin, München, Düsseldorf, Duisburg/Marxloh, Hamburg) sowie in Dänemark (Kopenhagen und Aarhus). Gegründet 2015 hat ReDI inzwischen über 6.500 Teilnehmer:innen aus 96 Nationen mit Hilfe von über 4000 ehrenamtlichen Trainer:innen und über 100 Partnerunternehmen weitergebildet. Der Name ReDI leitet sich ab von „Readiness“ und „Digital Integration“.