Immer mehr Unternehmen lagern bei der Personalsuche die erste Vorauswahl an Assessment-Center, Algorithmen oder sonstige Systeme aus, deren Wurzeln in der Digitalisation liegen. Können die das überhaupt? Und wie fair agiert künstliche Intelligenz?
Interesse an einem Job beim technologischen Marktführer? Erfahrungen mit Leadership-Kompetenz und hoher Serviceorientierung? Einschlägiges Vorwissen im Kulturmanagement und Kunsthandelsbereich? Man kennt sie die nüchterne Sprache, aus der die Stellenanzeigen gezimmert sind. Diese stakkato-artigen, steifen Anforderungsprofile – klassischerweise gegliedert in „Aufgabengebiet“, „Berufserfordernisse“ und „unser Angebot“ – die alle darauf abzielen, möglichst hohe Reichweiten zu erzielen. Während am anderen Ende der Kommunikationskette der Jobsuchende sitzt und, je nach Tagesverfassung, geknickt bis hoffnungsfroh an seiner Ego-Politur feilt.
Denn so leicht ist die Sache nicht. Wird auch immer schwieriger. Wer sich in seinem Bewerbungsschreiben als „innovativ, dynamisch, motiviert, proaktiv und Teamplayer“ beschreibt, kann seinen Rollladen gleich wieder herunterlassen. Am besten er verbringt den Rest des Tages im Kaffeehaus, schaut sich eine Ausstellung an oder sortiert Belege für seine Buchhaltung. Behauptungen wie „ergebnisorientiert“ oder „Problemlöser“ sollten ebenfalls ernsthaft überdacht werden. Und Gutelaunemacher wie „Erfolgsbilanz“ oder „Mehrwert“ streicht man am besten überhaupt gleich aus dem Bewerbungsjargon.
Laut einer Untersuchung des Business-Netzwerkes LinkedIn handelt es sich bei all diesen Begriffen um Floskeln, mit denen sich der Jobsuchende direkt auf den Absage-Stapel katapultiert. Schlüsselwörter wie „neue Herausforderung“, „Tapetenwechsel“, „Durchsetzungsvermögen“ oder „Konfliktlösungskompetenz“ würden hingegen Sinn machen, wenn man von Personalchefs aufgespürt werden will.
Doch um von den Verantwortlichen der HR-Abteilungen gefunden zu werden, müssen überhaupt noch welche dort sitzen: Menschen, die die Laufbahnen von Menschen durchforsten. Personalchefs, die sich Zeile für Zeile durch die Berufsstationen ihnen völlig Unbekannter arbeiten. Bei kleineren, nationalen Unternehmen in Deutschland oder Österreich ist dies heute noch Großteils der Fall. Internationale Konzerne hingegen lagern zumindest die erste Vorauswahl an Assessment-Center, auf Algorithmen oder sonstige Systeme aus, deren Wurzeln in der Digitalisation liegen.
Digitalisation also. Grob gesagt, stecken hinter diesem sperrigen Wort innovative Technologien, die digital verfügbare Inhalte kombinieren, um Prozesse zu optimieren. Der Computer wird somit zum ersten Personalexperten, der die Bewerbung sieht. So genau will man das eigentlich gar nicht wissen, dass sich künstliche Intelligenz als Talentescout probiert. Schreckliche Vorstellung. Andererseits: Wie sollten Unternehmen wie Siemens, BMW, Vodaphone oder McDonald’s sonst die Flut an Anschreiben bewältigen, die sie tagtäglich bekommen.
Für den Einzelnen bedeutet diese Entwicklung, dass er sich genau überlegen muss, mit welchen Schlagwörter er sein Profil garniert, bevor er es auf den Karrieretrip schickt. Denn Algorithmen suchen vor allem nach Qualifikationen. Oft handelt es sich dabei um feine Nuancierungen, die die gute Stimmung ausmachen, wie beim „Problemlöser“ und der „Konfliktlösungskompetenz“. Beide Worte meinen dasselbe, doch das eine klingt nach Problem, das andere nach Kompetenz. Und es ist davon auszugehen, dass das künstliche Hirn, das darüber entscheidet, ob man es in die nächsthöhere Stufe schafft, Euphemismen schätzt – also das Positive um jeden Preis. Eine weitere, häufig empfohlene Möglichkeit besteht darin, die Keywords, die bereits in der Stellenanzeige vorkommen, zu wiederholen. Doch allzu stark verlassen sollte man sich nicht aufs papageien, denn die Systeme werden immer intelligenter, bringen Lebensläufe mit Schlagwörtern in Verbindung oder durchschauen die Headline-Tricksereien.
Was Computer nicht können, ist Menschen nach ihrer Persönlichkeit zu bewerten. Selbst wenn die künstliche Intelligenz auf Sprach- und Gesichtsanalyse programmiert wird, auf persönliche Eigenheiten einzugehen, wie unter Menschen schnell mal üblich, vermag der Algorithmus nicht. Noch nicht.
Die Folge ist, dass bei diesen neuen technischen Bewerbungsverfahren viel Potenzial verloren geht. Vor allem, da man davon ausgehen kann, dass nur wenige Jobsuchende von den digitalen Vorentscheidern wissen. Einer Studie der Bertelsmann Stiftung zufolge, haben 65 Prozent der Deutschen überhaupt keinen Schimmer davon, dass bei der Personalauswahl künstliche Intelligenz eingesetzt werden könnte. Die 35 Prozent allerdings, die sich dessen bewusst sind, können mit ein paar einfachen Tricks ihre Lebensläufe optimieren. Ralph Müller-Eiselt, Leiter des Programms Megatrends bei der Bertelsmann-Stiftung, skizzierte im „Spiegel“ einen dieser super-kreativen Aufmotzer: „Bewerber schreiben mit weißer Schrift so etwas wie Harvard-Universität in ihren Lebenslauf“ – für das menschliche Auge bleibt diese Mogelei unsichtbar, der Computer aber speichert sie als Tatsache. Let’s get Harvarded! ist man in diesem Fall geneigt, aufzurufen.
Diese Situation drängt eine Serie heikler Fragen auf: Wie fair und transparent sind die Algorithmen? Wenn man etwa liest, dass die KI von amazon jahrelang Frauen benachteiligte (das System wurde mittlerweile entfernt), ist Misstrauen absolut angesagt. Daher: Wie lässt sich ganz allgemein Diskriminierung vermeiden? Was geschieht mit älteren Jobsuchenden, die die Codes, die es heute braucht, um vorteilhaft wahrgenommen zu werden, oft gar nicht oder nur auf Amateurbasis beherrscht? Hier geht es ja auch oft um Kultur- und nicht nur um Wissensfragen. Dann einer der heikelsten Punkte überhaupt: Erst nimmt uns die Digitalisierung Jobs weg – nun sollen die verbliebenen via Software verteilt werden? Deutet das alles nicht auf ein „maschinelles Wettrüsten zwischen den Algorithmen der Stellenanbieter und denen der Stellensuchenden“ hin, wie im Bertelsmann-Paper beschrieben? Und damit genau auf eine Entwicklung, vor der die beiden MIT-Wissenschafter Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee bereits 2013 warnen?
In ihrem Bestselller „The Second Machine Age“ fordern sie das Gegenteil ein, nämlich dass Computer nur nützlich sein können, wenn Menschen „mit den Maschinen ins Rennen gehen – nicht gegen sie“.
*Dies ist ein Auszug aus dem Buch „Error 404. Wie man im digitalen Dschungel die Nerven behält“ von Michaela Ernst, Ecowin-Verlag (2020)
Mehr zum Thema künstliche Intelligenz (KI) lesen Sie in der kommenden Ausgabe von SHEconomy, die am 7. Oktober in Österreich und am 14. Oktober in Deutschland erscheint. Unter anderem gehen wir darin der Frage nach, wie feministisch künstliche Intelligenz ist.